Seit zwölf Jahren verliebt in Philipp Lahm

Der FC Bayern ist nach China gereist. 90 Millionen Fans soll der Rekordmeister dort haben. Der Empfang war laut und schräg. Nur Pep Guardiola ist nicht wirklich glücklich über den Trip.



Gerade bei den weiblichen Fans ist der FC Bayern in China hoch im Kurs Foto: Bongarts/Getty Images

Plötzlich lässt er sein Fett schwabbeln. Und zwar so richtig. Lian hat gerade sein FC-Bayern-Trikot ausgezogen, wirbelt umher und zeigt stolz seinen speckigen Oberkörper. Der 25-jährige Chinese steht vor dem Nationalstadion in Peking, und neben ihm fährt ein schwarzer Geländewagen in die Tiefgarage der Arena. Auf der Rückbank sitzt Startrainer Pep Guardiola und schaut irritiert aus dem Fenster. Gleich beginnt das öffentliche Training der Münchner, und weil Lian sich darauf so freut, dreht er total auf und präsentiert sich allen, die an ihm vorbeikommen von seiner besten Seite.

Lian ist nicht stolz auf sein Übergewicht, geschätzt 15 Kilo. Er ist stolz auf seine Tattoos. In den Nacken hat er sich das Logo des deutschen Fußball-Rekordmeisters stechen lassen, in den linken Oberarm den Schriftzug "FC Bayern". Was bedeutet ihm der Klub aus dem fernen Deutschland? "ALLES!!!", brüllt Lian. So laut, als müsste er mit seiner Stimme gegen das Publikum eines Heavy-Metal-Konzerts ankommen. "Mein Leben lang Bayern! Mein Leben lang!" Sein Bauch wölbt sich über seine kurze Hose und hüpft auf und ab.

Warum ausgerechnet dieser Verein? "Ich weiß es nicht", sagt Lian und lacht. Die anderen Fans um ihn herum bestaunen ihn, dann zieht die Meute ins Stadion, sie will keine Minute des Trainings verpassen. Mit Lian laufen Hunderte weitere Fans durch die Katakomben, in denen es nach frisch Erbrochenem riecht. Sie haben den Refrain der Klubhymne "Stern des Südens" auswendig gelernt und singen ihn. Der ganz normale, tägliche Wahnsinn auf der Asien-Tour des FC Bayern.

Seit Freitag reisen die Münchner durch China. Die Stationen: Peking, Shanghai, Guangzhou. Sieben Tage, drei Testspiele, zahlreiche Marketing-Termine, rund 19.000 Flugkilometer, sechs Stunden Zeitverschiebung. Dazu Temperaturen von bis zu knapp 40 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von bis zu über 80 Prozent. Ehrenpräsident Franz Beckenbauer ist auch dabei, auch Edelfan Maria Höfl-Riesch, die ehemalige Skirennläuferin. Alles für die Marke FC Bayern. Die soll in Ostasien bekannter werden.

Borussia Dortmund tourte auch gerade durch Asien. Doch kein anderer Klub der Bundesliga setzt seine Priorität so konsequent auf das Marketing wie die Bayern. Die Bosse geben zu: Es ist ein Spagat zwischen wirtschaftlichen Interessen und der sportlichen Vorbereitung auf die am 14. August mit dem Heimspiel gegen den Hamburger SV beginnende Saison. Doch es gilt eben etwas aufzuholen gegenüber der internationalen Konkurrenz. Motto der Bayern-Führung: Wir kommen spät. Aber wir kommen mit Volldampf.

"Mia san China"

90 Millionen Bayern-Fans hat der Klub in China ausgemacht. Die Mannschaft, die am Samstag einen Test gegen den FC Valencia 4:1 gewann, war vor drei Jahren bereits hier. Und hat in den vergangenen Monaten viel dafür getan, in Sachen Auslandsvermarktung zur Weltspitze aufzuschließen. Zu Real Madrid, zu Manchester United. Ende Mai eröffnete der Deutsche Meister in China einen Online-Shop und kooperiert zudem mit dem chinesischen Staatsfernsehen, indem er exklusives Filmmaterial für den Sender CCTV-Sports produziert. In dieser Woche kam die chinesische Internetseite www.fcbayern.cn hinzu, zudem bringt der Verein eine neue App auf den chinesischen Markt. Künftig wollen die Bayern jedes Jahr eine Fernreise machen, Kernmärkte sind Asien und USA. Sie haben ein neues T-Shirt drucken lassen, darauf steht: "Mia san China".

Klubchef Karl-Heinz Rummenigge ist mit nach China gereist. Wenn er mit den Spielern durch die Flughafen-Terminals zum Bus geht, kreischen vor allem die weiblichen Fans, als hätten sie gerade Justin Bieber entdeckt. Grund für ihre Ekstase ist Manuel Neuer. Sein Kollege Robert Lewandowski ist so beeindruckt, dass er die Szenen mit seinem Smartphone filmt. "Ich bin überrauscht, wie viele Fans wir hier haben. Und wie laut sie sind", sagt der Stürmerstar. Dann geht er raus in die stickige Luft, der Verkehr dröhnt.

