Presseschau Kreiszeitung 28.02.2008

"Ich war kein Ausnahmetalent"


Sebastian Boenisch humpelt zum Interview - und erklärt, warum er es zu Werder schaffte

Von Björn Knips

BREMEN Schrecksekunde im Training: Sebastian Boenisch bekam gestern von Amateur-Keeper Sebastian Mielitz einen Tritt auf den Oberschenkel und blieb erst mal liegen. Doch nach kurzer Behandlung rappelte sich der 21-Jährige wieder auf und spielte - dick bandagiert - weiter. Es hatte ihn ausgerechnet oberhalb des im vergangenen Herbst operierten Knies getroffen. "Da ist der Muskel ohnehin noch nicht so fit", ärgerte sich Boenisch. Aber er biss auf die Zähne und humpelte sogar noch zum Interview-Termin. Da waren die Schmerzen schnell vergessen. Denn mit viel Herzblut sprach der Außenverteidiger über seinen Aufstieg zum Bundesliga-Profi, seine Ziele und warum er beidfüßig ist.

Wer ist der beste Linksverteidiger auf der Welt?

(lacht) "Ich bin natürlich von mir überzeugt . . . Aber im Ernst: Da fallen mir Spieler wie Roberto Carlos ein. Die haben verdammt viel Erfolg gehabt - und von denen kann man sich sehr viel abgucken."


Also schauen Sie bei Fernseh-Übertragungen gezielt, was die Außenverteidiger machen?

"Natürlich, ich gucke vor allem, wie sich die Spieler in Stress-Situationen verhalten. Und wenn einer die falsche Entscheidung getroffen hat, überlege ich mir: Wie hätte ich mich verhalten? Die werden das bestimmt bei meinem Fehlpass in Frankfurt, der zum Gegentor geführt hat, genauso gemacht haben . . ."


Werder sucht seit Jahren einen guten Linksverteidiger und ist nie wirklich zufrieden gewesen. Sind Sie jetzt der Richtige?

(lacht) "Jetzt werden sie zufrieden sein. Nein, ich muss erst mal trainieren und meine gute Leistung gegen Frankfurt bestätigen."


Was ist so schwierig an dieser Position?

"Man braucht gewisse athletische Voraussetzungen, weil man 90 Minuten rauf- und runtermarschieren muss. Außerdem muss man den richtigen Moment für Vorstöße wählen, damit wir hinten nicht zu offen sind. Das erfordert Fingerspitzengefühl."


Mit welchem Fuß stehen Sie eigentlich morgens zuerst auf?

"Das ist unterschiedlich und kommt darauf an, auf welcher Seite ich geschlafen habe."


Also sind Sie auch da beidfüßig - wie auf dem Platz. Haben Sie das früher speziell trainiert?

"Mein Vater ist mir damit ziemlich auf die Nerven gegangen. Er war in der D-Jugend mein erster Trainer und hat mir die Bälle immer wieder auf den linken Fuß gespielt. Ich wollte viel lieber mit rechts schießen. Heute bin ich ihm dankbar dafür."


Was hat Ihr Vater Ihnen noch beigebracht?

"Jede Menge, schließlich hat er selbst in der zweiten polnischen Liga gespielt. Wichtig war ihm auch, dass ich immer alles gebe - nicht nur auf dem Fußball-Platz. Ich habe nie etwas geschenkt bekommen. Ich war nicht das Ausnahmetalent, sondern ich musste mir alles erarbeiten."


Und was haben Sie von Ihrer Mutter?

(lacht) "Mein Aussehen . . . Spaß beiseite, meine Mutter ist auch eine Kämpferin, sie hat schon mit 17 Jahren in der ersten polnischen Handball-Liga gespielt. Sie hat in ihrer Jugend auch nichts geschenkt bekommen, Polen ist ja schon etwas anderes als Deutschland."


Aber hat man es als Pole nicht leichter, an einer EM teilzunehmen?

