Franz Beckenbauer
'Die größte Persönlichkeit des FC Bayern'
12.08.2010

Was wäre der FC Bayern ohne Franz Beckenbauer? Würden dann weniger Pokale in der Vereinsvitrine stehen? Gäbe es dann die Allianz Arena? Würden dann Arjen Robben und Franck Ribéry beim FCB spielen? Müßig, darüber nachzudenken. Denn die Bedeutung des heute 64-Jährigen für den deutschen Rekordmeister lässt sich schwer in Trophäen, Ziffern oder anderen Maßstäben ausdrücken. „Franz Beckenbauer ist mit Abstand die größte Persönlichkeit, die der FC Bayern jemals in seinen Reihen hatte“, brachte es Karl-Heinz Rummenigge auf den Punkt, „er hat die Geschichte des FC Bayern wie kein Zweiter geschrieben.“

51 Jahre lang hat Beckenbauer „seinen“ FC Bayern als Spieler, Trainer und Präsident geprägt, ehe er auf der Jahreshauptversammlung im vergangenen November nicht mehr als Präsident kandidierte und von Uli Hoeneß abgelöst wurde. „Er hat auf allen Ebenen Taten vollbracht, das ist etwas ganz Außergewöhnliches“, betont Rummenigge. Nicht ohne Grund wird Beckenbauer daher am Freitag, 33 Jahre nach seinem Weggang als Spieler vom FC Bayern, die Ehre eines verspäteten und „überfälligen“ Abschiedsspiels zuteil.


1977 verließ Beckenbauer den FC Bayern, zum einzigen Mal in seinem Leben. Im Herbst seiner Karriere ließ er sich auf ein Abenteuer in der US-Profiliga bei Cosmos New York ein. Fast wäre der Transfer damals noch gescheitert, am Ende musste der damals 31-Jährige einen Teil der Ablösesumme sogar selber übernehmen. „Ich musste 400.000 Mark draufzahlen“, erzählte er auf der Jahreshauptversammlung im November, nachdem er zum Ehrenspielführer des FC Bayern ernannt worden war und fügte augenzwinkernd hinzu: „Jetzt habe ich gedacht, dass ich die 400.000 Mark zurückbekomme. Aber ich bin auch mit der Ehrenspielführernadel sehr zufrieden.“

Leicht und locker, süffisant und unterhaltsam, aber auch nie darum verlegen, Dinge beim Namen zu nennen - Beckenbauer hat vielen Fußballfans schon immer aus dem Herzen gesprochen. Am Anfang seiner Karriere steht allerdings eine simple Watsch’n. Im Sommer 1958 wollte der damals zwölfjährige Franz vom SC München 1906 eigentlich zum TSV 1860 München wechseln wollen. Aber bei einem Schülerturnier kam es zu einem folgereichen Zwischenfall. Im Finale rutschte seinem Gegenspieler vom TSV 1860 die Hand aus und Beckenbauer beschloss: „Zu diesem Rowdy-Verein gehe ich nicht. Ich gehe zum FC Bayern.“

Es ist die wohl berühmteste Watsch’n im deutschen Fußball, und eine mit großer Wirkung. Der Sohn eines Postobersekretärs aus Obergiesing schloss sich dem FC Bayern an - und half in den folgenden Jahren entscheidend mit, dass sich der FC Bayern zum erfolgreichsten Klub Deutschlands entwickelte. 1964 debütierte er in der ersten Mannschaft, stieg schon ein Jahr später mit den „Roten“ in die Bundesliga auf und feierte sein Debüt in der Nationalmannschaft. Beckenbauer begann nun, die Fußball-Welt zu erobern.

„Franz konnte einfach alles“, erinnert sich „Bomber“ Gerd Müller an das Zusammenspiel mit dem späteren Kaiser, der Ende der 60er Jahre vom Mittelfeld auf die Libero-Position wechselte und von dort das Bayern-Spiel gestaltete. „Er war kopfballstark, konnte im Stehen mit dem Außenrist 40-Meter-Pässe schlagen und er war schnell. An ihm ist keiner vorbeigekommen. Ein Weltklassespieler, auf seiner Position gab’s keinen Besseren. Wenn man den Franz hinten hatte, war das schon die halbe Miete.“

