Europaversprechen mit Fußnote

Die „Roten“ gewinnen 4:0 gegen Cottbuser im Energiesparmodus – Hecking träumt im Jubel vom Angriff auf den UEFA-Cup



Von Volker Wiedersheim
Hannover. Versprochen ist versprochen! Das lernen schon die kleinen Kinder. 96-Trainer Dieter Hecking, selbst Vater von fünf kleinen und nicht mehr ganz so kleinen Kindern, weiß das genau. Aber als er am Sonnabend gegen 17.30 Uhr nach einer 96-Rekordsaison, nach dem 4:0-Finale gegen den FC Energie Cottbus nach einer Ehrenrunde durch sein Stadion vor der Nordkurve und zugleich wohl bei seinem persönlichen Saisonziel angekommen war, da brach es einfach so aus ihm heraus: „Wir versprechen euch, nächstes Jahr holen wir die fünf Punkte, die diesmal gefehlt haben.“

Kurzer Seitenblick auf die Tabelle, Herr Hecking: 49 plus 5 macht 54, und – siehe VfL Wolfsburg und Hamburger SV – das bedeutet UEFA-Pokal. Aber versprochen ist versprochen, und mehr als 46 000 Besuch in der Arena sind Zeuge. Hecking und Hannover haben jetzt einen Vertrag über Europa abgeschlossen, oder?
Wer den 96-Cheftrainer kennt, der weiß: Ein Hecking in Normalform beißt sich eher den großen Zeh von seinem starken rechten Fuß ab, bevor er jemandem das Blaue vom Himmel verspricht. Aber Hecking war am Sonnabend nicht in Normalform, sondern nach seinen Trainer-Maßstäben außer sich und damit eigentlich sogar in Bestform. Der Prediger des Vorwärts in kleinen Schritten gestattet den „Roten“ eine Träumerei.

Es ist schnell erklärt, wie solche Gefühligkeit am letzten Spieltag alle, und zwar wirklich alle, in der AWD-Arena belegte. Die Cottbuser schalteten ohne den Druck des (Spiel-)Klassenkampfes in den Energiesparmodus zurück, die „Roten“ hingegen bewiesen Spielfreude. Vier Tore fielen: Erst traf Arnold Bruggink mit einem (wohl im Gewühl vor der Torlinie noch leicht abgefälschten) Freistoß (23. Minute). Dann legte dreimal der wie befreit aufspielende Steve Cherundolo vor: Jiri Stajner (45.), Vinicius (59.) und Hanno Balitsch (90.) waren die weiteren Schützen. Aus der ohnehin von Beginn an prächtigen Stadionstimmung wogte schon eine halbe Stunde vor Schluss die La Ola über die Ränge – und riss sogar die Cottbuser in ihrem Fanblock in einem unwiderstehlichen Sog der Versöhnung mit.

Hecking und sein Europa-Versprechen oder -Versprecher: War das nur der Euphorie eines Augenblicks geschuldet? „Ja, ich verspreche viel, wenn der Tag lang ist“, gnarzte Hecking später beim Tête-à-Tête mit den örtlichen Reportern – eine glatte Lüge, vielleicht waren ihm selbst seine Worte aber da schon nicht mehr ganz geheuer. Und so versah er das Europa-Versprechen quasi mit einer relativierenden Fußnote. „Ohne dass wir da eine Riesenerwartung schüren: Das muss der innere Antrieb sein. Ob wir das hinkriegen, ist eine ganz andere Frage. Wir wissen, dass das schwierig ist. Wir sehen das als Herausforderung.“ Wenn 96 sich nicht kleinkriegen lasse und nach Rückschlägen wieder aufstehe, so betonte Hecking, dann werde das eine ganz interessante Geschichte in der nächsten Saison.

Typisch Hecking. Träumerei geerdet. Er will mit den „Roten“ hoch hinaus, aber dabei nicht abheben. Es wird ohnehin schwer, nach einer Saison der Rekorde. Zuschauerschnitt erstmals über 40 000, 18 500 Dauerkarten verkauft, 49 Punkte erreicht, Rekordinvestitionen auf dem Transfermarkt. Daraus ergibt sich für Hecking das Motto der nächsten Saison: „Ich kann versprechen, dass wir angreifen werden. Aber ich kann nicht versprechen, dass wir im UEFA-Cup spielen.“