"In Polen geht’s

vielleicht schneller"

"Vielleicht würde es dort für mich schneller gehen, Nationalspieler zu werden. Die Polen versuchen immer noch alles, um mich umzustimmen. Aber ich habe mich jetzt für Deutschland entschieden. Wenn mich Dieter Eilts wieder zur U 21 einlädt, dann fahre ich da hin, spiele hoffentlich - und damit hat sich das Thema endgültig erledigt, weil ich dann laut FIFA nicht mehr die Nationalmannschaft wechseln darf."

Warum haben Sie sich für Deutschland entschieden?

"Das war ganz schwierig für mich. Ich bin in Polen geboren, aber in Deutschland aufgewachsen. Deshalb fühle ich mich als Deutscher. Außerdem spiele ich in der Bundesliga, da hätte ich als deutscher Nationalspieler sicher ein anderes Standing. Und ich war verdammt stolz, als ich schon mal in der U 20 und U 21 das deutsche Nationaltrikot tragen durfte."


Hoffen Sie vor der EM noch auf einen Anruf von Bundestrainer Joachim Löw?

"Also erst einmal steht Werder für mich im Vordergrund. Ich muss hier Fuß fassen, dafür gebe ich alles."


Sie haben bei Werder Dusko Tosic als Linksverteidiger abgelöst. War das der erste Schritt zum Stammplatz?

"Mit dem Stammplatz ist das so eine Sache. Ich sehe immer die wöchentliche Arbeit, bei der ich mich gerade als junger Spieler immer neu beweisen muss. Dusko Tosic hat auch viele gute Spiele gemacht, Patrick Owomoyela zuletzt ebenfalls. Der Platz auf der linken Seite ist frei - und den fairen Kampf darum nehme ich gerne an."


Die Erwartungshaltung ist hoch, schließlich hat Werder für Sie im Sommer drei Millionen Euro Ablösesumme an den FC Schalke überwiesen.

"Und ich hatte damals gerade erst neun Bundesliga-Spiele gemacht. Also geht man danach, hat das nicht unbedingt meinem Marktwert entsprochen. Aber natürlich glaube ich, dass ich das Geld wert bin - und Werder wird sich dabei einiges gedacht haben. Klaus Allofs ist schließlich für seine gute Einkaufspolitik bekannt."


Spüren Sie dadurch einen großen Druck?

"Nein, ich empfinde es eher als Wertschätzung. Wenn man in einem Verein die Jugend durchläuft und dann zu den Profis kommt, bleibt man immer der Nachwuchsspieler. Hier wurde ich gleich als Profi empfangen, das hilft."


So ganz verabschiedet haben Sie sich aus Schalke aber noch nicht - zumindest hat Ihr Autokennzeichen immer noch ein GE für Gelsenkirchen.

"Als ich verletzt war, habe ich überhaupt nicht daran gedacht, mein Auto umzumelden. Das war eine schwere Zeit, da hatte ich nur mein Comeback im Kopf. Ich werde das jetzt schnell nachholen, bevor es noch Ärger gibt."


Die schwere Zeit haben Sie gut hinter sich gebracht, Sie wirken sehr zufrieden.

"Ich fühle mich in Bremen sehr wohl. Die Leute lachen viel, obwohl das Wetter hier doch oft schlecht ist. Meine Verletzung ist Vergangenheit. Darüber will ich nicht mehr sprechen. Nur so viel: Für meine Entwicklung war das vielleicht gar nicht so schlecht. Ich fühle mich gestärkt. Denn es war wichtig zu sehen, dass ich nicht den Kopf hängengelassen habe, sondern da mit breiter Brust durch bin."


Dann haut Sie also die gerade im Training erlittene Oberschenkelprellung auch nicht um?

"Auf dem Platz schon - aber nur für zwei Minuten. Ich bin ja gleich wieder aufgestanden und habe weitergemacht - auch wenn’s humpelnd sicher etwas komisch aussah. Aber das wird schon wieder."