Von Beckenbauers Qualitäten war auch Rummenigge beeindruckt: „Von ihm konnte man auf und außerhalb des Platzes viel lernen. Er war immer ein Gentleman außerhalb des Platzes. Wenn wir irgendwo gespielt haben und die Fans wollten Autogramme, war er immer der Letzte, der noch geschrieben hat. Er war ein Vorbild für uns alle.“

Mit Beckenbauer wurde der FC Bayern je vier Mal Deutscher Meister und DFB-Pokalsieger, gewann drei Mal in Folge den Europapokal der Landesmeister, je einmal den Europacup der Pokalsieger (1967) und den Weltpokal (1976). Seit 1970 führte er die legendäre 70er-Jahre-Mannschaft des FCB als Kapitän an. Und auch die Nationalmannschaft erlebte mit ihm „goldene“ Jahre. Beckenbauer führte das DFB-Team 1972 zum EM-Titel und 1974 im eigenen Land zum ersehnten WM-Triumph.

Nachdem er in Deutschland und Europa alles gewonnen hatte, was es zu gewinnen gab, wechselte er 1977 nach New York, wo er seiner Titelsammlung drei weitere Meisterschaften hinzufügte. Zum Abschluss seiner Karriere kehrte er 1980 aber noch einmal in die Bundesliga zum Hamburger SV zurück. Hier wurde er 1982 noch einmal Meister, ein Jahr später hängte er seine Fußballschuhe an den Nagel.

Doch der Fußball ließ den Kaiser natürlich nicht los, auch wenn er selbst sich das ganz anders vorgestellt hatte. „Mit Fußball möchte ich später einmal nichts zu tun haben, und ein Trainerjob kommt für mich absolut nicht in Frage“, verkündete er in einem Fernsehinterview. Schon ein Jahr nach dem Ende seiner aktiven Karriere war diese Aussage überholt. Als die deutsche Nationalmannschaft bei der EM 1984 in Frankreich kläglich scheiterte, wurde Beckenbauer das, was er eigentlich nicht hatte werden wollen: Trainer. Oder besser Teamchef, denn Beckenbauer fehlte der Trainerschein, und er dachte gar nicht daran, diesen zu erwerben. Er verwies auf seine große Erfahrung und führte seine früheren Trainer wie Lattek, Cajkovski, Zebec, Cramer oder Happel als Lehrmeister an. „Die haben mich in der täglichen Arbeit so wunderbar ausgebildet, wie es keine Uni besser hätte machen können.“

Der Erfolg gab ihm Recht. Schon zwei Jahre nach Amtsantritt führte er das DFB-Team bei der WM in Mexiko bis ins Finale. Danach formte er eine neue Mannschaft, die seinen hohen Ansprüchen gerecht wurde. Seine Nonchalance, mit der er alle Probleme beiseite wischte, seine natürliche Autorität, die Fähigkeit, den Spielern Freiräume zu gewähren, täuschten darüber hinweg, dass Beckenbauer für den Erfolg mit dem Nationalteam hart arbeitete. „Erfolg ist auch vom Glück abhängig“, sagte er, „Glück muss man sich erarbeiten.“ Nichts überließ er daher dem Zufall.

Seine Kabinenansprache vor wichtigen Spielen stand im krassen Gegensatz dazu. „Geht’s raus und spielt’s Fußball“, pflegte er der Mannschaft mit auf den Platz zu geben - weil alles andere längst erledigt war. Bei der WM in Italien sollte die Ernte eingefahren werden. Alles lief nach Plan und Deutschland wurde am 8. Juli 1990 durch ein 1:0 gegen Argentinien zum dritten Mal Weltmeister. Nur der Brasilianer Mario Zagallo hatte vor ihm ebenfalls als Spieler und Trainer den WM-Titel gewonnen. Nach dem Triumph übergab Beckenbauer das DFB-Team an Berti Vogts.

Über Olympique Marseille, wo er zunächst als Teamchef, dann als Sportdirektor 1991 Meister wurde und im Endspiel des Landesmeistercups erst im Elfmeterschießen an Roter Stern Belgrad scheiterte, führte ihn sein Weg schließlich zurück zum FC Bayern. Ende 1991 wurde er Vizepräsident des deutschen Rekordmeisters und feierte sogar ein Comeback als Trainer, als er im Januar 1994 Erich Ribbeck ablöste - natürlich wurde der FC Bayern am Ende dieser Saison Meister. Der Höhepunkt der launigen Titelfeier auf dem Nockherberg war des Kaisers Kunstschuss von einem Weißbierglas auf die Torwand des „Aktuellen Sportstudios“.

