News 23.02.2008, 23:09 Uhr

"Kein Roboter": Die Geschichte einer korrekten roten Karte


Diego kennt das natürlich. Wie oft schon hat ihn ein gegnerischer Spieler kurz nach dem Anpfiff mit einem herzlichen Foul begrüßt. Einfach so. Ich bin hier, merk dir das. Wie oft schon hat er sich ein, zwei, drei "Staubsaugern" gegenüber gesehen, die ihm hart attackierend und eng an ihm klebend den Spaß an der Arbeit nehmen wollten. In den allermeisten Fällen konnte Werders Zehner auf derlei wenn faire, dann legitime taktische Mittel mit Witz und Geschick reagieren. Er konnte sich schützen, ausweichen, davonstehlen und sich vor allem mit Torvorlagen und eigenen Treffern vortrefflich revanchieren. In Frankfurt gelang ihm das nicht.

"Diego wird wie Freiwild behandelt, er wird festgehalten und getreten", beklagt sein Nebenmann Tim Borowski, "die Schiedsrichter lassen da zu viel laufen." Das sieht auch Geschäftsführer Klaus Allofs so: "Sie schützen ihn nicht so, wie es sein sollte." Zumal es gegen die Eintracht nicht bei körperlich hartem Spiel blieb. "Es war von Anfang an eine aggressive Stimmung im Stadion gegen Diego", empfand Allofs. "Er wurde ausgepfiffen, gefoult und provoziert." Viele in der Commerzbank-Arena unterstellten dem kleinen Brasilianer akutes Fliegengewicht und pfiffen ihn nieder. Dabei war nicht nur auf den TV-Bildern, eindeutig, warum er durch die Luft wirbelte. Foul um Foul ereilte ihn – der es eigentlich so meisterhaft beherrscht, sich auch nach fiesen Grätschen auf den Beinen zu halten.

Der Gipfel der Rüpeleien

Diegos härtester Gegner an diesem Tag hieß Sotirios Kyrgiakos, ein zäher, wuchtiger Innenverteidiger. "Ich bin bis jetzt fast immer fair von den Gegenspielern und den Schiris behandelt worden. Aber hier wurde ich von Anfang an provoziert, vor allem von diesem Spieler", sollte Diego hinterher zu Protokoll geben. Einen gewonnen Zweikampf, bei dem Diego zu Boden gegangen war, nutzte der Grieche für den Gipfel der Rüpeleien. "Er sagte 'Stand up, fuck you' zu mir, obwohl ich nicht reklamiert hatte", berichtete Diego.

All das "kann zum 'Erfolg' führen", weiß Klaus Allofs, "weil irgendwann der Spieler nicht mehr so clever reagiert. Ein Spieler ist kein Roboter, der immer richtig reagiert." Ivan Klasnic fragte: "Warum passiert so etwas? Wenn man sieht, wie oft Diego gefoult wird, kann ich ihn schon verstehen." Verständnis also für das, was Tim Borowski beschrieb: "Irgendwann rastet man dann aus . . ."

Diego (174 cm, 76 Kilo) verlor tatsächlich für einen Moment die Kontrolle und lief in Kyrgiakos (193 cm, 88 Kilo) hinein – der Grieche "hat sich auch noch theatralisch fallen lassen, als ob er sterben würde", beobachtete Diego. Schiedsrichter Dr. Helmut Fleischer hatte den Zweikampf zuvor als "ganz normal" gewertet, die Szene danach aber nicht wahrgenommen. "Mein Assistent hat erkannt, dass Diego mit der Schulter Kyrgiakos umgestoßen hatte", sagte Fleischer. Konsequenz: die rote Karte.

Keine Zweifel an der Berechtigung des Platzverweises

Es war die logische Konsequenz, das bestritt auch bei Werder niemand. "Diego darf sich nicht so verhalten, klar war das ein Fehler", stellte Klaus Allofs klar, "auch wenn er in diesem Spiel zum zehnten Mal gefoult wurde." Cheftrainer Thomas Schaaf stieß ins selbe Horn: "Eigentlich nicht zu entschuldigen." Aber, so der Coach, es gehörten immer zwei dazu. Friedhelm Funkel sah das übrigens völlig anders und hatte gut hingehört. "Diego ist überhaupt nicht provoziert worden", so Thomas Schaafs Frankfurter Kollege, "auch wenn vielleicht etwas gesagt wurde. Aber es fallen oft derbe Worte während der 90 Minuten. Entscheidend ist, dass es eine klare rote Karte war."

"Ja, ich habe die Nerven verloren und bin traurig, dass ich mich dazu hinreißen ließ und der Mannschaft damit schadete", räumte auch ein zerknirschter Diego hinterher ein. "Ich entschuldige mich bei der Mannschaft und beim Trainer. Aber so etwas passiert im Fußball." Er hofft auf eine nicht zu lange Sperre, immerhin "ist es für mich der erste Platzverweis in der Bundesliga."

Thomas Schaaf sprach von "ein, zwei Wochen, in denen er uns fehlen wird. Aber das wird uns nicht durcheinander bringen. Wir haben auch ohne ihn gute Spiele gemacht, als er fehlte und andere das auffangen mussten." Gut spielen, gute Ergebnisse zeigen – das sei der Weg, den man nun weiter gehen wolle, bis Diego wieder da ist.

Diego zu den Spekulationen um seine Verletzung

Dem war übrigens, abseits des Trubels um den Platzverweis, noch eines sehr wichtig: die Spekulationen um seine Verletzung und einen eventuellen monatelangen Ausfall. "Ich bin unglücklich darüber, wie darüber berichtet wurde. Da wurde total übertrieben." Die Schonung in Braga und der Einsatz in Frankfurt, das alles wäre abgesprochen gewesen und vom Trainer auch der Presse so mitgeteilt worden. "Ich habe mich, wenn ich gespielt habe, sehr gut gefühlt und keine Probleme gehabt", unterstrich Diego, "auch heute war das so."

Das ist das einzig Gute an der roten Karte von Frankfurt: Werders Nummer zehn bekommt die Gelegenheit, seinen Körper in Ruhe auf den Endspurt im Titelkampf vorzubereiten.

von Enrico Bach und Tino Polster