Interview mit Tanne

Michael Tarnat ist mit 38 Jahren ein absolutes Urgestein und dienstältester Feldspieler der Liga. Ausgerechnet kurz nachdem er die 96-Fans mit der Nachricht erfreute, doch noch ein weiteres Profijahr an seine lange Karriere anzuhängen, zog sich "Tanne" einen Sehnenabriss im linken Oberschenkel zu - die schwerste Verletzung seiner gesamten Karriere. Ans Aufgeben hat der 96-Linksverteidiger aber niemals gedacht, wie er gegenüber hannover96.de verriet.



Hallo Tanne, wie geht es Dir? Wie schwer fällt es dem dienstältesten Feldspieler der Liga, sich nach eine solch langwierigen Verletzung noch einmal zu motivieren, fit zu werden und weiter mit dem Leistungsport zu machen?
Michael Tarnat: „Gerade deswegen, weil ich verlängert habe und ich meine Karriere so nicht beenden möchte, habe ich die Motivation, so schnell wie möglich zurückzukommen. Ich hoffe sogar, dass ich vielleicht noch ein, zwei Spiele in dieser Saison machen kann – das ist einfach meine Motivation, so schnell wie möglich fit zu werden.“



Es gab also nie die leisesten Gedanken in die Richtung: Mensch, mich jetzt noch mal quälen müssen. Darauf habe ich eigentlich keine Lust mehr…
Michael Tarnat: „Nein, eigentlich nie. Gerade deswegen habe ich auch sofort gesagt: So möchte ich nicht aufhören – nicht auf der Pritsche statt auf dem Rasen.“

Wie entwickelt sich der Heilungsprozess?
Michael Tarnat: „Ich denke, normal. Ich bin am Montag noch einmal bei Dr. Müller-Wohlfahrt. Dann schauen wir nach, wie es sich entwickelt hat. Ich hoffe, dass ich grünes Licht bekomme und anfangen kann zu laufen. Ich hatte bislang noch nie eine so schwere Verletzung, abgesehen von einem Meniskuseinriss. Jetzt ist es aber erstmals so, dass ich über mehrere Wochen ausfalle.“

Erzähl uns doch mal, wie der Tagesablauf eines Rekonvaleszenten wie Dir aussieht…
Michael Tarnat: „Ich bin um halb zehn hier wie alle anderen auch. Dann gehe ich zu den Physiotherapeuten und werde da behandelt. Es wird Strombehandlung und Ultraschall gemacht, dazu kommen leichtere Massagen. Das Ganze passiert zweimal am Tag, pro Behandlung etwa zwei Stunden. Es ist allerdings nervig zu sehen, wie die anderen rausgehen mit den Fußballschuhen und Du stehst da mit den Badelatschen und wartest darauf, mit der Behandlung ran zu kommen.“

Wie haben Dir Deine verschiedenen Vertreter hinten links, Schulle, Vini und Kocka Rausch so gefallen? Achtet man darauf besonders von der Tribüne aus?
Michael Tarnat: „Ja, sicherlich beäugt man das und guckt, wie die Jungs sich verhalten. Aber ich muss sagen, dass alle drei sehr gut gespielt haben – gerade auch Kocka Rausch gegen Stuttgart mit seinen jungen Jahren. Er hat sehr gut und abgeklärt agiert. Da muss man dem Konstantin ein sehr großes Lob aussprechen, dass er auf der Position schon wie ein alter Hund gespielt hat. Da haben wir wieder ein Talent, auf das wir uns freuen können.“

Hast Du nach seinem Debüt explizit mit ihm gesprochen – über taktische Dinge zum Beispiel?
Michael Tarnat: „Nein, ich habe ihm nur zu seiner Leistung gratuliert und ihm gesagt, dass er ein tolles Spiel gemacht hat. Es ist aber nicht so, dass ich jetzt jeden Tag hin gehe und mit ihm spreche in der Art: Pass mal auf, das und das hättest Du jetzt besser machen müssen. Wenn mir etwas Gravierendes auffällt, dann spreche ich sicherlich mit ihm, aber ich glaube auch, dass ein junger Spieler seine eigenen Erfahrungen machen muss, um auch aus Fehlern zu lernen. Bei Kocka sieht man allerdings, dass er schon sehr abgeklärt ist, jede Ländermannschaft durchlaufen hat und taktisch bereits sehr gut geschult ist. Er hat sich ja leider gegen Stuttgart verletzt, sonst hätte er wohl auch gegen Wolfsburg gespielt.“



Apropos Vertreterrolle: In der Saison 99/00 übernahmst Du im Bayern-Trikot gegen den kommenden 96-Gegner Eintracht Frankfurt nach dem Ausfall beider Keeper das Torwarttrikot. Kurz vor Schluss rettete Deine Parade dann den Sieg. Wirst Du noch häufig darauf angesprochen?
Michael Tarnat: „Nun, am Anfang war es sicherlich einfach eine lustige Episode. Aber nach den vielen Jahren nervt es eigentlich, immer wieder darauf angesprochen zu werden und jedes Mal die gleiche Geschichte zu erzählen, wie es passiert ist. Immer wenn ein Frankfurt vor der Tür steht, muss man wieder dazu Stellung nehmen. Dabei ist es fast zehn Jahre her!“

