Mission Titelverteidigung erfüllt

St. Petersburg. Es hat funktioniert: Deutschlands Tischtennis-Herren haben ihren Mannschaftstitel bei den 27. LIEBHERR Europameisterschaften verteidigt. Sechs Wochen nach dem Gewinn der Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Peking besiegte das Team von Bundestrainer Richard Prause im EM-Finale Weißrussland mit 3:2. Die Deutschen sind erst die dritte Mannschaft in der bisher 50-jährigen EM-Geschichte, die ihren Titel bei den Herren bei der Folgemeisterschaft wiederholen konnte. Außer der Auswahl des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) ist dies bisher nur Seriensieger Schweden und dem vierfachen Champion Ungarn gelungen. „Wir sind nach Russland gekommen, um unseren Titel zu verteidigen, doch gerade nach dem absoluten Saisonhöhepunkt, den Olympischen Spielen, war das sehr schwer“, sagte Richard Prause. „Wir hatten ab dem Viertelfinale nur schwere Lose mit Russland, Österreich und jetzt Weißrussland. Aber wir haben es geschafft, spielerisch und vor allem mental stark zu bleiben und unseren zweiten Mannschaftstitel zu holen.“

Die Dramatik und Hochspannung der Halbfinalbegegnung gegen Österreich hatte das Finale im Sport- und Konzertkomplex am Abend vor rund 1000 Zuschauern zwar nicht ganz, aber dass „wir darauf gerne verzichten können“, sagte Bastian Steger (Frickenhausen/Würzburg), der mit seinem abschließenden Fünf-Satz-Sieg gestern die Partie zu Gunsten der Deutschen entschieden hatte, schon vor dem heutigen Tag. Vier Endspiel-Einzel endeten in drei Sätzen, nur ein Durchgang ging in die Verlängerung. Eng wurde es erst zum Schluss.

Geschlossene Mannschaftsleistung

Wie gegen Österreich war auch diesmal eine geschlossene Mannschaftsleistung der Schlüssel zum Erfolg. Alle Spieler steuerten jeweils einen Punkt bei. Den Grundstein zum Sieg legte Timo Boll im Auftaktmatch gegen Vitaly Nekhvedovich, der in seinen Auftritten zuvor unter anderem Russlands Nummer eins, Alexei Smirnov, hatte bezwingen können. Mit einer jederzeit konzentrierten Leistung hielt der 27-jährige dreifache Europameister von Belgrad die 33-jährige Nummer 161 der Weltrangliste stets auf Distanz und setzte sich in drei Sätzen durch. Bolls Düsseldorfer Teamkollege Dimitrij Ovtcharov musste sich danach im fünften Vergleich mit Europas Nummer eins, Vladimir Samsonov, zum fünften Mal geschlagen geben.

Bastian Steger hatte gegen den immer noch leichtfüßigen 38 Jahre alten Abwehrcrack Evgueni Chtchetinine im ersten Durchgang hart zu kämpfen und musste zwei Satzbälle abwehren. Der Deutsche konnte sich in der Verlängerung durchsetzen, danach dominierte er die Partie. "Nach dem ersten Satz hatte ich das Spiel gut im Griff und war sehr konzentriert." Jörg Roßkopf in seiner neuen Rolle als Assistenztrainer hatte dem 27-jährigen gebürtigen Bayer zuvor Tipps geben können. "2003 habe ich im Mannschaftsfinale den Fehler gemacht, gegen Chtchetinine zu überhastet zu spielen. Gegen ihn muss man auch mal abwarten und ruhig agieren", erklärte Roßkopf die Taktik. "Aber am Ende stehen die Spieler alleine am Tisch." Über seinen ersten Einsatz an der Box sagte er: "Ich hatte bei dieser EM nur eine ganz kleine Funktion. Richie ist derjenige, der die erfolgreiche Hauptarbeit in den vergangenen Jahren geleistet hat."

