Happyend in Unterzahl

Hannover 96 kommt beim 2:1 gegen Frankfurt erst in Schwung, als die Mannschaft nach Pintos Roter Karte nur noch zu zehnt ist



Von Heiko Rehberg
Hannover. Manchmal ist es hilfreich, nicht auf seinen Vorgesetzten zu hören. Man sollte das jetzt nicht unbedingt verallgemeinern und heute gleich im Büro ausprobieren, aber das Beispiel von Christian Schulz beweist, dass man sich ruhig mal taub stellen muss. Der 25-Jährige hatte Hannover 96 in der Fußball-Bundesliga mit seinem Tor in vorletzter Minute einen 2:1-Sieg gegen Eintracht Frankfurt beschert, aber wenn es nach Dieter Hecking, seinem Trainer, gegangen wäre, dann hätte Schulz niemals dort stehen dürfen, wo der geniale Pass des Kollegen Vahid Hashemian hinkam. „Ich wollte Schulz schon tadeln, weil er als defensiver Mittelfeldspieler ständig als Mittelstürmer aufgetaucht ist“, sagte Hecking.

Man muss das vielleicht erklären: 96 war nach der Roten Karte für Sergio Pinto in der 61. Minute in Unterzahl, Schulz ist nach einer Verletzung noch nicht ganz fit; in solchen Situationen ist es ratsam, erst einmal hinten dicht zu machen und das 1:1 über die Runden zu bringen. Aber Schulz hatte wohl am Donnerstagabend Fernsehen geschaut und sich gedacht: Wenn der kleine FC Getafe gegen die großen Bayern 115 Minuten mit zehn Mann spielen und drei Tore schießen kann, dann schaffen wir ja wohl gegen Frankfurt in einer halben Stunde einen Treffer. Schulz, der verteidigende Mittelstürmer, erledigte die Sache selbst, sodass selbst sein Chef nicht mehr böse sein konnte.
Hannover 96 – das ist die Erkenntnis des 28. Spieltages – scheint gewillt, aus der Rolle im Tabellen-Niemandsland etwas zu machen. Beim 2:3 gegen den VfL Wolfsburg hatte die Mannschaft ihren Anteil an einem turbulenten Nachmittag. Gegen Frankfurt hatte sie nicht nur ein spätes Happy End im Angebot; was sich immer gut macht, weil den Menschen auf dem Weg nach Hause der Schlussjubel präsenter ist als der Ärger über viele Minuten davor. Diesmal hatten die „Roten“ auch einen überraschenden Beitrag zu der in Hannover leidenschaftlich geführten Taktikdebatte dabei, und der geht so: Mit zehn Mann läuft es viel besser als mit elf.

Bis zur Roten Karte für Pinto, dessen Tätlichkeit an Faton Toski an Dummheit schwer zu überbieten ist, hatte 96 eine schwache Leistung gezeigt. Die 1. Halbzeit war sogar miserabel und das 1:1 nach Toren von Frankfurts Marco Russ (27. Minute) und ausgerechnet Pinto schmeichelhaft. Ohne den famosen Torwart Robert Enke, der sich in die Eintracht-Schüsse warf, „wäre das Spiel schon zur Pause gegessen gewesen“, wie 96-Trainer Hecking hinterher meinte.
Die Mängelliste war lang, enttäuschend aber war neben der Unzahl von Fehlpässen vor allem, dass mit Ausnahme von Altin Lala – und mit Abstrichen Valérien Ismaël – niemand die Ärmel hochkrempelte. Steve Cherundolo wirkte hinten rechts wie geistesabwesend, Vinicius und Frank Fahrenhorst hätten sich auch als Slalomstange gut gemacht. Im Mittelfeld hatte Pinto eine gute Aktion (sein Tor), Jiri Stajner schien nach seiner Vertragsverlängerung so beflügelt, dass er immer nur das Schwierige wollte; Szabolcs Huszti setzte den schon etwas länger dauernden Versuch fort, sein großes Potenzial minimal einzusetzen. Und Stürmer Mike Hanke spielte im ersten Einsatz nach seiner Sperre unglücklich und hölzern wie vor seiner Sperre.

Dann flog Pinto raus, und plötzlich entdeckte nicht nur Hecking, „dass wir grätschen, festhalten, kämpfen“. Der eingewechselte Hashemian wühlte sich durch die Eintracht-Abwehr und zum Liebling des Tages, hinten links trat der 18-jährige Konstantin Rausch auf wie ein 28-Jähriger. Und dann war da ja noch Christian Schulz, der einfach nicht auf seinen Trainer hören wollte. „Die Mannschaft rückt noch enger zusammen, wenn es ihr dreckig geht“, sagte Hecking. Es war für ihn die wichtigste Erkenntnis des 2:1-Sieges gegen Frankfurt.

In diesem Sinne ist 96 für das Spiel am Mittwoch in Dortmund zu wünschen: ein schnelles 0:1, ein Platzverweis, vielleicht noch eine kleine verletzungsbedingte Auswechslung. Dann steht dem Auswärtssieg beim Pokalfinalisten nichts mehr im Weg.