Projekt Bayern-21

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„Bei Bayern versauern die Talente auf der Bank“, „In München können Talente nur scheitern“ und „Wer als Talent zum FCB geht, wirft seine Karriere weg“: Seit Carlo Ancelotti das Ruder beim FC Bayern übernommen hat, häufen sich wieder solche Kommentare. Nicht zuletzt, weil in dieser Saison einige Rekorde für die älteste Startelf gesetzt wurden.

In diesem Artikel wollen wir etwas tiefer in die Altersstruktur des Bayern-Kaders einsteigen und diesen mit aktuellen Konkurrenten, vergangenen Jahren sowie früheren Ancelotti-Teams vergleichen.

Die EM weckte Erwartungen


Im Sommer war die Erwartungshaltung und Vorfreude der Anhänger des FC Bayern groß. Bei der Europameisterschaft hatten die beiden Youngstars Kimmich und Coman viele Minuten gesammelt (390 und 272) und dabei starke Leistungen gezeigt.

Dazu gesellte sich noch der Shooting-Star der EM: Renato Sanches. Der 19-jährige Portugiese hatte bei seinen sechs Einsätzen für den späteren Europameister Portugal die gesamte deutsche Fachpresse fast restlos mit seinen Dribblings durchs Mittelfeld und seinem dauerhaften Offensivdrang überzeugt. Während noch nach seiner Verpflichtung im Mai 2016 einige Kritik an der kolportierten Ablösesumme von 35 Millionen (plus Bonus-Zahlungen) aufkam, wurde seine Ankunft mit gespannter Vorfreude erwartet.

Doch die „etablierten“ jungen Spieler, die unter Guardiola überzeugende Auftritte hinlegten, und auch Neueinkauf Sanches konnten in der ersten Saison unter Ancelotti noch nicht an ihre Leistungen aus dem Vorjahr anknüpfen.

Dabei waren sie in einem kleinen Teufelskreis gefangen. Ancelotti vertraute oft dem Kern seiner Mannschaft und wechselte erst, wenn das Spiel bereits am kippen war. Die jungen Spieler kamen nun häufig ohne Bindung in die Partie und versuchten oft zu viel auf einmal. Die daraus resultierenden schwächeren Leistungen schmälerten das ohnehin gesunkene Selbstvertrauen.

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Die Entwicklung von Kimmich und Coman in den letzten anderthalb Jahren weist einige Gemeinsamkeiten auf.
(Photo: VALERY HACHE/AFP/Getty Images)


So sind die Bayern weiterhin auf der Suche nach dem nächsten U23-Spieler, dem der Sprung in die erste Elf gelingt. Der letzte Spieler, der dies schaffte, war David Alaba, der unter Louis van Gaal, ähnlich wie vorher bereits Thomas Müller, in so gut wie jedem Spiel das Vertrauen geschenkt bekam.

Kimmich und dann lange nichts

Um die Altersstruktur im Bayern-Kader zu verdeutlichen, haben wir uns die prozentuale Anzahl der Spielminuten eines jeden Spielers angeschaut und diese über das Alter der Spieler aufgetragen. Zum weiteren Verständnis wurde eine Trendlinie eingefügt, die die durchschnittliche Spielzeit pro Alter anzeigt. Da nach der Saison Phillipp Lahm und Xabi Alonso ihre Karriere beenden, haben wir die Trendkurve auch noch ohne die Spielzeiten der beiden berechnet (grüne Linie). Die Daten haben den Stand vom 26. März.

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Die Generation Bayern-2021 verbucht die meisten Minuten

Als erstes soll der Fokus auf die jungen Spieler gelegt werden. Im linken Bereich sind neben den vier Amateur-Spielern, die den Kader auffüllen und keine Minute absolvierten, die oben bereits oben erwähnten einsortiert: Sanches, Coman, Kimmich und Bernat.

Kimmich absolvierte die meisten Spielminuten der vier genannten. Dies kann vor allem mit seiner Vielseitigkeit begründet werden, so kam er insgesamt auf fünf verschiedenen Positionen zum Einsatz. Die relativ gute Zahl von 50% der Spielminuten trügt jedoch etwas. So absolvierte der deutsche Nationalspieler die meisten seiner Einsätze in der Hinrunde. Während Kimmich in der CL-Gruppenphase noch 271 Minuten in fünf Spielen bestritt, kamen in der K.O.-Phase nur drei Spiele und überschaubare 49 Minuten dazu.

Gerade Kimmich war die fehlende regelmäßige Spielpraxis anzumerken. Im Frühherbst durfte er gegen Hamburg, Köln und Frankfurt drei mal in Folge über die komplette Distanz ran und schoss direkt in jedem Spiel ein Tor. In der Rückrunde waren solche gefährlichen Ausflüge in den Strafraum nur noch selten zu sehen.

Coman und Sanches spielten beide etwa 25% der Minuten, wobei Coman aufgrund mehrerer Verletzungen einige Spiele verpasste. Dennoch bieten nur zwei Einsätze über 90 Minuten und nur 34 Minuten Champions League zu wenig Potenzial zur Entwicklung des zeitnah benötigten Ribéry-Nachfolgers.

