Statisten im Klassenkampf

12. Mai 2008 Diese letzten Minuten waren die Höchststrafe für Jürgen Klopp und Mainz 05. Der Cheftrainer saß am Spielfeldrand auf einer Getränkekühlbox, hin und wieder schüttelte er sachte den Kopf, blickte auf seine Uhr. Vielleicht hätte er gerne vorgespult wie bei einem Videorekorder, damit endlich der Abspann kommt. Auf den Rängen des Rhein-Energie-Stadions hatten die 45.000 Kölner Fans längst ihre Jubelgesänge angestimmt.

„Nie mehr zweite Liga . . .“ – was eben so geboten wird in der Stunde des Triumphs. Und es war einer für Christoph Daum und seine Mannschaft. Sie gewannen 2:0 in ihrem ganz persönlichen Aufstiegsendspiel zur Ersten Fußball-Bundesliga, und über weite Strecken waren die direkten Konkurrenten aus Mainz nur als Statisten geduldet.

Mainz ist vorzeitig gescheitert

Schlusspfiff. „Ein Märchen ist wahr geworden“, brüllte der Stadionsprecher. Für den 1. FC Köln. Klopp ging langsam auf den Rasen, schüttelte dem Schiedsrichter und dessen Assistenten die Hände, dann griff er mit dem Zeigefinger unter sein rechtes Brillenglas, wischte irgendetwas weg, ging zu seinen Spielern und forderte sie zum Verlassen des Rasens auf. Vorbei. Alles, was danach kommen sollte, war ein Solo für den 1. FC Köln, den vorerst zweiten Aufsteiger nach Borussia Mönchengladbach.

Zumindest Klopp wusste zu diesem Zeitpunkt, dass Mainz nicht gänzlich hinausgekegelt war aus dem Aufstiegsrennen, Manager Christian Heidel hatte ihm kurz zuvor gesagt, dass Kickers Offenbach noch das 1:1 gegen 1899 Hoffenheim geglückt war, durch Suat Türker in der 81. Minute. Dieses Tor war der Rettungsanker, ansonsten wäre es aus Sicht der Rheinhessen noch schlimmer gekommen – Köln und Hoffenheim zeitgleich aufgerückt in Liga eins, Mainz vorzeitig gescheitert. Nun verbleibt eine minimale Restchance: Gewinnt Mainz am nächsten Sonntag sein Heimspiel gegen den FC St. Pauli und erreicht Hoffenheim in seiner Heimpartie gegen Greuther Fürth nur ein Remis oder verliert, heißt der dritte Aufsteiger Mainz. Definitiv fehlen gegen St. Pauli wird Marco Rose: der Abwehrspieler zog sich in Köln einen Innenbandriss zu, wie der Klub am Montagabend bekanntgab.

Klopp hat nicht viel gesagt zur Leistung seiner Profis beim 1. FC Köln. Wäre er ins Detail gegangen, sein Vortrag hätte wohl ziemlich lange gedauert. Auf den kleinsten Nenner gebracht, fehlten Qualität, individuelle Klasse und ein spieltaktisches Konzept, um ansatzweise etwas Siegbringendes zu bewegen. Auch angesichts der herausragenden Bedeutung der Partie war die Leistung eine herbe Enttäuschung. Für Klopp, die 5000 mitgereisten Fans, für Heidel und Klubpräsident Harald Strutz. „Für alles, was heute nicht funktioniert hat, übernehme ich die hundertprozentige Verantwortung“, sagte Klopp. Und es hatte fast nichts funktioniert.

Klopp: „Durchschlagskraft“ hat gefehlt

Mit öffentlicher Kritik hielten sich aber alle zurück. Heidel räumte lediglich ein, dass es durchaus möglich gewesen wäre, „eine Schippe draufzulegen“. Klopp bemühte zum wiederholten Mal die Sprachregelung, wonach es an „Durchschlagskraft“ gemangelt habe. „Wer soll die Tore schießen?“, fragte Strutz und hatte keine Antwort. Topstürmer Felix Borja ist außer Form, neuerdings auch Mittelfeldspieler Daniel Gunkel; Miroslav Karhan, Elkin Soto (beide Mittelfeld) und Srdjan Baljak (Angriff) durften erst gar nicht mittun.

Mainz nach dem „Aufstiegs-Halbfinale“ (Klopp) – das kam einem vor wie ein börsennotierter Verein, der verkündet, dass er sein Gewinnziel verfehlt hat, aber an der Jahresprognose festhält. Bei Klopp lösten die Bilder der jubelnden Kölner Fans „nur das Gefühl aus, dass wir das auch haben möchten“. Einmal noch wird er seine kriselnde Mannschaft aufrichten müssen für den letzten Kraftakt. „Ganz Fußball-Deutschland wünscht sich Mainz in der ersten Liga“, glaubt Strutz. Und deshalb müsse sich die Mannschaft „zerreißen“ gegen St. Pauli. „Für den Aufstieg und für Jürgen Klopp.“

Denn wird das Klassenziel verfehlt, ist die Ära Klopp beendet am Bruchweg. Nach etwas mehr als sieben Jahren und drei Monaten. Verlängert um eine Saison hat der Vierzigjährige nur für Liga eins. Und dass er umfällt, auch zweitklassig weitermacht in Mainz, diese neueste mediale Spekulation weist er weit von sich. „Ich stehe zu meiner Entscheidung.“ Und so kommt es für Mainz wieder einmal zu einem sogenannten Herzschlagfinale am letzten Spieltag. „Vielleicht tut Greuther Fürth in Hoffenheim ja mal etwas für uns“, hofft Heidel. Vor sechs Jahren, Ende April 2002, verhinderten die Franken mit dem 1:1 am Bruchweg den vorzeitigen Aufstieg der Mainzer.

„Jürgen Klopp hat Unglaubliches aufgebaut“

„Jürgen Klopp hat in Mainz Unglaubliches aufgebaut. Wir drücken euch die Daumen, dass ihr es noch schafft“, sagt der Kölner Erfolgstrainer Daum. Der so Gepriesene hat zumindest „das Gefühl, noch im Rennen zu sein“. Und das ist ja auch schon etwas. Viel mehr Hoffnung sollten sich die Anhänger von Mainz 05 nicht machen.