Gut, dann vergessen wir die Frage lieber ganz schnell und leiten über zu aktuelleren Themen: Noch einmal gegen die Eintracht im Kasten zu stehen – das bleibt Dir also zumindest in dieser Spielzeit verwehrt. Dabei wäre doch, um es überspitzt zu sagen, Platz für Experimente. Ihr seid Zehnter und es scheint weder nach unten noch nach oben etwas zu gehen. Bietet eine solche Situation die besondere Chance, auch Dinge zu testen? So könnte z.B. Konstantin Rausch weitere Spielpraxis sammeln…
Michael Tarnat: „Ja ich glaube schon, dass der Trainer nun ein wenig experimentiert. Wenn es richtig darauf angekommen wäre, hätte der Kocka vielleicht gar nicht gespielt – oder beispielsweise der Bastian Schulz. Bei einer anderen Situation wäre möglicherweise eher die sichere Karte gespielt worden, z.B. mit Vinicius auf der Position. So hat der Trainer schon mal etwas probiert – und dadurch, dass beide Jungen gut gespielt haben, gibt ihm der Erfolg ja auch Recht. So konnte man schon Aufschluss darüber gewinnen, ob man auf die beiden im nächsten Jahr zurückgreifen kann.“

Fällt es einem Team in solch einer Niemandsland-Lage schwerer als sonst, die optimale Einstellung zu finden?
Michael Tarnat: „Nein. Man muss mal von dem Denken wegkommen, jeder Spieler müsse sich extra motivieren. Jeder Spieler, der Samstag für Samstag auf dem Platz steht, will das Spiel gewinnen. Es ist ja nicht so, dass man sich sagt: Oh, jetzt ist die Saison gelaufen – jetzt schauen wir mal, wie das läuft. Jeder ist damit beschäftigt, gut zu spielen, ein attraktives Spiel zu machen und dieses, wenn möglich, auch zu gewinnen. Das ist das primäre Ziel von jedem Spieler, der auf dem Platz steht. Man kann sich nicht erlauben, das Ganze in so einer Situation wie unserer einfach dahin plätschern zu lassen. Dann bringt man nicht de Leistung, dann sind die Leute unzufrieden, die Fans sind unzufrieden, der Trainer ist unzufrieden – und dann spielt man beim nächsten Spiel nicht. Als Motivation dafür, Woche für Woche seine Leistung zu bringen, reicht bereits, in der nächsten Woche wieder spielen zu wollen. Also: Jeder ist noch bei 100% und versucht, sein Bestmögliches zu bringen, um ein gutes Spiel zu machen.“

Die Zuschauer dürfen gegen den kommenden Gegner Frankfurt also ein attraktives Spiel erwarten…
Michael Tarnat: „Sicherlich ist es in unserer jetzigen Situation wichtig, dass man die Heimspiele so attraktiv gestaltet wie gegen Stuttgart. Dass man auch nach einem 0:0 sagt: Das war ein tolles Spiel und schön anzuschauen. Auch in Wolfsburg hat man gesehen: Die Mannschaft will und versucht alles, um zu gewinnen. Somit kann man auch für die nächste Saison schon einen positiven Trend schaffen, so dass die Leute sagen: Mensch, wir freuen uns wieder auf die neue Saison und wir wollen Hannover 96 unterstützen, Dauerkarten kaufen und Spaß daran haben, den Jungs da unten auf dem Rasen zuzuschauen. Das muss jetzt das Ziel sein.“

Zwar war zuletzt spielerisch ein deutlicher Aufwärtstrend zu spüren, doch irgendwie fehlte das letzte Quäntchen Glück…
Michael Tarnat: „Ja. In der Hinrunde lief alles. Da hast Du gewonnen und wusstest nach dem Spiel manchmal gar nicht, wie. Da haben wir nicht immer gut gespielt, aber eben Glück gehabt. Da hatten wir dann eine Chance und haben die rein gehauen. Und jetzt ist es eben so, dass Du gut spielst wie gegen Stuttgart oder Wolfsburg, die Gegner eigentlich im Griff hast, aber eben nicht das entscheidende Tor schießt. Dann fängst Du an, Dich zu hinterfragen und daran zu zweifeln, ob das alles so richtig ist. Das ist halt das Problem, dass man momentan ein bisschen zu viel nachdenkt. Man sollte wieder auf die Tugenden des letzten Jahres zurückkommen, ins Spiel reingehen und zunächst auf sich schauen, um seine Leistung abzurufen und dem Nebenmann zu helfen, wenn der gerade nicht so gut drauf ist. Es fehlt zurzeit ein wenig die Überzeugung, auch solche engen Spiele gewinnen zu können. Auch wenn Du gut im Spiel bist, hast Du vielleicht den Hintergedanken: Vielleicht verlieren wir das Spiel noch. Das ist genau das Falsche, was man machen kann. Man sollte immer positiv denken und sagen: Ja, wir gehen heute ins Spiel und gewinnen es!“

Euer kommender Gegner Frankfurt hat noch Tuchfühlung nach oben, zuletzt aber zuhause gegen Nürnberg verloren. Wie schätzt Du die Elf von Friedhelm Funkel ein?
Michael Tarnat: „Rein tabellarisch sind sie besser als wir. Aber ich glaube, dass es eine Mannschaft ist, die auf Augenhöhe mit uns ist. Eigentlich ist es überraschend, dass Frankfurt so gut dasteht. Die haben schwere Gegner gehabt und haben trotzdem ihre Punkte geholt. Aber wenn man Friedhelm Funkel kennt, weiß man, dass er sehr stark auf Disziplin achtet, sehr auf die Taktik achtet. Sicherlich wird es ein schweres Spiel für uns, aber ich glaube, man hat in den letzten Wochen gesehen, dass der Trend klar nach oben geht bei uns. Deswegen glaube ich auch, dass wir das Spiel gewinnen werden.“

Vielen Dank, Tanne, für das Gespräch. Werde schnell wieder fit!