Die Roten haben den Einzug in die nächste Runde direkt vor der Nase. Ihnen würde am Mittwochabend beim letzten Auswärtsspiel in der Gruppenphase ein 1:1-Unentschieden reichen, um in die K.O.-Runde einzuziehen. Eine andere Option ist, dass der FC Kopenhagen nicht gegen Vorskla Poltawa gewinnt. Dann könnte Hannover 96 sogar beide noch ausstehenden Partien, nämlich die morgige gegen Lüttich und die gegen Poltawa (15. Dezember), verlieren, sie wären dann trotzdem nicht mehr vom zweiten Platz der Gruppe B zu vertreiben.

Hätte, hätte, Fahrradkette….
Das "Was wäre wenn-Geplänkel" sollte jedoch nicht im Vordergrund der Begegnung der beiden Spitzenteams der Gruppe B stehen. Sich auf andere zu verlassen, ist wohlweißlich nie die beste Idee. Ein Sieg gegen "Standard de Liège" - und alle Rechnerei wäre überflüssig! Mit einem Dreier gegen die Belgier stünden Europas Tore sperrangelweit offen, die Roten könnten auf namhafte Teams wie den FC Chelsea, Manchester City oder den SSC Neapel treffen, die sich in der Königsklasse derzeit alle etwas schwer tun. Sich in Italien die Sonne auf den Bauch scheinen lassen oder englischen Fußballflair mitzunehmen… Hach, was wäre das schön! Das Problem an der ganzen Träumerei ist jedoch, dass diese Wunschvorstellungen selten ohne harte Arbeit in Erfüllung gehen. Denn auch Standard Lüttich hat noch mehr als ein Wörtchen mitzureden, wenn es um die Verteilung der Plätze für die K.O.-Runde der Europa League geht. Ein Spaziergang wird es für die Hannoveraner am Mittwochabend sicher nicht werden.

Heimstarke Lütticher
Besonders wenn man die Heimstärke der Belgier mit berücksichtigt, die in dieser Saison im Maurice Dufrasne-Stadion noch nicht verloren haben. Die Niedersachen hingegen haben sich in der bisherigen Bundesligasaison als eine der schwächsten Auswärtsmannschaften der Liga präsentiert (derzeit Rang 17 der Auswärtstabelle). Ironischerweise entspricht die Spielweise der Roten aber der einer typischen Auswärtsmannschaft – schnelles Umschalten und Konterspiel. Dass sie diese Art des Spiels beherrschen, zeigen sie auch, aber meist nur im Heimstadion. Entgegen der geringen Auswärtsausbeute in der Bundesliga stellt sich die Situation in Europa anders dar: Sowohl das Spiel in Poltawa (2:1) als auch die Sensationspartie in Kopenhagen (2:1) konnten die Leinestädter für sich entscheiden. Ist es der europäische Flair, der sie in der Ukraine und in Dänemark mehr beflügelt hat, als zum Beispiel bei den Partien in Wolfsburg oder Stuttgart? Eindeutig erklären lässt sich dieses Phänomen jedenfalls nicht.

96-Fans dürfen Lüttich nicht betreten
Ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Roten ist auf jeden Fall die Unterstützung der Fans – wie jüngst in Kopenhagen bewiesen wurde. Über 10.000 96-Supporter sorgten für Heimspielatmosphäre im Stadion Parken. Die Mannschaft war überwältigt von dem Rückhalt der Fans und dankte es ihnen mit einer Wahnsinnsaufholjagd. Selbst auf die strapaziöse Fahrt nach Poltawa begaben sich mehrere hundert Anhänger und waren teilweise tagelang unterwegs, um ihrer Mannschaft den Rücken zu stärken. Verständlicherweise, denn seit 19 Jahren ist Hannover erstmals wieder in Europa dabei und natürlich freuen sich die Fans gerade auf diese Fahrten. So war bei der Gruppenauslosung die Erleichterung groß, dass neben Poltawa, auch gut erreichbare Ziele wie Kopenhagen und Lüttich in der Gruppe B landeten. Aber Pustekuchen! Gerade das nächst gelegenste Spiel gegen die Belgier entpuppt sich nun als Reise-Flop. Im Vorfeld der Partie der beiden Europa League-Teilnehmer erinnert die Stadt eher an einen totalitären Staat als an eine Stadt in Westeuropa. Lüttichs Bürgermeister Willi Demeyer, der ebenfalls Polizeichef der Stadt ist, regiert mit harter Hand, zumindest in Bezug auf die 96-Fans. Aus Angst vor Randale darf kein Hannover-Fan die Stadt betreten. Halten sich dennoch Personen in Fanmontur dort auf, droht ihnen ein 24-stündiger Arrest. Erlaubt ist nur die Anreise direkt zum Stadion, erst 90 Minuten vor Anpfiff und nur per Bus – zu Fuß darf sich niemand auf den Weg zum Stadion machen. Abgereist wird selbstverständlich direkt nach Abpfiff. Eine lange Feier nach dem Spiel mit den Spielern, wie es in Kopenhagen der Fall war, dürfte unter den Voraussetzungen wohl wegfallen… Schade, denn bei den Lütticher Verantwortlichen hätte man sich auch an die Gastfreundschaft erinnern können, mit der die Standard-Fans in Hannover empfangen wurden. Dann hoffen wir mal, dass Hannover 96 morgen die Herzen der Fans mit ihrer Spielweise erwärmt und den Einzug ins Achtelfinale klar macht, so dass noch mindestens ein weiteres europäisches Auswärtsspiel die Fans entsprechend entschädigt.

