Ein sehr interessanter Artikel vom Spiegel, auf den Yeboah gestoßen ist. Hab den jetzt mal hier reinkopiert, aber hier kann jederzeit gerne jemand was reinposten, der was interessantes findet oder auch eine kritische Stimme zum HSV loswerden will daumenhoch peace



Jojo und der Präsident

Beim Hamburger SV ist ein Machtkampf zwischen Vereinsmitgliedern und dem Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann ausgebrochen. Gestritten wird um die Identität des Spiels: Wem gehört der Fußball, den Bossen oder den Fans?

Seinen letzten Auftritt im Stadion hatte Johannes Liebnau im Dezember gegen Aston Villa. Er stand, wie immer, in der Nordtribüne im Block 22 C. Er hatte sein Megafon dabei und rief: "Hamburger Jungs, Hamburger Jungs." Und aus Hunderten Kehlen hallte es zurück: "Wir sind alle Hamburger Jungs." Liebnau, 26, ist der Vorsänger im Fanblock des Hamburger SV. Ein "Ultra", wie sich jene nennen, die am meisten Stimmung machen. Jeder kennt ihn. Im Sommer tritt er manchmal mit freiem Oberkörper auf. Alle nennen ihn nur "Jojo".

Bernd Hoffmann saß, wie immer, weit von ihm entfernt. Hoffmann, 45, ist der Vorstandsvorsitzende des HSV. Er verfolgt die Spiele seines Vereins in einer Loge, die sich in Block 4 befindet, direkt über dem Spielereingang auf Höhe der Mittellinie. Manchmal, wenn wichtige Geschäftspartner zu Gast sind, werden dort Sekt und Häppchen gereicht. Richtig stimmungsvoll wird es da eher selten. Hoffmann und Liebnau gehören einem Verein an. Sie wollen das Gleiche: dass Hamburg gewinnt. Ansonsten leben sie in unterschiedlichen Welten. Für Hoffmann ist Liebnau ein Kunde, nicht unbedingt ein angenehmer. Ultras sind laut und stehen auf billigen Plätzen. Der Vorstandsvorsitzende schätzt eher die Leute, die Tickets für Business-Seats kaufen.

Doch nun hat Jojo den Präsidenten herausgefordert. Und der HSV-Chef kann nicht so tun, als interessiere ihn das nicht. Es geht um seine Zukunft.

Am kommenden Sonntag wird der neue Aufsichtsrat des HSV gewählt, dessen wichtigste Aufgabe es ist, den Vorstand, also auch Hoffmann, zu kontrollieren. Einer der aussichtsreichsten Kandidaten ist Liebnau, der Ultra aus Block 22 C. Vor vier Monaten gab er seine Kandidatur bekannt. Seitdem herrscht unter den HSV-Anhängern die blanke Hysterie. Hoffmann spricht intern von einem Putschversuch. Liebnau mobilisiert seine Leute für die Wahl. Die Medien spekulieren, ob der Untergang des Clubs bevorstehe. Alteingesessene HSVer sehen ihren Verein in die Kreisliga abstürzen, wenn Leute wie Liebnau die Kontrolle übernehmen.

Es ist ein lokaler Machtkampf, aber auch ein Kampf der Kulturen. Er reicht bis an die Wurzeln des Fußballs. Denn in Hamburg wird stellvertretend auch um die Identität des Fußballs gerungen. Es geht um die Frage, wem das beliebteste Spiel der Welt gehört: den Bossen oder den Fans?

Es ist der Urkonflikt des modernen Fußballs. Er wird ausgefochten, seit der Sport ein Millionengeschäft ist. Zwei Denkweisen prallen aufeinander: die von Stehplatzromantikern und die von gewinnorientierten Managern. In Hamburg wird die letzte große Schlacht geschlagen.

