Die Roten verlieren 2-2

Von Jörg Grußendorf
Hannover. Die Stimmung war ein wenig seltsam. Die Zahl der Unzufriedenen war riesengroß, aber noch größer war die Zahl der Ratlosen. Wohl auch deshalb blieb das große Pfeifkonzert aus. Wie um Himmels Willen konnte das noch passieren, wie konnten die „Roten“ dieses Fußballspiel noch aus der Hand geben? Schulterzucken und Kopfschütteln waren die vorherrschenden Gesten in der AWD-Arena nach diesem 2:2 gegen Hertha BSC Berlin, das für Hannover 96 eindeutig einer Niederlage gleichkam. Dieses Remis stoppte den kurzen Aufwärtstrend, es beendete wohl endgültig alle UI-Cup-Träume; und es offenbarte gleichzeitig viele, viele Schwächen.

Den 96-Spielern ging es bei der Einschätzung dieser Partie mit diesem schlimmen Leistungsabfall in der 2. Halbzeit nicht anders als ihren Fans. „Ich weiß es einfach nicht“, sagte Jiri Stajner, der als einer der wenigen Profis der „Roten“ für sich behaupten kann, dass er nahezu die gesamte Spielzeit präsent war. Viele von seinen Mitspielern tauchten hingegen völlig unter. Alles, was sie vor dem Wechsel abgeliefert hatten, war plötzlich wie weggefegt. Die herrlichen Ballstafetten, meistens ausgehend von einem brillanten Spielmacher Arnold Bruggink, das schön anzusehende Direktspiel, die packenden Torraumszenen – nach Wiederanpfiff Fehlanzeige. Zumindest aufseiten der „Roten“, die sich auf einmal ähnlich passiv verhielten wie die Berliner vorher. Doch als Hertha schließlich auftrat, wie man es von einer Bundesligamannschaft erwarten kann, war es mit der 96-Herrlichkeit vorbei. Bruggink fand plötzlich gar nicht mehr statt, wenigstens fast – sein Traumpass auf Stajner in der 84. Minuten soll hier natürlich nicht verschwiegen werden. Der ständige Körperkontakt mit seinen Berliner Gegenspielern schmeckte dem Niederländer überhaupt nicht. Die Abwehr leistete sich manche Schwäche. „Kerzen“, Fehlpässe und -einschätzungen nahmen zu. Auch ein erfahrener Innenverteidiger wie Valérien Ismaël ließ sich anstecken; die Situation, die zum Strafstoß und somit zum 1:2 führte, hätte er mit Sicherheit souveräner und nicht mit einem Handspiel bereinigen können. Sein Einsatz wirkte – vorsichtig ausgedrückt – reichlich plump. Und im Sturm, da passierte auch nicht mehr viel. Gefährlich wurde es nur nach Stajners Standardsituationen.

Plausible Erklärungen dafür gab es nicht; und darum sprach man bei 96 auch lieber von der beeindruckenden 1. Halbzeit, vom „begeisternden Fußball“, den nicht nur Trainer Dieter Hecking da gesehen hatte. Dabei hatte 96 sich allerdings viel zu sehr an der Spielfreude ergötzt und das Wesentliche vergessen. Die Umstände jedenfalls waren ideal. Die Berliner leisteten lange kaum Gegenwehr, sahen dem Treiben der „Roten“ aus sicherer Entfernung desinteressiert zu und ließen sie nach Herzenslust gewähren und eine Menge Torchancen gegen sich zu – und sie schossen die Tore praktisch selbst. Beim ersten bugsierte Steve von Bergen den Ball von Mike Hanke, der vorbeigegangen wäre, ins eigene Netz; und beim zweiten stellten sich Torwart Jaroslav Drobny und Verteidiger Josip Simunic selten dämlich an; Abstauber Stajner hätte ob eines Lachanfalls den Ball fast noch ins Aus laufen lassen. 96 vergab die Chancen mitunter kläglich – allein Hanke eine Handvoll.

„Das ist ein Lernprozess, den wir verinnerlichen müssen: dass wir in solch einem Spiel auch den Sack zu machen“, sagte Dieter Hecking. Das ist die Lehre, die man aus diesem Spiel ziehen muss; aber eine Erklärung für diese schlimme 2. Halbzeit war auch das Fazit des Trainers nicht.