Klassenerhalt
Das Ende der Ära Kloppo
VON JAN CHRISTIAN MÜLLER

Es war ein nasskalter Aschermittwoch, der letzte Tag im Februar 2001, als sich 4576 Zuschauer beim ersten Spiel des 33 Jahre alten Jürgen Klopp als verantwortlicher Trainer des stark abstiegsbedrohten FSV Mainz 05 im Bruchwegstadion verloren.

Mainz 05 gewann 2:1 gegen den MSV Duisburg und schaffte den Klassenerhalt. 250 Spiele später hat "Kloppo" Abschied genommen. Die Symbolfigur der zurückliegenden sieben fetten Jahre hat zwar beim 5:1 (3:0) gegen den FC St. Pauli seinen 101. Sieg als Chefcoach gesehen, aber er hat den Aufstieg in die Bundesliga verpasst und geht nun freiwillig. Der 101. war also sein letzter Sieg mit dem Verein, der dem schillerndsten Bürger der Stadt zur Heimat geworden war.

Als dann um 15.46 Uhr alles vorbei war, gab es viele Umarmungen für den scheidenden Trainer, aber es gab auch unschöne Szenen im Fanblock, wo sich einzelne Mainzer Anhänger untereinander und mit Sicherheitspersonal rangelten. Aber dann beruhigten sich die Gemüter doch wieder, es gab "Jürgen Klopp"-Sprechchöre. Der 40-Jährige, noch immer sehr jugendlich wirkende große Blonde war sichtlich bewegt, als er da am Strafraum saß, umringt von seinen Spielern, die ihm zum Abschied noch einmal eine starke Vorstellung geschenkt hatten. Und immerhin von 14.09 Uhr, als Felix Borja das 1:0 gelang, bis 14.39 Uhr, als Hoffenheim gegen Fürth in Führung ging, hatten sie rechnerisch den Aufstieg geschafft. Dann wäre Klopp beim einstiegen No-Name-Klub, den er hauptverantwortlich zum Markenartikel gemacht hat, geblieben.

Stattdessen kletterte er ein letztes Mal am Zaun hoch und begab sich ein letztes Mal auf eine Runde durchs Stadion, beklatscht und bejubelt auch von den Fans des FC St. Pauli. Plakate wurden in die Höhe gereckt: "Danke, Kloppo", "Kloppo, wir werden dich vermissen", und nicht nur der Trainer selbst wurde von Tränen übermannt. Zwar wollen die Spieler laut Mittelfeldmann Markus Feulner noch einmal "gemeinsam versuchen, ihn zu überreden, dass er noch ein Jahr dranhängt", aber die Aussichten sind schlecht, wie Klopp bestätigte: "Die Entscheidung habe ich vor ein paar Wochen schon getroffen, nachdem ich reiflich darüber nachgedacht hatte." Auch Manager Christian Heidel machte sich nichts vor: "Jetzt beginnt für Mainz 05 eine neue Welt, die wir uns so nicht gewünscht haben. Von mir aus hätten wir noch zehn Jahre zusammenarbeiten können."

In der kommenden Woche wird es einen offiziellen Abschied geben. "Das versteht sich von selbst", sagte Heidel, "er hat ja nicht nur Verdienste um Mainz 05, sondern um die ganze Stadt. Er ist hier der bekannteste Mann." Wichtig war es dem Manager aber auch, darauf hinzuweisen, "dass wir hier kein Ein-Mann-Betrieb Klopp waren, ohne dass ich seine Verdienste schmälern will". Es seien Strukturen aufgebaut worden, die es für einen Nachfolger interessant machen, seine Arbeit bei Mainz 05 aufzunehmen, ergänzte Präsident Harald Strutz, denn: "Wir sind ein Verein, der seinem Trainer den Rücken stärkt."

Kommentar
Der Abschied
Von Jan Christian Müller

Seit Otto Rehhagel und Thomas Schaaf in Bremen, Hennes Weisweiler in Gladbach, Winfried Schäfer in Karlsruhe, Volker Finke in Freiburg und den Bayern Udo Lattek und Ottmar Hitzfeld hat kein Fußballtrainer einen Verein ähnlich geprägt wie Jürgen Klopp Mainz 05. Es ging gestern um kurz vor vier also eine Ära zuende, eine beeindruckende Ära. Der große Blonde geht - und nichts mehr bei Mainz 05 wird so sein, wie es in den siebeneinhalb Jahren war, seit er im Januar 2001 vom Stopper zum Chefcoach befördert wurde - einer Eingebung des Managers Christian Heidel sei Dank.

Der fußballverrückte Heidel erinnert sich noch gut an die Zeiten, als er sich dafür entschuldigen musste, nach einer der vielen Niederlagen mit einer rot-weißen Fahne durch die Straßen zu ziehen. Mainz 05 war in den Tagen, als Heidel noch ehrenamtlich managte und Klopp elf Jahre lang rechtschaffen verteidigte, so sexy wie ein Schweinchen-Dick-Kostüm zur Fastnacht. Jahr für Jahr wurde vor ein paar Tausend unverbesserlichen Fans mühsam der Abstieg aus Liga zwei verhindert. Wolfgang Frank lehrte die Betonfüßler modernen Fußball, Klopp hat viel vom Schulmeister gelernt: vor allem das "Spiel gegen den Ball", eine eigene Wortschöpfung.

Mit nahezu perfekt getrimmtem Defensivverhalten gelang es dem sowohl umgänglichen wie bei Bedarf auch aufbrausenden Fußballlehrer, eine Mannschaft mit bescheidenen Mitteln drei Jahre lang in der Bundesliga zu halten. Zudem schaffte es Klopp dank positiver Ausstrahlung und präziser wie unterhaltender Analysen von Länderspielen im ZDF, sich und ein bisschen auch den Verein überregional bekannt und beliebt zu machen. Wie viel vom charismatischen Trainer tatsächlich auf den Klub ausgestrahlt hat, wird die Zukunft zeigen müssen. Bremen und der Karlsruher SC benötigten ein halbes Jahrzehnt und mehr, ehe sie sich nach den Abgängen der Überväter Rehhagel und Schäfer neu aufgestellt hatten. Der SC Freiburg hat sich - fast eine kleine Sensation - in der Post-Finke-Ära sehr schnell gefunden.

Aber Finke hatte sich in Freiburg mehr abgenutzt als Klopp nach nun 18 Jahren in Mainz. Der Schwabe mit dem einnehmenden Wesen und dem großen Sachverstand wird seinen Weg gehen. An einem modernen Offensivkonzept für seine Teams wird er dabei noch arbeiten müssen. In Mainz ist ihm das nicht gelungen. Sein Nachfolger tritt dennoch in riesige Fußstapfen. Aber die zweite Liga wird in der nächsten Saison ohne Köln, Hoffenheim und Gladbach schwächer sein. Eine Chance für Mainz 05 - auch ohne Klopp.