Taktikschulung statt Medizinbälle

Im Trainingslager des FSV Mainz 05 stehen intensive Ballarbeit und die Optimierung des Pressings im Mittelpunkt

Auch das ist eine Kunst. Die Zweitligafußballer des FSV Mainz 05 sind nach acht Tagen im Winter-Trainingslager in Andalusien müde, aber nicht kaputt. Mitten aus der vollen körperlichen Belastung heraus schlugen die 05er am Dienstag den Bundesligisten Arminia Bielefeld mit 4:2. Die Trainercrew achtet darauf, dass die Spieler in keiner Einheit übersäuern. Die Konditionsarbeit ist integriert in intensive koordinative Übungen, in Spielformen, in taktische Schulung.

COSTA BALLENA. Angenehme Atmosphäre im Trainingslager des FSV Mainz 05. Mitte Januar. Prall behängte Orangenbäume, Palmen, blühende Blumen und Sträucher, zwei Meter hohe Kakteen, um die Häuser streifen Katzen, im Gras picken die Möwen. Sonne, 18 Grad, ein weiter Blick vom Balkon aus über die im sanften Wind wehenden Golffähnlein hinweg auf Strand und Meer. Wellenrauschen. Eine idyllische Ruhe im Barcelo Costa Ballena. Nichts und niemand stört. Außer zum Frühstück setzt sich ein Englishman mit seiner dicken Brille in der Hand munter an den Tisch und plaudert umgehend von irgendwelchen Puttern, bis er merkt dass er seine sich am Nachbartisch vor Lachen krümmenden Golfkumpels knapp verfehlt hat.

Im krassen Gegensatz zur andalusischen Postkartenidylle rund um das Hotel steht die knochenharte Maloche der Berufskicker auf dem Übungsgelände. Wobei mancher angereiste Fan seine Erwartungen nicht erfüllt sieht. Die Mainzer knüppeln keine Runden um den Platz, da gibt es keine 50 Sprints diagonal über den Platz, da kommen keine Bleiwesten und keine Medizinbälle zum Einsatz. Da dient die Konditionsarbeit auch nicht der Willensschulung. Bei Jürgen Klopp und Zeljko Buvac passiert fast nichts ohne den Ball. Da wirkt vieles spielerisch leicht. Aber die Intensität dieser komplexen Übungsformen ist enorm hoch. "Ich bin wirklich müde", sagt Mittelfeldspieler Daniel Gunkel. Und der Kollege Markus Feulner ergänzt nach acht Tagen: "Im Moment fühle ich mich körperlich am Tiefpunkt." Und doch reichte es am Dienstag zu einem 4:2 gegen den Bundesligisten Arminia Bielefeld. Weil die Profis nie überfordert, nie über die Grenzen geführt werden, weil den hohen Belastungen in den Spielformen immer wieder Erholungsphasen folgen. So wie gestern, als Klopp nach dem morgendlichen Lauftraining den Nachmittag frei gab.



Die Schwerpunkte liegen auf der taktischen Schulung. Da fordert die Trainercrew Vollgas. Da macht Jürgen Klopp enormen Druck. In diesen Momenten herrscht auf dem Platz ein raues Klima. Da duldet der Chefcoach keine Nachlässigkeiten. Da brüllt Klopp quer über das Feld, unterbricht, korrigiert, da nimmt er sich fehlerhafte Spieler verbal zur Brust. Da wird der Chefcoach auch mal unflätig, da wird er sarkastisch ("Ihr steht da rum wie die Schafe"), da erzeugt er ganz bewusst Stress ("So haben wir das noch nie gespielt, so werden wir das auch niemals spielen, und wem das nicht passt...").

Pressing bleibt das Zauberwort. Balljagd. Klopp unterscheidet drei Formen: Offensivpressing, Mittelfeldpressing, Defensivpressing. Offensiv- und Mittelfeldpressing richten sich nach dem Gegner aus. Hat die Analyse ergeben, dass der Gegner technisch schwache, in der Spieleröffnung mangelhafte Innen- oder Außenverteidiger ausweist - das sind sogenannte "Pressingopfer" -, dann kann es sinnvoll sein, Forechecking zu betreiben. Aber immer nur situativ. "Wenn wir tief stehende Gegner zu früh pressen, dann schlagen die lange Bälle, und wir hetzen in unserer Hälfte den zweiten Bällen hinterher", sagt Klopp.

Lieber ist es Klopp, einen verbarrikadierten Gegner hinten rauszulocken. "Wir sind eine spielstarke Mannschaft, und dafür brauchen wir Räume, in denen wir kombinieren können." Dann greift eher das Mittelfeldpressing. Der Gegner darf aufrücken, er darf sich in den torungefährlichen Räumen auch mal austoben. Doch dann erfolgt in den zentralen Zonen der Zugriff, da wird der Ballbesitzer aggressiv bearbeitet, da wird gestochen, da wird die Kugel erobert, möglichst schnell umgeschaltet, und dann geht in den geöffneten Räumen die Post ab.

Überhaupt kein Pardon, keine situative Entscheidung gibt es im Defensivpressing. Diese Zone markiert Klopp im Training oft mit Kegeln. Die stehen 17 Schritte von der Mittellinie und 17 Schritte vom eigenen Strafraum entfernt. In diesem Raum wird der Gegner kompromisslos gestellt, "da wird der Ball gejagt ohne Ende". Da werden die gegnerischen Spieler unter Zeitdruck gesetzt, zu überstürzten Handlungen gezwungen. "Einfache Pässe sind da nicht mehr erlaubt, das geht nicht. Da lassen wir nur noch Rück-, Quer- und Fehlpässe zu."

Dafür ist die 17-Schritte-Markierung, der Raum zwischen den beiden Viererketten, die Startlinie. "Unser Ziel ist es, immer eine kompakte Einheit zu sein", sagt Klopp. "Mit unserem Pressingverhalten verkleinern wir für den Gegner das Spielfeld." Das ist nicht nur eine gruppen-, sondern eine mannschaftstaktische Aufgabe. "Wo auch immer wir mit ein, zwei, drei Leuten einen Block stellen, dahinter und davor haben alle anderen Spieler auf diese Aktionen zu reagieren." Dieses Prinzip gilt natürlich auch für die offensive Umschaltung.

Zweieinhalb Wochen vor dem Rückrundenbeginn in Koblenz sind die 05-Profis auf ihrem Weg schon recht weit gediehen.