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Bayerns teure Teenager.
(Photo: ODD ANDERSEN/AFP/Getty Images)


Sanches tat sich generell schwer mit dem neuen System in einem neuen Verein unter einem neuen Trainer. In den wenigen Partien, die er absolvierte, fragten sich einige Bayern-Fans, ob dies wirklich der gleiche Spieler war, der bei der EM so überzeugt hatte. Das passintensive Bayern-Spiel kam dabei dem Mittelfeld-Dribbler und Unruhestifter Sanches nicht gelegen. Gerade in Kombination mit Vidal in der Zentrale litt dann auch das Bayern-Spiel unter fehlender Struktur. Es war erkennbar, dass er der einzige Spieler ist, der in seiner Karriere noch keinen positionsspielfokussierenden Trainer hatte.

Zwei vorm Abschied, zwei im Job-Sharing

Am anderen Ende des Spektrums liegt die Ü30-Fraktion rund um den Kapitän Lahm, den Maestro Alonso und das Flügel-Duo Robbery. Ancelotti verschaffte allen vieren regelmäßige Verschnaufpausen, um die Fitness zum Saisonendspurt sicher zu stellen. Daher kommt keiner der Spieler auf mehr als 75% Einsatzzeit.

Besonders bei Lahm ist die Belastungssteuerung erkennbar. Bis zum 30. Spieltag bestritt der Rechtsverteidiger erst 1842 Spielminuten in der Bundesliga. Zur Referenz: Erst drei mal blieb Lahm in seiner Karriere unter der Marke von 2.000 Minuten – in allen drei Saisons fiel er für längere Zeiträume verletzt aus (05/06 Kreuzband, 07/08 Bänderdehnung, 14/15 Sprunggelenk).

Die beiden Außenstürmer sind ein gutes Beispiel für erfolgreiches Job-Sharing. Ribery und Costa hatten die gleichen Spielanteile, wobei Ribery und damit die Erfahrung in den wichtigen Spielen gegen Madrid und Dortmund den Vorzug bekam. Hier muss man abwarten, ob Costa in Zukunft nicht mehr Einsätze in wichtigen Partien fordern wird. Argumente für solche lieferte er jedoch weder in der Champions-League noch im DFB-Pokal. Es bleibt offen, ob er in der Lage ist den noch notwendigen Entwicklungsschritt zu gehen, um Ribéry auf dessen Peak-Niveau zu ersetzen.

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Bald nur noch im Freizeitdress zu bewundern.
(Photo: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)


Insgesamt werden durch das Karriereende von Alonso und Lahm nächste Saison 5.612 Minuten Spielzeit in allen Wettbewerben frei. Ancelotti muss es schaffen diese Zeit nicht nur auf die Neuzugänge zu verteilen, sondern auch zur Entwicklung der jungen Spieler zu verwenden.

Generation Bayern 2021

Als letzter Block bleibt noch der rot markierte Bereich in der Mitte: die Generation Bayern-2021. Hier finden sich die besten Spieler der aktuellen Saison: Lewandowski, Thiago und Neuer. Alle sieben Spieler plus Boateng, der aufgrund seiner Verletzung hier etwas abfällt, sind zudem langfristig an den FC Bayern gebunden. Als letzer Spieler verlängerte Thiago vor dem Spiel gegen Wolfsburg seinen Kontrakt bis 2021.

Diese Spieler ergänzt um einige junge Spieler sollen den so wichtigen Kern für die nächsten Jahre bilden. Viele davon sind kurz vor ihrem absoluten Peak oder befinden sich bereits seit einigen Jahren auf diesem Niveau. Für Ancelotti wird es hier wichtig sein, diesen Kern beisammen und bei Laune zu halten. Mit der Achse Neuer-Boateng/Hummels-Thiago-Lewandowksi ist Bayern bis 2021 sehr gut aufgestellt. Dieser Spieler ergänzt mit jungen Spielern aus den eigenen Reihen ergänzt durch gezielte Verstärkungen stellen das Projekt Bayern-21 dar.

Zwei Spieler die herausstechen sind Thomas Müller und Arturo Vidal. Müller lief in der gesamten Saison seiner Form hinterher und konnte nur selten überzeugen. Seine Position oder vielmehr den Raum, den er unter Guardiola noch besetzte, existiert in Ancelottis 4-3-3 nicht. Dennoch erhielt er viel Spielzeit, wobei er in den wichtigen Spielen nur von der Bank kam. In Carlos Stammelf war kein Platz für Müller.

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Zwei die sich bewähren müssen.
(Photo: Lennart Preiss/Bongarts/Getty Images)


Auch aus diesem Grund wurde Vidal bewusst nicht beim Kern von Bayern-2021 erwähnt. Seine Rolle im Münchner Team und Spiel ist im Sommer zu bewerten. Eventuell wird es nächste Saison sogar zu einem Aufteilen seiner Minuten mit Javi Martinez kommen, sollte dieser von Ancelotti wieder ins Mittelfeld beordert werden.
Vidal steht mit seiner Einsatzzeit etwa auf einer Stufe mit Alonso. Nachdem der Chilene in den großen Partien der vergangenen Saison seinen Wert für die Mannschaft zeigte und häufig wichtigster und bester Mann war, verflachten seine Leistungen etwas. Gerade gegen Darmstadt & Co. fehlte Vidal oft das letzte Feuer.

Quelle: miasanrot.de


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)