Der Hamburger SV ist zu naiv für die Spitze

Auch in der Rückrunde scheinen sich beim Hamburger SV starke Leistungen zu Hause mit enttäuschenden Auftritten und Punktverlusten bei Auswärtsspielen abzuwechseln. So verloren die Hanseaten in Karlsruhe eine schon gewonnen geglaubte Partie – und müssen einsehen, dass sie für den ganz großen Wurf zu naiv sind.

Der Dauerregen konnte den Fans des Hamburger SV nichts anhaben. Im Gästeblock des Wildparkstadions hüpften 4000 Anhänger beschwingt auf und ab, beseelt vom Auftreten ihrer Mannschaft. „Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey?“, sangen sie im Chor, und einige von ihnen reckten voller Stolz und Überzeugung die Plastikversion der Meisterschale in die Höhe. Nach dem Führungstor durch Paolo Guerrero (7. Minute) hatte Collin Benjamin (48.) gerade das 2:0 erzielt. Doch dann nutzte der bis dahin harmlose und mit dem Spiel überforderte Karlsruher SC die größte Schwäche der Hamburger, nämlich ihre Naivität.

„Wir haben uns selbst geschlagen“, fasste Martin Jol später knapp zusammen, was die Gäste im weiteren Verlauf dieser Partie durchlebt hatten: Pleiten, Pech und Pannen. Der Trainer des HSV haderte mit den „unzähligen Fehlern“, die „in der Jugend, aber nicht in der Bundesliga“ passieren dürften. „Wir sind kein Spitzenteam. Dafür fehlt es uns an Abgeklärtheit. Es ist unglaublich, so ein Spiel noch zu verlieren. Aber ich werde nicht ratlos, das bin ich ja von uns gewöhnt“, sagte Jol.

Schon in der Hinrunde hatte seine Mannschaft auswärts die nötige Souveränität vermissen lassen, in Karlsruhe setzte sich das fort. Nach einem katastrophalen Fehler von Michael Gravgaard, der den Ball über den Spann rutschen ließ und Sebastian Freis (49.) damit zum Anschlusstreffer verhalf, brach beim HSV das Chaos aus. „Danach haben wir komplett die Ordnung verloren“, stellte der Hamburger Trainer später fest. Der Abstiegskandidat nutzte weitere Schnitzer der Gäste, zunächst durch Giovanni Federico (53.) zum Ausgleich und in der Nachspielzeit erneut durch Freis zum Sieg.

Verteidiger Gravgaard, der einzige von den sechs Wintereinkäufen in der Startformation des HSV, war auch am zweiten und dritten Gegentreffer beteiligt gewesen und zog daher den Zorn von Martin Jol auf sich. „Willkommen in der Bundesliga“, höhnte der Niederländer und sprach ganz offen von einem „schlechten Einstand“ des Dänen, der auf Leihbasis vom französischen Erstligaklub FC Nantes verpflichtet worden war. „Wenn man 18 Jahre alt ist, dann kann das passieren. Aber Michael ist ein erfahrener Mann“, klagte Jol nach der Niederlage.

Der 30-jährige Abwehrspieler nahm die Rolle des Hauptschuldigen tapfer an. „Es tut mir sehr Leid für die Mannschaft. Wir hatten das Spiel ja in der Hand, bis mir dieser blöde Fehler unterlaufen ist“, sagte Gravgaard, der später in der Kabine von den Kollegen nicht aufgebaut wurde. „Da hat niemand etwas gesagt, aber das kann ich verstehen. Wir waren alle sehr enttäuscht.“

Doch es wäre zu einfach, allein den Dänen an den Pranger zu stellen. Denn der HSV ließ nach einer starken Anfangsphase und der frühen Führung „den Killerinstinkt“ vermissen, wie es Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer zum Ausdruck brachte: „Die letzte Aggressivität und Zielstrebigkeit hat uns gefehlt, der unbedingte Wille, das Spiel nach Hause zu bringen.“

Eine gewisse Arroganz, erklärte Beiersdorfer, sei durchaus angebracht, um Überlegenheit zu demonstrieren. „Aber wenn so ein Spiel dann am Ende noch verloren geht, muss man damit leben, dass der Mannschaft dies als Überheblichkeit ausgelegt wird.“ Ansonsten war Beiersdorfer bemüht, Gelassenheit auszustrahlen. „Wir stecken das weg, es geht weiter“, versicherte das Klubvorstandsmitglied.



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