Zwei Jahre später - inzwischen war Beckenbauer Präsident - musste er noch einmal ran. Nach der Entlassung von Otto Rehhagel Ende April 1996 übernahm er für die letzten Wochen der Saison das Training, dieses Mal nur sehr widerwillig. Aus der Meisterschaft wurde zwar nichts mehr, aber die Bayern holten im Finale gegen Girondins Bordeaux zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte den UEFA-Pokal. Es sollte - bis heute - das letzte kaiserliche Gastspiel auf der Trainerbank bleiben.

Als Präsident bestimmte Beckenbauer mit Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und Karl Hopfner an seiner Seite seit November 1994 die Geschicke des deutschen Rekordmeisters. Der FC Bayern entwickelte sich unter diesem Experten-Quartett zu einem der wirtschaftlich erfolgreichsten Vereine Europas. Das Tagesgeschäft überließ Beckenbauer weitgehend den Kollegen, er fungierte von seinem damaligen Wohnsitz Oberndorf bei Kitzbühel aus auch als Türöffner. Die Leistung der Mannschaft beäugte er stets kritisch, sprach schon mal von „Schülermannschaften“ und von Duellen „Obergiesing gegen Untergiesing.“

Bei Champions-League-Reisen zählte die traditionelle Bankettrede nach dem Spiel zu seinem Zuständigkeitsbereich. Wehe, wenn die Mannschaft patzte, dann gab der noch immer impulsive Beckenbauer gerne den wilden Kaiser. Legendär ist seine Ansprache nach der 0:3-Niederlage bei Olympique Lyon in der Zwischenrunde 2001. „Uwe-Seeler-Traditionself“ und „Altherrenfußball“, schimpfte Beckenbauer damals und fühlte sich an „Fußball wie vor 30 Jahren“ erinnert. Die Kritik fruchtete an, zwei Monate später gewannen die Münchner die Champions League.

Mit der Umwandlung des FC Bayern in eine Aktiengesellschaft Anfang 2002 wurde Präsident Beckenbauer Aufsichtsratsvorsitzender und nahm damit noch weiter Abstand vom Tagesgeschäft beim Rekordmeister. Doch zur Ruhe kam der Kaiser auch jetzt nicht. Stattdessen wurde er fortan noch mehr auf diplomatischem Parkett aktiv und kümmerte sich intensiv um seine Stiftung (www.beckenbauer-stiftung.de).

Schon seit 1998 fungierte Beckenbauer als einer der DFB-Vizepräsidenten, seit 2000 trieb er die deutsche Bewerbung für die WM 2006 voran. Monatelang reiste er um die Welt und sammelte Stimmen. Am Ende bekam Deutschland den Zuschlag und Beckenbauer wurde Chef des Organisationskomitees. Die von Beckenbauer organisierte WM ging als Sommermärchen in die Geschichte ein. Kaum war die WM vorbei, gab es eine neue Aufgabe für Beckenbauer. Im Januar 2007 wurde er als europäischer Vertreter in das Exekutivkomitee der FIFA gewählt.

An der Säbener Straße sah man Beckenbauer aufgrund der Vielzahl seiner Aufgaben und Reisen in den letzten Jahren nur noch selten. Mit dem Herzen war er aber immer bei „seinem“ FC Bayern. „Ein Franz Beckenbauer wird nie vom FC Bayern entfernt sein“, weiß auch Rummenigge, „natürlich treffen wir uns jetzt nicht mehr ganz so oft wie früher, als er noch Aufsichtsratsvorsitzender war. Aber wir treffen uns trotzdem noch regelmäßig.“

Als Ehrenpräsident und Ehrenspielführer besitzt Beckenbauer ohnehin eine permanente Einladung zu allen FCB-Veranstaltungen. Und diese will der 64-Jährige auch nutzen. „Nach 51 Jahren kannst du ja nicht einfach sagen: Tschüss, das war’s“, sagte er bei seinem Abschied vom Präsidentenamt. Nicht ohne Stolz kann er auf mehr als fünf Beckenbauer-Jahrzehnte beim FC Bayern zurückschauen. „Wenn man sieht, wie der Verein heute da steht, wie ohne Hilfe von außen seriös gearbeitet wird, das ist schon großartig. Von einem Giesinger Dorfverein zu einer Weltmarke, die Entwicklung ist gewaltig.“ Und ohne Franz Beckenbauer nicht vorstellbar.