Rummenigge hat zuletzt auch mit Aufsichtsrats-Mitglied Martin Winterkorn, Vorstandschef der Volkswagen AG, über den chinesischen Markt gesprochen. Die Politiker in China wollen den Sport in den nächsten Jahren enorm pushen. "Und wir hoffen, dort eine Rolle spielen zu können", so Rummenigge. Die englischen Klubs würden die Bundesliga in Sachen TV-Geld, Marketing und Transfers links und rechts überholen. "Und die Bundesliga muss aufpassen, dass sie da nicht den Anschluss verliert. Und um den Anschluss nicht zu verlieren, muss man jetzt einfach solche Reisen machen. Das sind keine Vergnügungsreisen, das wissen wir auch", so Rummenigge. Er und seine Vorstandskollegen überlegen sogar, in Asien ein Büro zu eröffnen. In New York hat der Klub seit vergangenem Sommer bereits eines.

"Philipp Lahm. Unser Kapitän. Unsere Liebe."

Während des öffentlichen Trainings in Peking tanzt Weltmeister Thomas Müller in einem Werbefilm auf der Videowand in Lederhosen den "Schuhplattler". Lanziyuan schaut von ihrem Tribünensitz fasziniert das Video. Dann lacht sie und richtet ihren Blick wieder auf den Rasen. Auf ihren Schwarm. Auf Philipp Lahm. Sie ist mit drei Freundinnen zum Training gekommen. Alle im Trikot. Alle tragen den Namen Lahm auf dem Rücken. Und sie haben ein Plakat drucken lassen. Neben einem Foto von Lahm steht darauf, auf Deutsch: "Philipp Lahm. Unser Kapitän. Unsere Liebe."


Foto: Bongarts/Getty Images Liebesbeweis in Plakatform

2003 habe sie sich in Lahm verliebt, erzählt Lanziyuan. Als die Bayern ihn an den VfB Stuttgart verliehen hatten. Sie weiß aber schon, dass Lahm verheiratet ist und einen Sohn hat? Lanziyuan und ihre Freundinnen kichern los wie 13-jährige Mädchen. Dabei sind die Frauen Mitte 20. Lanziyuan sagt: "Wir werden ihn einfach immer lieben." 10.722 Kilometer von München entfernt – und doch verliebt.

Die vermeintliche Nähe zu den Stars entsteht für die chinesischen Fans vor allem durch die sozialen Netzwerke. Der Klub verbreitet seine Nachrichten nicht nur über Facebook, Twitter, YouTube und Instagram, sondern längst auch über die chinesischen Portale Sina Weibo und Tencent. Und in China sind 630 Millionen Menschen online. Der Studie einer Beratungsagentur in Shanghai zufolge ist der Rekordmeister in den sozialen Netzwerken in China der beliebteste Klub Europas, Millionen folgen ihm. Lahm wünschte den Anhängern in Asien via Facebook sogar alles Gute zum chinesischen Neujahr. Auf Chinesisch wohlgemerkt. Zur Freude Lanziyuans natürlich.

Oliver Kahn kennen sie alle

Deutlich schlechter gelaunt als die Lahm-Schwärmerin ist Tianjin. Der 25-jährige Student steht nur wenige Meter neben ihr auf der Tribüne und hat ebenfalls ein Plakat aufgehängt. Darauf ein Foto von Schweinsteiger und der grammatikalisch nicht ganz perfekte deutsch-englische Satz: "Danken Basti! God in Bayern München." Traurig sei er, sagt Tianjin. "Sehr schade, dass Basti weg ist." Er bleibe trotzdem Bayern-Fan. Oliver Kahn habe ihn dazu gemacht. Den habe er immer im Fernsehen gesehen, und der sei einfach toll gewesen.

Auch Lahm, Müller, Neuer und all die anderen sollen nach Wunsch der Klubführung so nachhaltig positiv auf den Verein wirken wie der Torwart-Titan. Also stehen an jedem Abend Termine an. Müller und Lahm spielen Tischtennis gegen chinesische Topspieler, und das Match wird live im chinesischen TV übertragen. Thiago und Mario Götze geben Autogramme in einem Autohaus, zeitgleich halten Javi Martinez und Xabi Alonso in der Filiale eines Sportartikelherstellers ein bisschen den Ball hoch. Pep Guardiola würde diese Tage lieber nutzen, um das neue Spielsystem ohne Schweinsteiger einzustudieren. Geht aber nicht. Er weiß: "Jeder große Klub macht solche Reisen."

In Shanghai gegen Inter Mailand


Rund 200 Journalisten drängen sich zur Pressekonferenz mit ihm. Ein chinesischer Reporter will von Guardiola wissen, warum er keine Haare mehr hat. Der Trainer lacht und scherzt: "Ich wollte nicht in die Verlegenheit kommen, mir eine Frisur wie Jerome Boateng machen zu müssen. Also habe ich alle Haare abgemacht." Boateng, der seit Kurzem eine Art Mini-Irokesen trägt, sitzt neben ihm und grinst, die Chinesen lachen.

Die Tage auf der Tour sind enorm durchgetaktet. Dienstag steht das nächste Testspiel an: In Shanghai geht es gegen Inter Mailand. Der übergewichtige Fan Lian freut sich schon, sagt er nach dem Training. Diesmal ist er dann nur vor dem Fernseher dabei. "Aber das ist auch gut. Hauptsache Bayern. Ein Leben lang!"


Quelle: welt.de


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)