"Der HSV ist größer, als viele denken"

Erst ging Rafael van der Vaart, dann Nigel de Jong und bald Ivica Olic. Immer wieder muss Hamburgs Trainer Martin Jol von vorn beginnen. Er tut das, weil er mit dem Verein einiges vorhat und den Unterschied zum FC Bayern für gar nicht so groß hält wie andere

Gespräche mit Martin Jol, 53, verlaufen meist angenehm. Der Trainer des Hamburger SV macht es sich dann auf irgendeinem Polstermöbel der Geschäftsstelle gemütlich, trinkt Cappuccino und verfällt mit seiner Bassstimme gern mal ins Plaudern. Wie über den im Sommer abgewanderten Rafael van der Vaart. Seinen niederländischen Landsmann schätzt Jol sehr - und würde ihn am liebsten zurückholen.

Welt am Sonntag:

Empfinden Sie Mitleid für Rafael van der Vaart?

Martin Jol:

Warum?

Weil sich sein Traum von Real Madrid zunehmend in einen Albtraum verwandelt.

Jol:

Ja, das tut mir wirklich leid. Ich verfolge Rafaels Entwicklung genau. Wenn er in Hamburg geblieben wäre, hätte er zu einer Legende werden können. Wie Uwe Seeler oder wie Kevin Keegan.

Haben Sie schon darüber nachgedacht, ihn zurückzuholen?

Jol:

Sagen wir es so: Wenn Rafael die Entscheidung für sich trifft, Real Madrid wieder zu verlassen und nach Deutschland zurückzukommen, dann kann es für ihn nur einen Verein geben - und das ist der HSV. Wir sind auf jeden Fall ganz dicht an ihm dran, wissen, wie er empfindet. Allein schon durch die enge Freundschaft zwischen ihm und Joris Mathijsen.

Sie würden also nicht zögern?

Jol:

In den Jahren, in denen Rafael in Hamburg gespielt hat, war er an fast der Hälfte aller Tore beteiligt. Über seinen sportlichen Wert muss man sicher nicht diskutieren.

Durch den Verkauf von Nigel de Jong ist die Klubkasse sehr gut gefüllt.

Jol:

Das sagen Sie. Wir sollten das besser nicht alle wissen lassen.

Manchester City hat im Winter fast 20 Millionen Euro für de Jong bezahlt. Freuen Sie sich schon auf die Transferperiode im Sommer?

Jol:

Wenn es so weit ist, werden wir unsere Pläne sehr konkret umsetzen. Der Vorstand und ich haben da ganz klare Vorstellungen - und ich kann jetzt schon versichern, dass der HSV dadurch noch besser werden wird.

Holen Sie Mark van Bommel?

Jol:

Bisher war es so, dass van Bommel unbedingt beim FC Bayern bleiben wollte.

Bietet der HSV mit, wenn sich van Bommel und die Bayern nicht auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit einigen können?

Jol:

Ich kann nicht in die Zukunft schauen, ich weiß nicht, wie sich seine Situation in München in den nächsten Wochen entwickelt.

Wohl wahr, aber damit haben Sie die Frage nicht beantwortet.

Jol:

Er ist eine Führungsfigur. Ein Typ, der immer gewinnen will. Wer sind wir, wenn wir kategorisch ausschließen würden, dass uns so ein Typ nicht weiterhelfen könnte?

Haben Sie auch schon Kontakt nach München aufgenommen?

Jol:

Nein, es gab keine Gespräche.

Es heißt, Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer sei gegen van Bommel, weil er ihm mit 31 Jahren schon zu alt ist.

Jol:

Bei uns gibt es nicht zwei Lager, der Vorstand und ich sitzen in einem Boot. Es wird über gewisse Themen diskutiert, bis man zu einer gemeinsamen Überzeugung kommt und Entscheidungen trifft.

Der Hamburger SV hat sich um Marko Marin bemüht, Borussia Mönchengladbach lehnte das Angebot jedoch ab. Wird es im Sommer einen weiteren Anlauf geben?

Jol:

Ich schätze meinen Kollegen Hans Meyer sehr, das ist ein hervorragender Mann, und es ist nicht in meinem Sinn, mit Aussagen über einen seiner Spieler in Mönchengladbach für Unruhe zu sorgen. Marin gehört sicher zu den größten Talenten im deutschen Fußball. Aber grundsätzlich spreche ich lieber über meine eigenen Spieler.

