Bayerns Joshua Kimmich: "Kaum jemand hat auf mich gezählt"


Joshua Kimmich absolvierte in seiner ersten Saison beim FC Bayern 36 Pflichtspiele
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Joshua Kimmich erklärt im Goal-Interview seinen rasanten Aufstieg. Zudem spricht der Youngster über Pep Guardiolas Vertrauen, Philipp Lahms Erbe und die EM in Frankreich.


Es ist kaum mehr als zwei Jahre her, da kämpfte Joshua Kimmich mit RB Leipzig in der 3. Liga um den Aufstieg. Heute ist er Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger und Nationalspieler. Kimmich verblüffte. Mit bemerkenswert routinierten Auftritten und ungeahnten Qualitäten etablierte sich der 21-Jährige beim FC Bayern München. Goal traf Kimmich nach seiner ersten Saison beim Rekordmeister zum Interview.

Joshua, wenn Ihnen jemand vor einem Jahr einen derartigen Aufstieg prophezeit hätte, Sie hätten denjenigen wohl kaum ernst nehmen können.

Joshua Kimmich: Auf keinen Fall. Ich hätte ihn zwar nicht für geisteskrank erklärt, ich glaube aber auch nicht, dass meine Entwicklung so absehbar war. Viele waren - positiv ausgedrückt - überrascht, als ich zu Bayern gewechselt bin. Kaum jemand hat auf mich gezählt, kaum jemand hätte gedacht, dass die Saison für mich so verlaufen würde. Im Nachhinein ist es jetzt natürlich einfach zu sagen, dass ich mit dem Wechsel alles richtig gemacht habe.

War es nie eine Alternative, zu einem anderen Klub zu wechseln?

Kimmich: Als ich vom Interesse der Bayern gehört habe, gab es für mich keine Alternative. Ich will immer an mein Maximum gehen und habe die Chance gesehen, mich auf dem höchstmöglichen Level mit den Besten zu messen. Das wollte ich unbedingt ausprobieren. Es wäre ja auch nichts passiert, wenn ich ein Jahr hier gewesen wäre und nicht so viel gespielt hätte. Dann hätten sich bestimmt immer noch andere Optionen ergeben. Für mich war aber gleich klar, dass ich es hier schaffen und mich durchsetzen möchte. Das ist immer noch so. Nur weil ich ein paarmal gespielt habe, habe ich es nicht geschafft. Mein Weg ist hoffentlich noch nicht zu Ende.

Sie haben den Sprung zum FC Bayern über den VfB Stuttgart und RB Leipzig geschafft. Waren diese Schritte Teil Ihres persönlichen Karriereplans?

Kimmich: In der Jugend habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht, wie mein Weg verlaufen könnte. Ich habe nicht direkt den Sprung zu den Profis geschafft, sondern bin nach dem ersten Jahr A-Jugend nach Leipzig gewechselt, habe dort in der 3. Liga Erfahrungen gesammelt. Das war ein guter Schritt, weil ich mich dort an den Erwachsenenfußball gewöhnen konnte. Wir sind direkt aufgestiegen, und danach habe ich dann den nächsten Sprung gewagt. Bei mir ging es eben Schritt für Schritt, während es andere Spieler direkt aus der A-Jugend zu den Profis schaffen. Jeder geht seinen individuellen Weg. Deshalb kann man als Jugendspieler auch keinen Karriereplan aufstellen. Wenn mir jemand gesagt hätte, wie es bei mir sein würde, hätte ich damit auch nicht gerechnet.

Als Sie in München ankamen, war es Ihr erklärtes Ziel, sich langsam dem Niveau Ihrer Mitspieler anzunähern. Das ging schnell.

Kimmich: Das stimmt schon. In der Hinrunde habe ich auch schon ein paar Spiele gemacht, aber nicht so viele wie in der Rückrunde. Natürlich habe ich von Verletzungen profitiert, so ist das als junger Spieler. Man wartet auf seine Chance - dann muss man sie nutzen. Am Anfang war es mein Ziel, mich zurechtzufinden und mir etwas von den Jungs abzuschauen. Das kann man hier jeden Tag. So war es vor einem Jahr, und so ist es jetzt immer noch. Mein Ziel war es, mich zu akklimatisieren, mich anzupassen und zu versuchen, das Niveau zu erreichen - und da ist noch Luft nach oben.

Wussten Sie eigentlich schon vor Ihrer Zeit beim FC Bayern, dass Sie auch Innenverteidiger-Qualitäten haben?

Kimmich: Als ich beim VfB Stuttgart in die U13 gekommen bin, habe ich ein halbes Jahr in der Innenverteidigung ausgeholfen. Danach habe ich dort in der Jugend nie wieder gespielt. Auch weil ich von den Gleichaltrigen körperlich eingeholt wurde. Ich war nie der Größte. Glücklicherweise kommt es im Fußball aber nicht auf die Körpergröße an. Mittlerweile fühle ich mich auch in der Innenverteidigung wohl - obwohl die Sechs weiterhin meine Lieblingsposition ist.

