Pokalsieger und Meister Bayern München
Für immer Nummer eins


Diese Saison hat mehr denn je gezeigt: Der FC Bayern ist dem nationalen Wettbewerb entflogen. Ein echter Triumph muss die Spielzeit aber erst noch werden.

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Hände hoch: Manuel Neuer darf als Bayern-Kapitän den DFB-Pokal als Erster hochhebenAlexander Hassenstein/ dpa

Wenn sich Niklas Süle ordentlich streckt, erinnert er an einen Funkturm, den man selbst in einem Koloss wie dem Berliner Olympiastadion nicht übersehen kann. Der 1,95 Meter große Innenverteidiger hatte dem FC Bayern München wegen eines Kreuzbandrisses lange verletzt gefehlt, aber jetzt stand er erstmals wieder im Kader. Und als sein Teamkollege Robert Lewandowski das 3:0 gegen Leverkusen erzielte, das DFB-Pokalfinale damit in der 59. Minute also praktisch entschied, da reckte Süle die Arme weit in Richtung Himmel. Neben ihm sprangen Thiago, Lucas Hernández und Coutinho im Viereck.

Diese vier Bayern-Stars trugen in diesem Moment Leibchen, sie jubelten den Teamkollegen nur vom Seitenrand zu und hielten sich mit Aufwärmübungen für eine Einwechslung bereit. Sie waren Reserve, und auch wenn sie am 3:0 unbeteiligt waren, wirkte ihr Stretchingprogramm wie eine Ansage. Als Jérôme Boateng verletzt rausmusste, kam Hernández, als Serge Gnabry und Thomas Müller müde wurden, durften Coutinho und Thiago ran.

So eine Reserve erklärt auch, warum der FC Bayern die nationale Konkurrenz so beherrscht. Warum er dank eines souveränen 4:2 (2:0)-Erfolgs über Leverkusen den 20. Pokalsieg seiner Vereinsgeschichte gefeiert hat. Und warum die Saison für den deutschen Alleinherrscher noch nicht vorbei ist.

Der erneute Double-Gewinner hat nicht nur die beste Elf auf dem Platz, sondern kann zur Not auch noch mit einem Weltklasse-Mittelfeldstrategen (Thiago), dem teuersten Transfer der Bundesliga-Geschichte (Hernández) und einem der aufregendsten Offensivspieler der Liga (Coutinho) nachlegen. Süle, einer der besten Verteidiger Deutschlands, musste nicht eingreifen.

Als am späten Abend Joshua Kimmich (dritter Pokalsieg) oder David Alaba (sechster) mit der Trophäe im Arm und im Konfettiregen jubelnd über den Rasen flitzten, wirkte es aber nicht so, als langweile sie die nationale Dominanz. Wohl auch, weil dieses Jahr für sie nicht so einseitig war, wie es am Ende aussah, mit 13 Punkten Vorsprung in der Meisterschaft und einem Ausrufezeichen im Pokalfinale. Es war ein Kraftakt notwendig. Noch im November, nach einem 1:5 in der Bundesliga in Frankfurt, schien dieses Team so verunsichert und schlagbar wie nie. Gleichzeitig half dieses Debakel dem FC Bayern wieder auf die Beine.

Damit ist man bei Trainer Hansi Flick angelangt, der nach dem 1:5 Niko Kovac als Cheftrainer ablöste, und dem seither fast alles zu gelingen scheint. Seine Bilanz in 32 Spielen als Bayern-Coach lautet: 29 Siege, zwei Niederlagen, im Schnitt gab es 2,75 Punkte pro Partie. Das hat noch kein Chefcoach vor Flick beim FC Bayern geschafft, kein Jupp Heynckes, kein Pep Guardiola. In München müssen sie sehr glücklich über den Tag im Februar 2018 sein, als Flick seinen Fünfjahresvertrag als Funktionär in Hoffenheim nach acht Monaten vorzeitig wieder auflöste.

Flick hat jedenfalls viel bewirkt. Das Team hat im Ballbesitz wieder eine Spielidee, die Defensive hat sich unter ihm enorm gesteigert. Vor allem scheint mit Flick ein zweiter Frühling bei einigen Profis ausgebrochen: Müller ist unter dem 55-Jährigen wieder zu einer Schlüsselfigur aufgestiegen; die Spieleröffnung von Boateng scheint zurück auf dem Niveau der WM 2014, bis zu seiner verletzungsbedingten Auswechslung in der 69. Minute grätschte der 31-Jährige gegen Leverkusen so ziemlich alles weg.

Und dass neun Spieler aus der Startelf im Pokalendspiel auch damals in Frankfurt auf dem Platz standen, es die Viererkette mit Alaba in der Zentrale und Kimmich als Sechser vor Abwehr schon beim 1:5 gegeben hat, ist heute kaum vorstellbar.

Nun drängen weitere Spieler in die erste Mannschaft. Süle, Thiago und Hernández kehren nach Verletzungen erst allmählich zurück in den Kader. Für die neue Saison steht bereits der Transfer von Leroy Sané fest, Torwarttalent Alexander Nübel soll Manuel Neuer Druck machen, von PSG kommt das Abwehrtalent Tanguy Nianzou. Dass der FC Bayern den mit großem Abstand höchsten Umsatz der Liga hat, lässt er die Konkurrenz spüren.

Es ist nicht vorstellbar, dass sich so schnell etwas an den nationalen Machtstrukturen verändert. Nicht ohne eine grundlegende Neuverteilung der TV-Gelder. Und erst recht nicht nach einer Saison, in die der FC Bayern mit großen Problemen gestartet war. Selbst die zweite Mannschaft des Klubs wurde in der dritten Liga Meister. Das Münchner Lied "Forever Number One" scheint jedenfalls eher Wirklichkeit als kühner Fantraum.

Damit die Saison aber historisch endet, müsste sie zum Abschluss auf den europäischen Thron führen. Ab August wird die Champions League in einem Turniermodus zu Ende gespielt. Zwar hat der FC Bayern bis dahin Pflichtspielpause, während die internationale Konkurrenz aus England, Italien oder Spanien sich noch im Wettkampf befindet, aber das muss kein Nachteil sein. Bereits nach der langen Corona-Pause waren die Münchner eher stärker zurückgekehrt; und dass der straffe Terminkalender seit dem Wiederbeginn Mitte Mai Spuren hinterlassen hat, wurde gegen Leverkusen in der Schlussphase auch sichtbar, als Kraft und Konzentration nachließen.

Noch hat kein internationaler Konkurrent ein eindrucksvolles Bewerbungsschreiben für den Titel abgegeben. Die Münchner schon eher. Sie fahren jedenfalls nicht als Außenseiter zur Endrunde nach Lissabon, die für sie am 8. August mit dem Achtelfinal-Rückspiel gegen den FC Chelsea beginnt. Das Hinspiel hatte der FC Bayern im Februar in England gewonnen. Endstand: 3:0.

Quelle: https://www.spiegel.de/sport/fussba...s-a-051c1387-2e14-442f-bba0-374cf9e1fd14


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)