Ovtcharov setzt Schlusspunkt

Im Spitzenspiel hatte Boll gegen seinen Dauerrivalen Samsonov, der auch im passiven Bereich auf höchstem Niveau agierte, in allen drei Sätzen das Nachsehen. Den Schlusspunkt setzte Ovtcharov, der dem Druck der entscheidenden und am spannendsten verlaufenden Partie gegen Nekhvedovich standhielt. Nach eher deutlich gewonnenem ersten Satz, gab er den zweiten gegen den oft mit seinem schnellen, wie effetreichen Rückhand-Topspin punktenden Weißrussen ab und musste im dritten einen Rückstand aufholen, bevor er mit 2:1 in Führung gehen konnte. Der vierte Satz war dann zunächst eine klare Angelegenheit für den 20-jährigen EM-Dritten im Einzel des Vorjahres. Doch Vitaly Nekhvedovich kämpfte, trotzte den ersten drei Matchbällen Ovtcharovs, bis Deutschlands Nummer zwei aus einer passiven Position in der Halbdistanz mit 11:9 zum Titel punkten konnte. „Es war gegen Österreich schon schwer und jetzt noch einmal. Samsonov hat uns hier keine Chance gelassen. Gegen Nekhvedovich hatte ich am Ende das nötige Quäntchen Glück. Wäre es in den fünften Satz gegangen, hätte ich nicht gewusst, wie das geendet hätte“, sagte Ovtcharov zwischen Erleichterung und Erschöpfung.

"Es ist ein absolut tolles Gefühl." Bastian Steger strahlte über das ganze Gesicht. "Das war wirklich eine super Mannschaftsleistung. Man sagt ja immer, dass die Titelverteidigung schwerer ist, als der erste Titelgewinn. So hat es sich diesmal auch angefühlt." Timo Boll war sogar zu Scherzen aufgelegt. "Wir mussten ja den Zuschauern etwas bieten", sagte er grinsend. "Wir sind überglücklich über den Sieg. Egal wie: Hauptsache, wir haben gewonnen. Das hilft auch für den Einzelwettbewerb, denn zumindest ich hatte schon gegen Russland einen konditionellen Einbruch."

Einsatz verbotener Tuner im Turnier

Die Weißrussen erlebten die Siegerehrung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Hätten wir vor der EM gehört, dass wir hier eine Medaille gewinnen würden, hätten wir uns gefreut, zumal Evgueni leicht verletzt war“, sagte Nationaltrainer Alexander Petkevich. „Weil wir aber das Finale verloren haben, sind wir ein bisschen traurig darüber, unseren Erfolg von 2003 nicht wiederholen zu können.“ Auch Vladimir Samsonov erwies sich in der Niederlage einmal mehr als Sportsmann: „Wir sind froh über die Silbermedaille. Leider konnten wir unsere Führungen im Finale nicht nutzen.“ Er selbst ist im Turnier noch ungeschlagen. „Mit meiner eigenen Leistung bin ich sehr zufrieden“, sagte der ehemalige Düsseldorfer. Bronze gewann neben Österreich das belgische Team.

Auch ein negatives Thema kam in der Pressekonferenz zur Sprache. Bundestrainer Richard Prause hat bei einigen Spielern im laufenden Turnier die seit dem 1. September verbotenen Tuner, zum Teil Frischkleber, ausgemacht, die Tempo und Effet im Spiel verschärfen. Das höre und sehe man, wenn man sich auskenne. „Ich möchte keine Namen nennen, aber hier läuft noch nicht alles nach den Regeln“, so der ehemalige Nationalspieler. „Wir können nur den Weltverband ITTF und die Europäische Tischtennis Union dazu aufrufen, die Kontrollen so bald wie möglich zu verschärfen und das Strafmaß zu erhöhen. So, wie ist derzeit läuft, gibt es keine Chancengleichheit. Aber es ist gut zu sehen, dass man auch Titel gewinnen kann, wenn man sich ans Reglement hält.“

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Damen-Titel geht erstmals an die Niederlande

Bei den Damen gibt es ein neues Siegerteam. An dem angebotenem Sieger-Wodka nippten vor allem die gebürtigen Chinesinnen, Li Jiao und Li Jie, eher nur aus Höflichkeit, der vorangegangene Finalsieg dagegen schmeckte süß. Die Niederlande sind durch einen 3:0-Sieg über Titelverteidiger Ungarn erstmals Mannschafts-Europameister geworden. Mit drei Vier-Satz-Erfolgen setzten sich Li Jiao, Li Jie und an Position drei Abwehrcrack Elena Timina klarer gegen das Toth-Team durch, als erwartet.