Da staunt sogar der Spanier

Hannover raus - mit mächtig Applaus

von Stefan Giannakoulis, Hannover
Die Fußballer von Hannover 96 verpassen gegen ein cleveres Team von Atlético Madrid das Halbfinale in der Europaliga. Aber das Publikum feiert die unterlegene Mannschaft so heißblütig, dass sogar die Spanier staunen. Und nicht nur Hannovers Trainer Mirko Slomka hofft auf weitere Partys in der nächsten Saison.

Am Ende hat er sich dann doch noch gefreut. "Ist das immer so?", hatte ein spanischer Journalist gefragt. Er und seine Kollegen seien doch sehr überrascht von der fantastischen Stimmung im Stadion. Richtig heißblütig sei das Publikum hier in Hannover." Mirko Slomka lächelte stolz und sagte: "Unsere Fans sind immer voll dabei. Wir haben hier schon tolle Partys erlebt. Sie dürfen nächstes Jahr gerne wiederkommen."

Er wird die nächste Saison gemeint haben. Erst einmal jedenfalls ist Schluss mit Europaliga in Hannover, weil der Tabellenfünfte der Bundesliga am Donnerstagabend im wichtigsten Spiel der jüngeren Vergangenheit eine der schlechteren Leistungen in dieser Spielzeit zeigte - und deshalb das Rückspiel gegen Atlético Madrid im ersten europäischen Viertelfinale der Vereinsgeschichte ebenso wie das Hinspiel mit 1:2 verlor. Adrian hatte nach 63 Minuten die halbe Hannoveraner Abwehr inklusive Torhüter Ron-Robert Zieler ausgespielt und die Führung für die Gäste erzielt, Mame Diouf mit einen Drehschuss (81.) den Ausgleich erzielt. Doch nur sechs Minuten lang durften die 44.000 Zuschauern zumindest auf eine Verlängerung hoffen, dann schoss Atléticos kolumbianischer Torjäger Falcao den Ball volley in den Winkel des Hannoveraner Tores und zeigte mit seinem achten Treffer im laufenden Wettbewerb, dass auch an einem schlechteren Abend mit ihm zu rechnen ist.

Manchmal gewinnt halt im Fußball der Bessere. Das hatte auch Trainer Mirko Slomka erkannt und konstatierte gefasst: "Atlético ist über beide Spiele der verdiente Sieger." Madrid sei das reifere Team. Und das cleverere. "Meine Mannschaft weiß um ihre tolle Saison, das nehmen wir auch mit. Trotzdem sind wir enttäuscht und niedergeschlagen." Was aber bleibt nach einer wundersamen Reise durch Europa, die Hannover 96 von Sevilla über Lüttich, Poltawa, Kopenhagen, Brügge und wieder Lüttich bis nach Madrid geführt hatte? "Wir haben an Reife gewonnen, das hat man auch in vielen Bundesligaspielen gesehen. Da sind wir auf einem guten Weg." Nun gelte es, sich in der Bundesliga wieder für Europa zu qualifizieren.
"Da galten wir als langweilig"

Wer weiß, wo der Hannoversche Sportverein von 1896 herkommt, der weiß auch, was das bedeutet. Und der versteht, warum die Fans an diesem kühlen Frühlingsabend sich und ihre Mannschaft zwei Stunden lang feierten, als gebe es kein Morgen mehr. Und auf den Rängen eine um zwei Klassen bessere Vorstellung lieferten als die Profis auf dem Rasen. Am Ende hat es halt nicht gereicht, sei’s drum. Nach dem Abpfiff sangen sie: "Wir sind stolz auf unser Team aus Hannover." Und schunkelten zum 96-Walzer. "Du mit mir, ich mit dir."