Bernd Hoffmann sitzt in einem Hamburger Literaturcafé. Sein Gesicht ist gebräunt. Er war beim Trainingslager der Mannschaft in Dubai. Er sagt, es gebe Leute, die ihn loswerden wollten, und bestellt Käsekuchen.

Als er zum HSV kam, war der Verein eine Baustelle. Er hat den Club modernisiert. Heute stimmen die Bilanzen, wirtschaftlich und sportlich. Hamburg gehört zu den Titelanwärtern, das Stadion ist fast immer voll, der Umsatz auf 140 Millionen Euro angewachsen. Für Hoffmann ist der HSV ein "mittelständisches Unternehmen mit der Strahlkraft eines Dax-Konzerns".

Was will dieser Liebnau eigentlich?

Hoffmann fällt es schwer, den Herausforderer ernst zu nehmen. Aber er muss es. Fans haben laut Satzung beim HSV eine große Macht, die Supporters stellen mit 45 000 Mitgliedern die größte Fraktion im Gesamtverein. Sie haben einen Vertreter im vierköpfigen Vorstand und eigene Geschäftsräume im Stadion. Es ist ein sehr basisdemokratisch orientiertes Modell und einzigartig in der Bundesliga. Es ist kein Modell, das Hoffmann mag.

Seit fast sechs Jahren führt er den HSV. Er ist einer, der die Dinge anpackt und nicht viel erklärt. Mit dem alten Aufsichtsrat gab es selten Probleme. Bei Sitzungen wurde die meiste Zeit über den aktuellen Tabellenstand geredet und über die Formkurven der Spieler.

Das neue Gremium, so seine Befürchtung, könnte unberechenbar für ihn werden. Vier der zwölf Plätze im Aufsichtsrat sind fest an einzelne HSV-Abteilungen vergeben, einer davon an die Supporters-Fraktion. Für die restlichen Plätze bewerben sich 20 Kandidaten, darunter Liebnau und drei weitere Hoffmann-Kritiker aus dem Kreis der Supporters, von denen einer als Journalist beim SPIEGEL arbeitet.

Hoffmann sieht in ihnen eine Bedrohung. Würden sie ihr Ziel erreichen, könnten sie Mehrheiten gegen ihn bilden und seine Arbeit blockieren. Es würde ihn nicht wundern, wenn Partner des HSV aussteigen, weil ihnen ein Verein, in dem Fans mitreden, zu unseriös ist. Es kursieren sogar Gerüchte über einen Plan, Hoffmann loszuwerden. Immerhin entscheidet der Aufsichtsrat über die Vertragsverlängerung des Vorstands.

Hoffmann ist den engagierten Fans im Verein seit langem suspekt. Er ließ vor gut zwei Jahren das Vereinslokal "Raute" im Stadion für normale Anhänger an Spieltagen schließen. Es dürfen jetzt nur noch VIPs rein. Damals wurden auch Rollbanden im Stadion installiert, damit noch mehr Werbung laufen kann. Die Transparente in der Nordtribüne gingen dazwischen unter, es gab wütende Proteste. Einige Banden sind jetzt verschwunden.

Die Fans hat das nicht besänftigt. Sie fürchten Zustände wie in den Stadien der englischen Premier League, wo zwar die besten Spieler der Welt zu bestaunen sind, die Anhänger sich aber zu einem reinen Event-Publikum dressieren ließen.

Anfang der neunziger Jahre hieß es auf den Tribünen im Mutterland des Fußballs noch "Reclaim the game" - holt euch das Spiel zurück. Dazu ist es zu spät. Die Top-Clubs gehören heute einem thailändischen Multimillionär und morgen einem Scheich aus Abu Dhabi, Spielzeug für die Superreichen. Die Fans sorgen allenfalls noch für die Folklore.

Es ist ein akzeptabler Deal für jene, die Fußball als Bestandteil der globalen Unterhaltungsindustrie sehen. Für Leute wie Liebnau sind solche Zustände die Hölle.