Trotz Ihrer vermeintlichen physischen Nachteile haben Sie ordentliche bis sehr gute Leistungen im Abwehrzentrum gebracht. Wie war das möglich?

Kimmich: Ich könnte nicht in jedem Verein als Innenverteidiger spielen. Hier kommt mir zugute, dass wir viel Ballbesitz haben, dass vor allem die spielerischen Elemente gefragt sind. Ich muss nicht so oft in Kopfballduelle oder Eins-gegen-eins-Situationen gehen, sondern habe den Ball meistens am Fuß. Eine saubere Spieleröffnung ist wichtig, das alles hat es für mich einfacher gemacht.


Debütierte beim 1:3 gegen die Slowakei am Sonntag für die deutsche A-Nationalmannschaft: Joshua Kimmich

Sie wirken nach Außen cool und abgeklärt. Sieht es bei Ihnen im Inneren genauso aus?

Kimmich: Erst einmal freut es mich, wenn das so rüberkommt. (lacht) Ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll: Ich versuche einfach so zu spielen, wie ich bin, und stets die Ruhe zu bewahren. Bei mir waren sicherlich auch schlechte Spiele dabei, trotzdem musst du immer das Selbstbewusstsein und den Glauben an dich selbst haben. Du musst wissen, was du kannst und darfst dich nicht verstecken.

Was ging Ihnen denn durch den Kopf, als Sie vor dem Viertelfinale der Champions League kurz vor dem Anpfiff im Spielertunnel standen?

Kimmich: Das Gute ist ja, dass ich viele erfahrene Spieler um mich herum habe, die mir helfen, egal ob ich etwas gut oder schlecht mache. Wenn man dann im Tunnel steht, einläuft, auf die Ränge guckt in einem ausverkauften Haus und die Champions-League-Hymne hört, ist das ein überragendes Gefühl. Dann hast du einfach nur Bock, Fußball zu spielen.

War Ihnen schon immer klar, dass Sie es einmal auf dieses Niveau schaffen können?

Kimmich: Ich habe mir nie den Druck gemacht, es schaffen oder irgendwann einmal Champions League spielen zu müssen. Natürlich träumt man davon, deswegen spielt man doch Fußball. Weil es Spaß macht, aber eben vor allem, weil man etwas erreichen will: Spiele und und Titel gewinnen.

Sie haben schon angesprochen, dass Sie auch vom Verletzungspech profitiert haben. Wie viel Glück braucht man als junger Spieler, um sich etablieren zu können?

Kimmich: Natürlich hatten wir viele Ausfälle in der Innenverteidigung. Wenn jemand aber Ihnen oder einem anderen Fußballexperten gesagt hätte, dass beim FC Bayern vier Innenverteidiger ausfallen, dann wäre niemand auf die Idee gekommen, dass das ausgerechnet für mich eine riesige Chance sein würde. Selbst ich habe ja nicht damit gerechnet. Du brauchst das Quäntchen Glück, um deine Chance zu bekommen, diesen Moment, in dem du reinrutschst und dich beweisen kannst, das ist schon richtig. Ich wusste aber, dass ich meinen bekommen würde, wenn ich fit und gesund bleibe, sonst hätte der Verein mich nicht geholt. Sobald du die Chance dann bekommst, ist es kein Glück mehr. Du musst diese Gelegenheit nutzen und mit Leistung überzeugen. Es liegt an dir selbst: Entweder du bist da oder nicht. Du weißt nie, wie viele Chancen du bekommst.

Wie sehr hat Ihnen Pep Guardiola in Ihrem ersten Jahr Bundesliga geholfen?

Kimmich: Extrem. Erst einmal habe ich ihm zu verdanken, dass ich überhaupt hier bin. Dazu kommt, dass er mir die ganzen Einsatzzeiten gegeben hat. Schon in der Hinrunde, als noch nicht so viele Spieler verletzt waren, habe ich ein paar Partien gemacht. Er hat mir immer wieder die Chance gegeben, mich zu zeigen. Er hat mir in der Innenverteidigung vertraut - nicht nur in der Bundesliga gegen Gegner aus der unteren Tabellenhälfte, sondern auch in der Champions League im Achtel- und Viertelfinale. Genauso im Bundesliga-Spiel in Dortmund, als es um sehr viel ging. Wenn du dieses Vertrauen spürst, kannst du ganz anders aufspielen.

Welchen Anteil hatte Guardiola denn an Ihrem Wechsel?


Kimmich: Trainer haben immer einen sehr großen Anteil an Neuverpflichtungen. Natürlich ist es der ganze Verein, der einen beeindruckt. Beim FC Bayern weiß man, dass man jedes Jahr die Chance hat, um Titel mitzuspielen. Gleichzeitig ist die Gefahr bei Bayern groß, irgendwann in seiner Entwicklung zu stagnieren, wenn man seine Einsatzzeiten nicht bekommt. Der Trainer und dessen Planungen spielen also eine wichtige Rolle. Wenn er einem das Gefühl gibt, dass er einem vertraut und auf einen setzt, ist das sehr wichtig. Und das war bei Guardiola der Fall.