Seit 2002, nach dunklen Jahren in der Regionalliga und der zweiten Bundesliga, gibt’s an der Leine wieder erstklassigen Fußball, zumindest der Spielklasse nach. Aufregend war das selten, meist sprang am Ende ein Platz im Mittelfeld heraus, irgendetwas zwischen Rang acht und vierzehn. Eine Zeit, über die Manager und Sportdirektor Jörg Schmadtke der "Süddeutschen Zeitung" im Herbst vergangenen Jahres sagte: "Wir hatten acht, neun Jahre in der Bundesliga gespielt, und die Leute haben immer noch gesagt: Hannover, was ist das denn bitte? Da galten wir als langweilig."

Und dann kam der Tag, an dem sich Torwart Robert Enke das Leben nahm, der 10. November 2009. Ein Schock, vor dem sich seine Kollegen nur schwer erholten. "Wir haben nicht nur den Nationaltorhüter verloren, sondern einen ganz wichtigen Pfeiler dieser Mannschaft, als Mensch. Darunter haben wir sportlich sehr lange gelitten." Trainer Andreas Bergmann musste gehen, nach dem ersten Spieltag der Rückrunde übernahm Mirko Slomka. Die Mannschaft verlor auch die folgenden sechs Partien und taumelte Richtung zweiter Liga. Erst am letzten Spieltag vermied sie mit einem 3:0-Sieg beim VfL Bochum den Abstieg.

Ein Geschenk, ein Fußballfest, etwas Außergewöhnliches

Was dann folgte, bezeichnen sie in Hannover gerne als kleines Wunder. Die Mannschaft beendete die Saison 2010/2011 auf dem vierten Tabellenplatz. Und gewann mit der anschließenden Reise durch Europa gewann Sympathien, nicht nur ich Hannover. Plötzlich hieß es: Die können’s ja doch. Jörg Schmadtke, inzwischen Geschäftsführer mit unbefristetem Vertrag, und Übungsleiter Mirko Slomka haben unter der Ägide des Präsidenten Martin Kind für einen allseits beachteten Höhenflug gesorgt, der schlicht und ergreifend das Ergebnis guter und akribischer Arbeit mit klugen Transfers ist. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" bewertete das jüngst so: "Hannover 96 findet immer mehr wertvolle Spieler dort, wo andere offenbar nicht genau genug hingesehen haben." Zuletzt verpflichteten sie Mame Diouf für zwei Millionen Euro von Manchester United. In bisher 13 Spielen schoss er neun Tore.

Das Image des Vereins, der einst als so schrecklich langweilig galt, hat sich gewandelt. Oder wie Jörg Schmadtke sagte: Eigentlich sei das vorher "in der Tat gar kein Image gewesen". Wer gegen Atlético im Stadion war, hat gesehen - und vor allem gehört - dass das jetzt anders ist. Das früher traditionell eher nörglige Publikum unterstützt die Mannschaft mittlerweile auch, wenn es mal nicht so läuft. Und feiert auch, wenn ihr Team sich gegen Madrid in 90 Minuten gerade einmal eine Torchance erarbeitet. Jörg Schmadtke sagte hinterher: "Wir können sehr stolz sein, auch wenn es ein trauriger Moment ist. Das Team hat Unglaubliches geleistet, das darf man auch in dem Moment der Niederlage nicht vergessen. Wir haben eine gute Visitenkarte in der Europa League hinterlassen."

Von der Choreographie, als die hochmotivierten Zuschauer auf der Gegentribüne und in der Nordkurve das schwarze, weiße und grüne Papptafeln hochhielten und so das halbe Stadion mit dem Vereinslogo und der Aufforderung "Vorwärts HSV" bedeckten, über den Begeisterungssturm nach einer Viertelstunde, als Stürmer Didier Ya Konan den ersten Eckball herausholte, bis zu den stehenden Ovationen nach der Niederlage - das Publikum in der niedersächsischen Landeshauptstadt hat den Europapokal als das genommen, was er war: ein Geschenk, ein Fußballfest, etwas Außergewöhnliches. Da staunt sogar der Spanier.

Quelle: n-tv.de