Lüttich schwer auszurechnen
Auf welche elf Standard-Spieler unsere Roten beim Kampf um den K.O.-Runden-Einzug treffen, ist nur schwer zu sagen. Immer wieder würfelte Lüttichs Trainer José Riga seine Mannschaft in den vergangenen Ligaspielen durcheinander. Dem Erfolg hat das freilich nicht geschadet, die Belgier sind in der heimischen Liga seit fünf Spielen ungeschlagen, nach dem 15. Spieltag steht Lüttich auf dem vierten Platz. Im heimischen Stadion ist die Bilanz fast makellos, mit sieben Siegen und nur einem Unentschieden ist Standard das besten Heimteam der Jupiler Pro League. Gefährlichster Angreifer ist Mohamed Tchité, der in der Liga bereits sechsmal und in der Europa League zweimal traf. In den vergangenen fünf Spielen verbuchte der aus Burundi stammende Tchité jeweils einen Treffer, die Abwehr der Roten sollte gewarnt sein! An seiner Seite stürmte zuletzt der Senegalese Mbaye Leye.

Standard-Kapitän van Damme gelbgesperrt
Eine feste Größe beim zehnfachen belgischen Meister ist eigentlich Mannschaftskapitän Jelle van Damme, der aus seiner Zeit bei Werder Bremen auch die Bundesliga kennt. Der Linksfuß muss seinen angestammten Platz im Mittelfeld jedoch auf Grund einer Gelbsperre räumen. In der Abwehr sind Linksverteidiger Sébastien Pocognoli sowie der brasilianische Innenverteidiger Kanu gesetzt, der türkische Nationaltorwart Sinan Bolat ist ein sicherer Rückhalt. Welcher Startformation Riga letztlich das Vertrauen schenkt, bleibt wohl bis zum Schluss offen, zumal der Trainer immer wieder das System veränderte und auch bei Heimspielen auf nur eine Sturmspitze umgestellt hat.

Keine Personalsorgen bei den Roten
Auf Seiten der Roten kann Trainer Mirko Slomka aus dem Vollen schöpfen. Die in der Liga zuletzt gesperrten Didier Ya Konan und Lars Stindl stehen auf internationaler Ebene wieder zur Verfügung, so dass der 96-Coach bei der Aufstellung die Qual der Wahl hat. Stindl dürfte auf seine angestammte Position im rechten Mittelfeld zurückkehren, für "Didi" bleibt zunächst wohl nur die Rolle des Jokers. Hart umkämpft war in den vergangenen Wochen die Rolle des Rechtsverteidigers. Ob Sofian Chahed oder Kapitän Steven Cherundolo im Stadion Maurice Dufrasne beginnen werden, steht noch nicht fest. Doch egal, wer für die Roten auf dem Platz beginnen wird, das Ziel K.O.-Runde haben alle fest vor Augen und werden alles dafür geben!
ms/rk

So könnten sie spielen:

Standard Lüttich: Bolat - Opare, Kanu, Felipe Martins, Pocognoli - Bia, Vainqueur, Buyens, Seijas - Tchité, Leye

Hannover 96: Zieler – Chahed (Cherundolo), Haggui, Pogatetz, Schulz - Stindl, Pinto, Schmiedebach, Pander - Schlaudraff, Abdellaoue

Schiedsrichter: Antonio Damato (ITA)