Er gehört der Ultra-Gruppe "Chosen Few" an. Vorige Saison war er bei sämtlichen HSV-Spielen in der Bundesliga, im DFB-Pokal, im Intertoto- und Uefa-Cup, insgesamt 52 Partien, ein "Allesfahrer". Die Ultra-Bewegung hat ihre Wurzeln in Italien. Ihren Vorsänger mit dem Megafon nennen sie "Capo". Ultras sind berühmt für ihre aufwendigen, manchmal atemberaubenden Choreografien, die sie in Stadien inszenieren. Sie dominieren mittlerweile in fast allen Vereinen die Fankurven. Sie verstehen sich als Avantgarde. Ein Ultra feuert seinen Verein 90 Minuten durchgehend an, anders als normale Fans, die nur hin und wieder laut werden.

Zu ihrer Ideologie gehört es, gegen Kommerz zu sein. Sie verstehen sich als Verfechter der wahren Fußballkultur, mit Bier, Blockfahnen und immer neu erdachten Schlachtgesängen. Ultras sind gegen Gewalt, aber wenn sie der Meinung sind, es gehe nicht anders, schlagen sie auch mal zu.

Liebnau hat sich lange überlegt, ob er sich zur Wahl stellen soll. Er hat Betriebswirtschaftslehre studiert und arbeitet als Gebietsverkaufsleiter für die Carlsberg-Gruppe, die mit der Biermarke Holsten den HSV sponsert. Er ist clever, er kann gut reden. Im Job trägt er dunkle Anzüge.

Aber er ist auch Jojo, der Capo. Er bietet eine gute Angriffsfläche.

Nachdem seine Kandidatur bekanntgeworden war, erschien in der "Bild"-Zeitung eine Geschichte über ihn. Der Artikel beschrieb, wie sich Liebnau bei einem Spiel als Capo benimmt. Zum Beispiel, dass er rüde Schmähgesänge anstimmt, die Rivalen aus Bremen als "Hurensöhne" beschimpft und singt: "Tod und Hass dem SVW". Am Ende des Artikels wurde die Frage gestellt: Was sagt eigentlich sein Arbeitgeber dazu?

Liebnau bot seinem Chef an, seine Kandidatur zurückzuziehen. Aber der versicherte seinem Angestellten, ihm würde kein Nachteil durch sein Engagement entstehen. Trotzdem ist Liebnau angeschlagen, weil er zwischen die Fronten geraten ist und Angst hat, womöglich aufgerieben zu werden.

Seitdem ist die Stimmung überhitzt. Weil Hoffmann im März vergangenen Jahres dem Hamburger Sportchef von "Bild" eine Uhr im Wert von über 1000 Euro zu einem Dienstjubiläum geschenkt hat und auch die Laudatio hielt, glauben die Unterstützer Liebnaus an eine Kampagne Hoffmanns.

Der HSV-Chef bestreitet dies, er sieht sich zu Unrecht als eiskalter Machtmensch dargestellt. Er besucht den Neujahrsempfang von Amateurabteilungen in Norderstedt und das HSV-Leichtathletikfest "1000 Zwerge". Doch viele nehmen ihm diese Volkstümlichkeit nicht ab. Am Ende bleibt immer der Eindruck, Hoffmann würde die Zeit eigentlich lieber nutzen, neue Geldquellen für den HSV zu erschließen.

Fußballfans befinden sich regelmäßig in einem emotionalen Ausnahmezustand. Sie wissen immer alles besser. Sie sind in der Lage, gestandene Profis als Fußkranke zu beschimpfen, obwohl sie selbst eine Bierwampe vor sich her schleppen. Logisch ist das nicht. Aber so ist Fußball.

Bei Real Madrid oder dem FC Barcelona, zwei Weltvereinen, leben die Clubbosse seit je mit diesem unberechenbaren Potential an Irrationalität. An den "socios", den Mitgliedern, kommt dort kein Präsident vorbei. Wer an die Spitze der Clubs gelangen will, muss sich Direktwahlen stellen, und auch während einer Amtsperiode üben Fandelegierte weitreichende Kontrolle aus.

