Spiele auf Sparflamme

Von Volker Wiedersheim und Christian Purbs
Duisburg. Mike Hankes EM-Chance ist dahin. In der Bundesliga seit dem Rückrundenstart überwiegend Leerlauf. Und jetzt das: In Duisburg fällt der 96-Stürmer auf eine billige Provokation herein. Der Duisburger Verteidiger Iulian Filipescu latscht mit dem Stollenschuh auf den Fuß von Hanke, und der schiebt den Gegner mit einem Griff in den Nacken weg. Tätlichkeit. Rot! „Hart, aber vertretbar“, sagt 96-Trainer Dieter Hecking zu der Entscheidung. Heute ist bei den „Roten“ eine interne Geldstrafe das Thema. Außerdem wird der DFB über die Dauer der Sperre beraten. Drei Spiele sollten es wohl werden. Hanke, der allen Nachfragen auswich, würde gegen den VfB Stuttgart, den VfL Wolfsburg und Eintracht Frankfurt fehlen. Geht’s noch schlimmer? Aber immer!
Ohne Hanke spielte 96 in Duisburg plötzlich besser als in den Spielen zuvor mit ihm. Hoffentlich stürzt ihn die Beobachtung nicht in Selbstzweifel.
Denn in Wirklichkeit geht’s hier nicht um ihn, nicht um einen Einzelnen. Sondern um die Elf. Ein Lehrstück über Gruppendynamik und Bundesliga-Psychologie. Mal alle wohlfeilen Formeln über Kracher, qualitätsverbreiterte Kader, Siegertypen, Europagene und Führungsspielerqualitäten beiseite, dann bleibt eine ernüchternde Zehn-Millionen-Euro-Erkenntnis: Ungefähr so viel billiger war die 96-Mannschaft, die vor zwei Jahren in Duisburg ebenfalls einen Punkt geholt hat (0:0 im März 2006). Damals Tabellenrang 9, jetzt 10. Reden wir mal nicht über Potenziale, sondern über „auf’m Platz“: Wo ist denn da die Entwicklung? Man stelle sich vor, dass heute irgendwo in der Schweiz ein gewisser Ilja Kaenzig, seinerzeit Chefeinkäufer bei den „Roten“, mit dem Zeigefinger hörbar auf den Stammtisch tippt und triumphierend „Siehste!“ sagt. Man weiß ja, dass er kein Recht zur Besserwisserei hätte, doch wo sind die Argumente, ihn zu widerlegen?
Schlechte Plätze, schwache Schiedsrichter, verletzte 96er, unglückliche Eigentore, ein glücklicher Luca Toni – es gibt immer Erklärungen für den gegenwärtigen Sparflammen-Fußball der „Roten“, manche sind sogar plausibel. Nun hat Duisburg aber gezeigt: Die 96er brauchen nicht nur einen Millionen-Spielmacher, sie brauchen auch Schlüsselreize, die sie auf dem Platz wenigstens für 90 Minuten zur Schicksalsgemeinschaft vereinen. Mike Hanke hat mit seiner Torheit – natürlich unfreiwillig – den Impuls für für einen zuletzt seltenen kämpferischen Schulterschluss bei den „Roten“ gegeben. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass sie ihn im Mannschaftsbus dafür mit einem dreifachen „Danke, Hanke“ hochleben ließen. Sieben Punkte aus acht Rückrundenspielen, und der Meister ist nächster Gegner – das ist die schwierige 96-Situation: Vielleicht gibt es weitere Schlüsselreize, sonst bleibt nur die Hoffnung, dass der VfB Stuttgart sich selbst ein Bein stellt.