Zunächst mussten Sie sich im Training empfehlen. Wahrscheinlich wollten Sie nichts falsch machen, sich aber auch nicht verstecken. Wie schwierig ist der Spagat?

Kimmich: Am Anfang ist das nicht ganz so einfach. Wenn man zu einem neuen Verein kommt, muss man sich an die Leute gewöhnen und schauen, mit wem man es zu tun hat. Es wäre aber der völlig falsche Ansatz, Angst vor Fehlern zu haben. Du musst so frei wie möglich aufspielen und den anderen Jungs zeigen, was Du drauf hast. Auch wenn mal etwas schief geht, gilt es, nicht den Kopf hängen zu lassen, sondern weiter Gas zu geben.


Joshua Kimmich (l.) und Bayern-Reporter Niklas König

Philipp Lahm wird seine Karriere beim FC Bayern in zwei Jahren beenden. Er hat eine erfolgreiche Ära als Führungsspieler geprägt und oft mit herausragenden Leistungen als Rechtsverteidiger überzeugt. Sie haben nun auch einige Male auf den Flügeln verteidigt. Können Sie sich vorstellen, in die Lahm-Rolle hineinzuwachsen?


Kimmich: So lange ich auf dem Platz stehe, kann ich mir jede Position vorstellen. Als Außenverteidiger habe ich auch schon zweimal in den U-Nationalmannschaft gespielt, bei Bayern habe ich es in der Hinrunde im DFB-Pokal gegen Darmstadt und in der Bundesliga gegen Ingolstadt gespielt, zuletzt dann wieder gegen Hertha. Klar kann ich mir diese Position also vorstellen.

Können Sie mit dem Vergleich mit Lahm etwas anfangen?

Kimmich: Ich würde mich nicht mit Philipp Lahm vergleichen, der schon alles in seinem Leben gewonnen hat. Er hat eine Wahnsinns-Karriere hingelegt, war so gut wie nie verletzt. Um dahin zu kommen, fehlt noch Einiges.

Ist er ein Vorbild?


Kimmich: In gewisser Art und Weise ist er auf jeden Fall ein Vorbild. Seine Konstanz ist beeindruckend. Wenn Philipp Lahm rechts hinten oder im Mittelfeld spielt, weiß man, dass er eine Top-Leistung abrufen wird. Er fällt nie von seinem Niveau ab, hat eine unheimliche Spielintelligenz wie nur wenige andere. Dazu ein super Passspiel, immer mit dem Auge für die Mitspieler. Da kann ich mir sicher sehr, sehr viel abschauen.

Lahm hat in der Nationalmannschaft aufgehört, Sie stehen im vorläufigen Kader. Ihr Ziel ist jetzt die EM?

Kimmich: Es war ganz klar immer ein Wunsch, irgendwann einmal in der Nationalmannschaft zu spielen. Ob ich in Frankreich dabei sein werde, weiß ich nicht. Aber selbstverständlich werde ich nicht nein sagen zur EM. (lacht) Ansonsten haben wir haben ja auch noch Olympia, auch da wäre ich gerne dabei.

Im Sommer beginnt mit Carlo Ancelotti ein neues Kapitel beim FC Bayern. Zunächst reisen Sie gemeinsam in die USA. Freuen Sie sich darauf?

Kimmich: Im vergangenen Jahr waren wir in China, das war schon verrückt im positiven Sinne - das ist eine Lebenserfahrung, die man mitnimmt. So etwas erlebt man übrigens auch nicht bei jedem Klub. In den USA war ich noch nie, daher fände ich es durchaus spannend, das mal mitzuerleben. Die Olympia-Vorbereitung ist allerdings genau in diesem Zeitraum angesetzt, daher weiß ich nicht, was passieren wird. So oder so: Es wird ein spannender Sommer.

Was erwarten Sie von Ancelotti?


Kimmich: Jeder weiß, dass er ein Weltklasse-Trainer ist, der schon seine Titel gesammelt hat und das hoffentlich auch mit uns weiterhin tun wird. Wie man hört, soll er menschlich ein überragender Typ sein. Es ist sicherlich nichts Schlechtes, schon in jungen Jahren einen weiteren Weltklasse-Trainer zu erleben.

Unter Guardiola haben Sie eine große Rolle gespielt, jetzt müssen Sie sich wieder neu beweisen. Trauern Sie Guardiola nicht auch hinterher, so wie es für Sie in den vergangenen Monaten gelaufen ist?

Kimmich: Klar hätte ich es auch gerne gehabt, wenn Pep noch länger geblieben wäre. Er hat auf mich gesetzt. Im Fußball ist es aber normal, dass Trainer und Spieler wechseln. Es gibt immer wieder ein neues Umfeld, man muss sich immer wieder neu beweisen. Man muss weiter seine Leistung bringen, lernt gleichzeitig wieder neue Ansätze kennen. Für uns Spieler ist es gut, wieder etwas Neues zu erleben und zu hören. Das wird sich in der Entwicklung jedes Einzelnen positiv auswirken.


Quelle: goal.com


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)