Um von den über 70 000 Mitgliedern zum Präsidenten von Real Madrid gewählt zu werden, steckte der Anwalt Ramón Calderón 2006 mindestens eine Million Euro in seine Kampagne. Calderón, der vorigen Freitag nach Betrugsvorwürfen von seinem Amt zurücktrat, hielt sich offenbar auch hartgesottene Anhänger wie die "Ultras Sur" gewogen, eine Gruppe Rechtsradikaler, die ihm zuletzt als Mehrheitsbeschaffer diente - auch deshalb, weil sie Kritiker mit zuweilen rüden Methoden einschüchterte.

Liebnau sagt, ihm und seinen Mitstreitern gehe es nicht um mehr Macht. Sie wollen, dass Hoffmann sie respektiert. Ihren Dampf lassen sie in einem eigenen Magazin ab, den "Supporters News". Dort erscheinen auch mal kritische Artikel über Hoffmann. Deshalb gibt es oft Krach mit ihm.

Seit ein paar Wochen läuft der Wahlkampf. Liebnau und seine Kollegen versuchen, ihre Leute zu mobilisieren. Sie fahren gemeinsam zu Fanclubs wie "Rautengeil" in Fallingbostel, werben in Oldenburg, in Köln, im Ruhrgebiet. Manche haben schon mehr als 20 Auftritte hinter sich.

Hoffmann äußert sich nicht öffentlich zu den Kandidaten. Aber er hat die Versammlung strategisch vorbereitet. Den Termin legte er bewusst in die Winterpause. Er wollte vermeiden, dass die Wahl womöglich von einer Niederlagenserie überschattet wird und feindselige Emotionen hochkochen. Er wählte die spielfreie Zeit auch, weil da sonst wenig los ist. Kandidaten wie der ihm genehme frühere HSV-Profi Sergej Barbarez, so sein Kalkül, bekämen dann mehr Raum in den Hamburger Medien.

Zerstören Managertypen wie Hoffmann den Fußball? Oder verbessern sie das Produkt?

Nirgendwo wird so schön gespielt wie in Manchester, Liverpool oder London, bei Traditionsclubs, die auch von Geschäftsleuten wie Hoffmann umgebaut wurden und die heute rigoros den Gesetzen des Kapitalmarktes gehorchen.

Auch die Bundesliga brummt. Die Stadien sind voll. Aber für das Spiel gegen Werder Bremen verlangten sie beim HSV für einen Sitzplatz bis zu 97 Euro. Liebnau, der Ultra, sagt: "Da gehen einige Menschen verloren, weil die das Geld nicht haben."

Er sagt, er wolle den Fußball für die einfachen Leute retten. Zur Abstimmung im Hamburger Kongresszentrum, Halle H, rund 6000 Sitzplätze, werden die HSV-Supporters in Fanbussen anreisen. Es gibt natürlich keine Umfragen, keine Prognosen, niemand im Verein kann die Lage wirklich einschätzen. Aber alle wissen, dass bei so einer Mitgliederversammlung viel passieren, die Stimmung schnell kippen kann.

Hoffmanns Vertrag läuft noch drei Jahre, aber er wird nachdenken müssen, wenn Liebnau und seine Kollegen gewählt werden. Es hört sich etwas zynisch und beleidigt an, wenn Hoffmann in diesen Tagen über den HSV spricht. Er sagt, es gebe Vereine, wo man Unternehmertum noch schätzt und zu denen er gute Kontakte hat. Es soll klingen wie eine Drohung, wenn er so redet.

Am 30. Januar beginnt die Rückrunde der Bundesliga. Der HSV spielt gegen die Bayern. Egal wie die Wahl ausgeht, Johannes Liebnau wird da sein, mit dem Megafon in Block 22 C.






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