Die Last abgestreift

Es war die Geste des Spiels: Mit beiden Händen wischte sich Max Kruse immer wieder über das Trikot, von oben nach unten, so, als streife er sich die Last der vergangenen Wochen und Monate vom Körper.

Soeben hatte Borussias Nummer 10 das 2:0 geschossen, es war der Abschluss eines perfekten Konterangriffs der Fohlenelf im schweren Auswärtsspiel in Dortmund: Patrick Herrmann war auf der rechten Außenbahn nicht zu bremsen und bediente im Zentrum Juan Arango, der den Ball wiederum links raus spielte auf Kruse. Und der beendete mit einem Geniestreich alle Rechenspiele der Journalisten, die ermittelten, dass der Angreifer seit vier Monaten bzw. 895 Minuten ohne Bundesligator war: Er schlug zwei Haken und narrte damit die Dortmunder Piszczek und Weidenfeller und schoss souverän ein. „Wenn man so eine lange Durstrecke hat, dann freut man sich natürlich“, so Kruse. „Ich habe eine Menge Ballast mit mir herum getragen, mit dem Tor ist alles davon abgefallen.“

Es ist nicht zu leugnen, dass diese eine Geste auch den Zustand Borussias treffend beschreibt: Nach neun sieglosen Bundesligaspielen konnte der VfL endlich wieder über drei Punkte jubeln, und das ausgerechnet nach einem Sieg beim Tabellenzweiten. „Nach unserer Heimniederlage gegen den FC Augsburg haben viele gesagt: In Dortmund gibt es eine Klatsche“, so Sportdirektor Max Eberl. „Aber die Mannschaft ist im Spiel an sich selbst gewachsen. Wir haben von Beginn an die wichtigen Zweikämpfe gewonnen, uns gegenseitig geholfen – und wir haben guten Fußball gespielt.“ In der Tat begegneten sich die beiden Borussias auf Augenhöhe, und nach einer abwechslungsreichen ersten halben Stunde schlugen die Gäste vom Niederrhein eiskalt zu: Nach tollen Zusammenspiel zwischen Patrick Herrmann und Raffael vollstreckte der Brasilianer aus kurzer Entfernung zum 1:0, neun Minuten später legte Kruse mit seinem Treffer nach. „Wir haben unsere Tore im richtigen Moment gemacht“, freute sich Trainer Lucien Favre.

Das Glück des Tüchtigen

Jedoch wusste er natürlich auch, dass neben einer glänzenden Defensivleistung seiner Mannschaft auch das nötige Glück und ein starker Marc-André ter Stegen nötig waren, um mit einer Zwei-Tore-Führung in die Pause zu gehen. Und er wusste, dass trotz der Führung „eine sehr schwere zweite Halbzeit“ vor seiner Mannschaft lag. Doch der VfKL machte es richtig, setzte den BVB weiter unter Druck und versuchte sogar, das dritte Tor zu erzielen. „Wir haben gekämpft, wir haben an uns geglaubt“, sagte Favre. Auch in Unterzahl. Denn nachdem Havard Nordtveit mit einer Gelb-Roten Karte vom Platz gestellt wurde, musste Borussia die letzten 21 Minuten mit zehn Mann auskommen. Es entwickelte sich eine echte Abwehrschlacht, in der man zum Glück nur den Anschlusstreffer von Milos Jojic hinnehmen musste.

Die Last, die sich Max Kruse vom Trikot streifte, sie fiel beim Schlusspfiff dieser streckenweise dramatischen Partie von allen Spielern, von allen Verantwortlichen und auch von den über 8.000 mitgereisten VfL-Fans ab. „Wir hatten endlich wieder das Glück des Tüchtigen“, sagte Kruse. Und die Art und Weise, wie sich die Mannschaft um den im Zweikampf kaum zu bezwingenden Martin Stranzl, den konterstarken Patrick Herrmann und den nimmermüden Raffael diesen wichtigen Auswärtssieg verdiente, begeisterte den Sportdirektor: „Die Mannschaft hat in diesem unglaublich intensiven Fußballspiel einen echten Fight geboten, sie hat gezeigt, dass sie lebt, sie hat sich diesen Sieg hart erarbeitet.“

"Jetzt müssen wir nachlegen"

Jedoch wussten die Borussen auch am Tag danach genau, dass gestern wieder einmal Kleinigkeiten über den Ausgang des Spiels entschieden. „Hätten wir in der 92. Minute nach einem langen Ball das 2:2 bekommen, hätte sich das mit dem Sieg auch wieder erledigt gehabt“, so Eberl. Und Favre erinnerte an die Chancen des BVB, etwa den Lattenschuss von Pierre-Emerick Aubameyang oder die von ter Stegen glänzend vereitelte Lewandowski-Chance: „Ich weiß nicht, wie wir da auf ein Gegentor reagiert hätten.“ Aber so freute man sich, dass die gute Leistung, die man gestern gebracht hat, endlich einmal mit einem Sieg belohnt wurde, „auch, weil wir in den Wochen zuvor keine schlechten Spiele gemacht haben“, so Favre. „Gegen Bayern, in Hannover, gegen Leverkusen, dann die drei Unentschieden-Spiele, die wir alle auch hätten gewinnen können. Aber man darf nicht vergessen: Gestern, das war nur ein Sieg, der drei Punkte bringt. Er war sehr wichtig, aber man darf jetzt auch nicht übertreiben und zu positiv reden.“

Da muss Favre bei seinen Spielern nichts befürchten. Denn schon am Tag nach dem Sieg war der Tenor bei allen Spielern derselbe: „Es bringt nichts, jetzt nur ein gutes Spiel gemacht zu haben“, sagte Max Kruse. „Jetzt müssen wir natürlich nachlegen.“

Personal: Juan Arango (muskuläre Probleme) nahm am heutigen Auslaufen nicht teil. Christoph Kramer zog sich im Spiel eine Kapselverletzung am Daumen zu, konnte aber ebenso mittrainieren wie Tony Jantschke, der nach seiner Fußprellung wieder mit dabei war und am Dienstag wohl wieder mit der Mannschaft trainieren kann. Genau wie Granit Xhaka, der heute individuell trainierte, zum Auftakt der Trainingswoche aber wohl wieder mit dabei ist.

borussia.de


Die Stimmen außerhalb meines Kopfes irritieren mich am meisten!