Ein Mann, der nicht weiß, was er will

Er gibt sich gern als integre, loyale, gradlinige Fußballgröße mit besten Absichten, einem innerem Kompass und unumstößlichen Werten. Doch mit seiner verkorksten Bewerbungstour beim HSV hat sich Matthias Sammer ins Abseits gestellt.

Von Michael Horeni



24. Januar 2011

Als Matthias Sammer rund einen Monat in Diensten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) stand, bat ihn Theo Zwanziger in der Zentrale zu einem Gespräch. Sammer sollte dem DFB-Präsidenten über seine ersten Erfahrungen als Sportdirektor berichten. Wie er die Dinge auf dem neuen Posten auf den Weg bringen wolle und welche Weichen er schon gestellt habe. Es war so etwas wie Sammers Antrittsrede. Zwanziger war gespannt. Er hörte aufmerksam zu und fragte interessiert nach. Sammer aber redete so floskelhaft daher, als ob das Fernsehen von ihm ein Neunzig-Sekunden-Statement nach dem Spiel gefordert hätte. Nach kurzer Zeit hatte Zwanziger genug. Er unterbrach das Gespräch, verließ den Raum und führte ein Telefonat. Sammer sagte, das sei kein Problem. Vielleicht hatte er gar nicht bemerkt, wie er sich bei seinem ersten Auftritt blamierte. Und vielleicht merkte Sammer das auch nicht nach seinem jüngsten Auftritt in der DFB-Zentrale.

Seine krachende Absage für den Sportdirektorposten beim HSV ist selbst in einer Branche, in der Bierdeckelverträge und Managerkündigungen durchs Klofenster Geschichte machten, ein starkes Stück. Nach wochenlangen Verhandlungen und einem schon detailliert ausgearbeiteten Vertrag hat sich ein verunsicherter und ständig telefonierender Sammer, wie Teilnehmer der DFB-Präsidiumssitzung berichten, am Freitag überraschend entschieden, das Angebot in letzter Minute, die ihm der DFB gab, noch abzulehnen. Den HSV hat er mit seiner Absage desavouiert – und sich selbst, davon darf man ausgehen, auf unabsehbare Zeit im Fußballgeschäft unmöglich gemacht.

Beim clever taktierenden Deutschen Fußballbund, bei dem er noch bis 2013 unter Vertrag steht, wird Sammer nach seinem Wechseltheaterauftritt aber kaum mehr ernst genommen. Das Verhältnis zu Zwanziger hatte schon zuvor gelitten, weil Sammer seit längerem öffentlich auf seine Situation im Schatten von Bundestrainer Löw aufmerksam machte, die ihm nach diversen Niederlagen in Sach- und Machtfragen immer weniger gefiel. Manche sehen Sammer nun auf dem Abstellgleis als „ewiger DFB-Jugendwart“.

Sammer verschwand am Freitag wortlos durch die Tiefgarage – für viele als ein Mann, der nicht weiß, was er will. Der sich zwar vom Reiz eines lukrativen Angebots über Wochen gerne locken ließ und damit Erwartungen weckte, wenn nicht gar mit Versprechungen garniert, die aber für ihn dann doch nur im Konjunktiv existierten. In den Sonntagsblättern von „Bild“ und „Welt“, wo Sammer jahrelang sein Geld als Kolumnist verdiente, tauchte er dann in Interviews wieder auf als der Mann, der er gerne sein würde; eine integre, loyale, gradlinige, verlässliche Fußballgröße mit besten Absichten, einem innerem Kompass und unumstößlichen Werten. Ein Mann also, wie man ihn sich für Führungsaufgaben nur wünschen kann. „Ich bin mit mir im Reinen“, sagte Sammer nach einem Abgang, dem neben der Konsequenz auch die Klasse abhandengekommen war.

Kein einziger sachlicher und triftiger Grund

Sammers Strategie ist simpel. Er lehnt es rundweg ab, auch nur einen Funken Verantwortung für das Chaos zu übernehmen, das er in Hamburg angerichtet hat. Er schiebt die Schuld für die Entwicklung, die in der Liga vor allem Kopfschütteln hinterlässt, ganz allein dem neuen HSV-Aufsichtsratschef Rieckhoff zu, weil der am Dienstag nach Sammers vierstündiger Präsentation seine Erwartung äußerte, den Deal nach wochenlangen Verhandlungen in Kürze über die Bühne zu bringen. Ja, was sonst? Aber Sammer sagt: „Über diesen Schritt war ich schon verwundert. Der HSV-Aufsichtsrat wusste, dass ich unter anderem noch in Ruhe einige persönliche Dinge klären wollte. Es sollte auf keinen Fall zeitlicher Druck entstehen.“

Persönliche Dinge klären? Im nächsten Atemzug sagt Sammer, seine Familie habe nichts dagegen gehabt, was nach mehrwöchigen Verhandlungen auch nicht wirklich überrascht. Auch ansonsten nennt Sammer keinen einzigen sachlichen und triftigen Grund, um in seiner Absage nichts anderes als Wankelmut zu erkennen. Und er schiebt treuherzig hinterher: „Es war für mich moralisch sehr wichtig, dann ein klares Bekenntnis zu meinem Arbeitgeber auszusprechen.“
Löws Position hat Sammer gestärkt

Natürlich, denn der DFB-Sportdirektor ist seit Jahren bemüht, auch als moralische Instanz im Fußballgeschäft wahrgenommen zu werden, dem es um mehr gehe als nur um Geld, das eigene Ego und die Karriere. Nämlich um einen respektvollen Umgang miteinander, um Ideale für die Jugend, die er mit einem Konservatismus vertraut machen will, der mit beiden Beinen auf der Erde stehe.

Beim DFB aber, so steht zu vermuten, dürfte Sammer nach seiner verkorksten Bewerbungstour ziemlich in der Luft hängen. Seine Verhandlungsposition, das haben Bundestrainer Löw und Manager Bierhoff vermutlich mit stillem Vergnügen zur Kenntnis genommen, ist in der latenten Streitsache um U-21-Trainer Adrion weiter geschwächt. Löw will Adrions Vertragsverlängerung noch im Januar klären. Sammer hat das Vertrauen in den U-21-Trainer verloren. Aber die Frage ist mittlerweile eine ganz andere. Wie will Sammer nach der Hamburger Affäre, die weit eher einem Heiratsversprechen glich als einem Flirt, seine Glaubwürdigkeit beim DFB zurückgewinnen?

Text: F.A.Z.

https://www.faz.net/s/RubBC20E7BC6C204B29BADA5A79368B1E93/Doc~EF17A27F7ED2E4131BB9CB6587D487306~ATpl~Ecommon~Scontent.html


ein großartiger beitrag!

und nein, das war mal keine ironie


.