Zum Beispiel Ivica Olic, den es zur neuen Saison zum FC Bayern zieht. Enttäuscht Sie das?

Jol:

Wenn für unsere Stars wie van Rafael der Vaart oder Nigel de Jong Angebote im Bereich von 15 oder 20 Millionen Euro abgegeben werden, müssen wir das akzeptieren. Noch sind wir nicht in der Lage, in solchen Situationen abzulehnen. Ivica Olic ist im Sommer ablösefrei, er war in einer für ihn sehr komfortablen Verhandlungsposition. Wir haben in unseren Gesprächen mit ihm eine Schmerzgrenze festgelegt. Als Juventus Turin und der FC Bayern München dann eingestiegen sind, war klar, dass es schwer werden würde, ihn zu halten. Aber es ist unser Ziel, dahin zu kommen, dass wir selbst bestimmen, welche Spieler bleiben oder gehen.

Erst van der Vaart, dann de Jong, bald Olic - nervt es Sie, immer wieder neu anfangen zu müssen?

Jol:

Kein Trainer auf der Welt ist glücklich und zufrieden, wenn man gezwungen ist, seine besten Spieler abzugeben. Aber manchmal muss man einen Schritt zurückgehen, um dann zwei oder drei Schritte voranzukommen. Das gehört zum Entwicklungsprozess. Wenn man sieht, dass wir trotzdem so gut dastehen in der Bundesliga, im DFB-Pokal und im Uefa-Cup, dann ist das aus unserer Sicht ein Beleg dafür, dass wir auf einem guten Weg sind.

Ihre Mannschaft wirkt aber ein wenig unberechenbar. Dem Sieg über die Bayern folgte die Niederlage in Karlsruhe. Warum?

Jol:

Wir sind noch nicht gefestigt, nicht abgeklärt genug. Natürlich war ich nach dem Spiel in Karlsruhe sehr böse, sehr verärgert. Aber das hatte sich nach einer Stunde wieder gelegt. Denn ich weiß, dass es immer wieder Rückschläge geben wird. Die Balance stimmt noch nicht zu hundert Prozent. Aber daran arbeiten wir Tag für Tag.

Im Winter kamen sechs neue Spieler hinzu. Hat das für Unruhe gesorgt?

Jol:

Wenn Spieler dazu kommen, dann läuft das nie geräuschlos ab. Die Hierarchie ordnet sich neu, jeder wird beäugt. Aber es war in unserer Situation absolut notwendig. Wir konnten schließlich nicht mit 15 Leuten in die Rückrunde gehen. Von den Spielern, die wir geholt haben, sind wir absolut überzeugt. Und fünf der sechs Zugänge wurden auf Leihbasis verpflichtet. Das Risiko - wenn man es denn so nennen will - ist also sehr gering.

Was ist drin für den HSV?

Jol:

Ich sage meinen Jungs immer: Alles, was wir uns in den Kopf setzen, können wir auch tatsächlich erreichen. Bis jetzt haben wir es sehr gut gemacht. Und es ist sicher noch Luft nach oben.

Die Fans lechzen nach einem Titel, zuletzt gewann der HSV 1987 den DFB-Pokal. Spüren Sie, wie hoch der Anspruch im Umfeld ist?

Jol:

Ja, das spüren wir. Und es ist auch unser Ziel, diese Phase zu beenden. Die Spieler werden alles tun dafür, ich werde alles tun dafür und die Verantwortlichen werden ebenfalls alles tun dafür.

Immer wieder werden Sie woanders, vor allem in England, ins Gespräch gebracht. Sehen Sie den HSV als Lebenswerk oder - wie van der Vaart - als Durchgangsstation?

Jol:

In Europa wissen viele Leute gar nicht, wie groß der HSV ist. Selbst in England gibt es nur ein paar Vereine, die sich mit uns vergleichen könnten. Ich finde auch, dass der Unterschied zwischen dem FC Bayern und dem HSV gar nicht so groß ist. Ich weiß, was ich an Hamburg habe, und denke, dass die Konstellation mit dem Vorstand sehr gut passt. Deshalb kann ich mir vorstellen, länger zu bleiben. Aber ich messe meine Arbeit am Erfolg. Wenn man etwas gewinnt, wird man noch hungriger. Wenn es nur Arbeit ist, könnte ich mich auch irgendwo ins warme Büro setzen.


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