[b]Experiment ohne Wert für 96
Weitgehend harmlose „Rote“ verlieren bei Bayer Leverkusen mit 0:2.
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Von Volker Wiedersheim
Leverkusen. Man könnte fast denken, es sei alles nur ein Experiment der Bayer-Abteilung Forschung und Entwicklung gewesen. Die Leverkusener Fußballmannschaft von Cheflaborant Michael Skibbe empfängt den Bundesligisten Hannover 96 als Proband. Einige Zeit lang testen die Experimentatoren, ob 96 wirklich so harmlos stürmt wie in den jüngsten Partien beobachtet. Sie lassen Verteidiger Vinicius nach einer Ecke mal köpfen (9. Minute), aber es wird nicht richtig kritisch. Sergio Pinto darf dann mal vom Strafraum halbrechts abziehen, Christian Schulz darf mal von links sein Schussglück versuchen … Aber der Schreck-O-Meter der Leverkusener Defensiv-Doktoren um Manuel Friedrich zeigt einfach gar keinen Ausschlag. Das Experiment bestätigt die Harmlos-Hypothese der gesamten 96-Abteilung Attacke in ihrer gegenwärtigen Verfassung.
In der 30. Minute beginnt Leverkusen die zweite Phase des Tests und prüft, ob die Sollbruchstellen der 96-Abwehr bei Belastung tatsächlich nachgeben. Ergebnis positiv: Einmal entschlossen draufgehen, schon hat Leverkusen auf der linken Seite den Ball erobert, und dann zeigt Junglaborant Tranquillo Barnetta seine Präzision beim Versuchsaufbau: Ehe die 96er recht begriffen haben, was gespielt wird, geht der Ball über Stefan Kießling zu Theofanis Gekas, und der Grieche lupft den Ball frech über den weit, wohl zu weit vor dem Tor stehenden 96-Torhüter Robert Enke.
Wissenschaftler glauben Testergebnisse immer erst dann, wenn sie sich wiederholen lassen. Also noch mal – und wieder reißt die 96-Viererkette (39.): Gekas bekommt den Ball vor dem 96-Strafraum, schiebt unbedrängt steil auf Barnetta, und der Schweizer überwindet Enke mit einem halbhohen Schuss ins kurze Eck. Torwartecke, muss Enke haben! Könnte man sagen. Aber indem Enke die Lücke geschlossen hätte, wäre der Passweg auf den griechischen Fußballforscher Gekas am langen Pfosten frei gewesen. So oder so – 2:0.
Die Leverkusener wiederholten das Experiment noch weitere Male, aber mit etwas weniger Präzision im Versuchsaufbau, so konnten erst Valérien Ismaël und in der Schlussminute noch einmal Steve Cherundolo für den bereits geschlagenen Enke Bälle von der Torlinie „kratzen“.
Es ging bei der für das Leverkusener Publikum höchst unterhaltsamen Wissenschaftsshow fast ein bisschen unter, dass die 96er nicht nur Probanden waren, sondern selbst ein Experiment unternahmen: Viele Fans fordern es seit Wochen, und gestern ließ 96-Trainer Dieter Hecking endlich mal praktisch vom Anfang an mit zwei Sturmspitzen spielen. Wenigstens bei eigenem Ballbesitz agierte Benjamin Lauth als gleichberechtigter Stürmer neben Mike Hanke. Der bisher erfolgreichste Torjäger (neun Saisontreffer) bemühte sich wie eh und je redlich um die Bälle, blieb aber mit Ausnahme zweier ungefährlicher Kopfbälle fast wirkungslos. Lauth kam nur ein einziges Mal in Schussposition und verzog weit. Zwar wurde das 96-Angriffsspiel insgesamt in der 2. Halbzeit etwas dynamischer, so etwa mit der Chance für den eingewechselten Arnold Bruggink (68.). Aber weil praktisch alle Spieler der „Roten“ (und ganz besonders Sergio Pinto) zu den Gegenspielern vornehme Distanz wahrten, Zweikämpfe überwiegend verweigerten und die seltenen beim Gegner eroberten Bälle meist schnell wieder wegschenkten, brachte der Test der 96-Doppelspitze keine verwertbaren Ergebnisse – ein Experiment ohne Wert für Hannover 96. Und ohne Unterhaltungswert für das 96-Publikum.