Die Chronologie des Zerfalls

Der Graben zwischen HSV-Trainer Labbadia und seinen Spielern ist tief. Das Zerwürfnis nahm im Dezember seinen Anfang


Das Verhältnis zwischen HSV-Trainer Bruno Labbadia und seiner Mannschaft ist seit Wochen stark belastet, in einzelnen Fällen inzwischen sogar zerrüttet. Wie es dazu innerhalb kurzer Zeit nach dem besten Bundesliga-Saisonstart der HSV-Geschichte überhaupt kommen konnte, zeigt die nachfolgende Chronologie. Mit nicht weniger als acht Stammspielern, darunter praktisch alle etablierten Leistungsträger, hatte Labbadia seither erheblichen Stress.


Frank Rost: Mitte Dezember wurde der Vertrag des Torwarts um ein Jahr bis 2011 verlängert. Rost betonte, dass er seine Karriere gern in Hamburg beenden und so lange spielen wolle, wie er in der Lage sei, auf hohem Niveau Leistung zu bringen. Ein paar Tage danach plauderte Labbadia als Redner bei der Mitgliederversammlung aus, dass man jetzt schon wisse, "in anderthalb Jahren einen neuen Torwart" zum HSV zu holen. Der 36-Jährige wurde von dieser öffentlichen Aussage überrascht: "Ich kann nicht so weit vorausschauen, aber wenn der Trainer das sagt, dann ist das wohl so." Zuletzt zeigte sich Rost, der eine starke Saison spielt, wieder kämpferischer: "Ich lasse es offen, wann ich meine Laufbahn beenden werde und versuche einfach, so gut es geht zu halten. Manchmal ändern sich gewisse Dinge im Fußball ja auch ganz schnell." Das Verhältnis zwischen Rost und Labbadia ist seither angespannt. Nachdem der Trainer dem Routinier nun "Disziplinlosigkeit" vorwarf, weil dieser am Freitag vor dem Spiel gegen Mainz einen unangemeldeten Kinobesuch mit einigen Kollegen organisierte, trat Rost aus dem Mannschaftsrat zurück.

Dennis Aogo: Der Linksverteidiger zählt zu den absoluten Stammkräften, nach der Einladung zum DFB-Leistungstest hoffte er auf sein Länderspieldebüt und brannte darauf, im Topspiel Ende Februar beim FC Bayern für Tribünengast Joachim Löw vorzuspielen. Doch in München strich Labbadia den 23-Jährigen zum ersten Mal aus der Startelf - ohne Aogo diese Maßnahme zu erläutern.

Jerome Boateng: Ende Oktober, im Heimspiel gegen Mönchengladbach (2:3), verletzte sich der 21-Jährige, doch Labbadia wechselte ihn nicht aus, ließ ihn eine halbe Stunde über den Platz humpeln. Boateng berichtete nach dem Abpfiff, "so starke Schmerzen wie noch nie" verspürt zu haben. Jeder im Stadion sah, dass der Verteidiger eigentlich nicht mehr weitermachen konnte, doch der Trainer blieb stur. Auf den Rängen wurde es unruhig, mit jeder hölzern wirkenden Szene verunsicherte Boateng auch seine Mitspieler. So verspielte der HSV eine 2:1-Führung - und verlor. "Boateng hat ja nur mit einem Bein gespielt", befand Ze Roberto und kritisierte somit wie einige andere auch die Entscheidung des Trainers, nicht zu wechseln. Seither war das Verhältnis zwischen Boateng und Labbadia sehr angespannt, wochenlang erhielt David Rozehnal im Abwehrzentrum den Vorzug, obwohl der Tscheche nur Konstanz im Produzieren von Anfängerfehlern zeigt.

Ze Roberto: Der Brasilianer war recht früh genervt davon, dass die Trainingseinheiten ständig von Labbadia unterbrochen werden, dass die Spieler dadurch so viel herumstehen - und frieren. Nach seiner Verletzung bat er darum, die Reha-Maßnahmen in der Heimat absolvieren zu dürfen, Labbadia bestand jedoch darauf, Ze Roberto Anfang Januar mit ins Trainingslager in die Türkei zu nehmen. Ze Roberto schwänzte, Labbadia klagte darüber, dass es "einen Spieler gäbe, der aus der Gruppe ausschert". Nach der Rückkehr des Teams reiste auch Ze Roberto in die Hansestadt, seither spielt er immer, wirkt aber häufig unbeteiligt und lustlos. So auch zuletzt gegen Mainz. Während einer Aussprache zwischen Vorstand, Trainer und Mannschaft soll Ze Roberto kürzlich vor versammelter Gruppe gesagt haben, dass er 35 sei und sich nicht von einem "ein paar Jahre älteren Trainer" sagen lasse, welche Laufwege er zurückzulegen habe.

Piotr Trochowski: Der Nationalspieler sagt zwar, es gebe kein Duell oder eine Privatfehde zwischen ihm und dem Trainer, das Vertrauensverhältnis ist aber komplett zerstört. Trochowski wurde - so ist zumindest die öffentliche Wahrnehmung - im Verlauf dieser Saison von Labbadia gedemütigt. Obwohl in Jansen und Elia zwei Außenbahnspieler langfristig verletzt ausfallen, fristet der 26-Jährige meist ein Reservistendasein. Der Trainer stört sich an der Defensivschwäche des Publikumslieblings. Erst gegen Mainz durfte er wieder von Beginn an spielen - und war bester Hamburger.

Ruud van Nistelrooy: Ende März in Mönchengladbach (0:1) wollte sich der 33-Jährige vor den Augen des niederländischen Nationaltrainers Bert van Maarwijk für den WM-Kader empfehlen. Doch Labbadia nahm den Superstar bereits Mitte der zweiten Hälfte vom Platz und kritisierte hinterher öffentlich die Leistung des Angreifers. "Ruud war die fehlende Spielpraxis deutlich anzusehen, er war nicht spritzig genug, zeigte zu wenig Laufbereitschaft." Ähnlich wie Ze Roberto soll auch van Nistelrooy den Trainer im Rahmen der Aussprache vor der Mannschaft und im Beisein des Vorstands angezählt und ihn davor gewarnt haben, noch einmal öffentlich über seinen körperlichen Zustand herzuziehen.

Mladen Petric: Der Angreifer äußerte in der vergangenen Woche den Wunsch, "etwas kürzer zu treten im Training", nachdem er schon seit Wochen mit Adduktorenproblemen zu kämpfen hatte und sich in den Spielen in Lüttich und Bochum fitspritzen ließ. Nach Absprache mit Labbadia nahm Petric aber doch am Training teil - und zog sich einen Muskelfaserriss zu. Nun fehlte Petric gegen Mainz, ebenso verpasst er die Halbfinalspiele in der Europa League gegen Fulham. Petric sprach von einer "alles andere als idealen Kommunikation" zwischen ihm, dem Trainer und dem Teamarzt Nikolai Linewitsch.

David Jarolim: Eigentlich gilt der Kapitän als letzter treuer Befürworter des Trainers, doch am Sonnabend gegen Mainz nahm Labbadia den "Chef" nach 70 Minuten vom Platz und brachte beim Stand von 0:1 den Bundesliga-Debütanten Sören Bertram (19). Die Fans pfiffen, Jarolim war verärgert: "Das will ich jetzt gar nicht kommentieren, ich will nichts Falsches sagen." Auch die anderen Profis zeigten wenig Verständnis, wie Abwehrchef Joris Mathijsen: "Das war die Entscheidung des Trainers. Ich habe keine Ahnung, warum er das gemacht hat."


www.welt.de


.