Ein Spiel , zwei Wahrheiten

1:1 beim MSV Duisburg – viel zu wenig. 90 Minuten in Unterzahl und einen Punkt geholt – stark. Diese Partie rechtfertigt ein dickes Lob und harte Kritik.



Mit Turban und Moral Von Christian Purbs und Volker Wiedersheim
Duisburg. Auch mit einem fetten Pflaster auf dem Kopf hatte Robert Enke seinen Humor nicht verloren. „Ich habe den perfekten Haarschnitt für so etwas. Meine Frau hat mir am Freitag den Schädel rasiert – und das war auch gut so. Das macht alles ein bisschen einfacher“, sagte der Torwart von Hannover 96 nach dem 1:1 beim MSV Duisburg. Es lief die 58. Minute in der MSV-Arena, als sich Enke dem einschussbereiten Maicon entgegenwarf und dessen Stollen beim Zusammenprall eine etwa acht Zentimeter lange Platzwunde auf dem Kopf des 96-Kapitäns hinterließ. „Die Wunde ist gleich geklebt und jetzt genäht worden, ich habe keine großen Schmerzen“, sagte der Keeper.
Mit einem bizarren Turban auf dem Kopf hielt Enke bis zum Abpfiff durch – und steht damit für die Moral des ganzen Teams. Was hatten sich die „Roten“ nicht alles vorgenommen für das Spiel beim Schlusslicht der Liga. Drei Punkte sollten her, eine Reaktion wollten sie zeigen und endlich mal wieder guten Fußball spielen. Das war der Plan. Mike Hanke machte ihn durch seine Tätlichkeit an Iulian Filipescu zunichte. Es folgten 90 Minuten für 96 in Unterzahl. Doch es waren keine schlechten 90 Minuten, weil Hannover 96 in der Not wieder ein bisschen zu sich selbst fand.
Die Mannschaft, das war auf dem Platz und auch nach dem Abpfiff deutlich zu sehen, rückte im Ruhrpott, in der Heimat der Kumpels, ein Stück zusammen. Die Spieler kämpften miteinander und rannten füreinander, sie machten die Räume eng und standen kompakt. Sie wollten mehr, aber was sie am Ende bekamen, war auch okay. „Ich kann mir gut vorstellen, dass das ein sehr wichtiges Spiel für die Mannschaft war“, sagte 96-Sportdirektor Christian Hochstätter. Mit ein bisschen Glück hätte das Tor von Jiri Stajner in der 42. Minute zum Sieg gereicht, doch gegen den „Sonntagsschuss“ von Michael Lamey (77.) zum 1:1 waren die „Roten“ machtlos.
Aber ist wieder nur ein Punkt bei einem wahrscheinlichen Absteiger dennoch nicht zu wenig? „Darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Es war vor dem Spiel zu wenig, und es ist immer noch zu wenig“, sagte Enke. „Aber ich sehe als Kapitän hauptsächlich das Positive. Gegen Bielefeld und jetzt gegen Duisburg hat sich die Mannschaft gewehrt. Man kann ihr keinen Vorwurf machen.“
Vielleicht war das 1:1 in Duisburg viel mehr wert als den einen Zähler auf dem Punktekonto. „90 Minuten in Unterzahl – das ist für die Moral ein gefühlter Sieg“, sagte Trainer Dieter Hecking. Gut möglich, dass die „Roten“ so ein Spiel gebraucht haben, um wieder zu erkennen, mit welchen Mitteln sie in der Bundesliga Erfolg haben können. So ein Spiel wie in Duisburg, wo sich alle mit aller Kraft gegen eine Pleite gewehrt haben, bleibt in der Erinnerung der Spieler haften. Und vielleicht geht der Plan am Sonntag gegen den Meister Stuttgart ja auf.


Spiele auf Sparflamme Von Volker Wiedersheim und Christian Purbs
Duisburg. Mike Hankes EM-Chance ist dahin. In der Bundesliga seit dem Rückrundenstart überwiegend Leerlauf. Und jetzt das: In Duisburg fällt der 96-Stürmer auf eine billige Provokation herein. Der Duisburger Verteidiger Iulian Filipescu latscht mit dem Stollenschuh auf den Fuß von Hanke, und der schiebt den Gegner mit einem Griff in den Nacken weg. Tätlichkeit. Rot! „Hart, aber vertretbar“, sagt 96-Trainer Dieter Hecking zu der Entscheidung. Heute ist bei den „Roten“ eine interne Geldstrafe das Thema. Außerdem wird der DFB über die Dauer der Sperre beraten. Drei Spiele sollten es wohl werden. Hanke, der allen Nachfragen auswich, würde gegen den VfB Stuttgart, den VfL Wolfsburg und Eintracht Frankfurt fehlen. Geht’s noch schlimmer? Aber immer!
Ohne Hanke spielte 96 in Duisburg plötzlich besser als in den Spielen zuvor mit ihm. Hoffentlich stürzt ihn die Beobachtung nicht in Selbstzweifel.
Denn in Wirklichkeit geht’s hier nicht um ihn, nicht um einen Einzelnen. Sondern um die Elf. Ein Lehrstück über Gruppendynamik und Bundesliga-Psychologie. Mal alle wohlfeilen Formeln über Kracher, qualitätsverbreiterte Kader, Siegertypen, Europagene und Führungsspielerqualitäten beiseite, dann bleibt eine ernüchternde Zehn-Millionen-Euro-Erkenntnis: Ungefähr so viel billiger war die 96-Mannschaft, die vor zwei Jahren in Duisburg ebenfalls einen Punkt geholt hat (0:0 im März 2006). Damals Tabellenrang 9, jetzt 10. Reden wir mal nicht über Potenziale, sondern über „auf’m Platz“: Wo ist denn da die Entwicklung? Man stelle sich vor, dass heute irgendwo in der Schweiz ein gewisser Ilja Kaenzig, seinerzeit Chefeinkäufer bei den „Roten“, mit dem Zeigefinger hörbar auf den Stammtisch tippt und triumphierend „Siehste!“ sagt. Man weiß ja, dass er kein Recht zur Besserwisserei hätte, doch wo sind die Argumente, ihn zu widerlegen?
Schlechte Plätze, schwache Schiedsrichter, verletzte 96er, unglückliche Eigentore, ein glücklicher Luca Toni – es gibt immer Erklärungen für den gegenwärtigen Sparflammen-Fußball der „Roten“, manche sind sogar plausibel. Nun hat Duisburg aber gezeigt: Die 96er brauchen nicht nur einen Millionen-Spielmacher, sie brauchen auch Schlüsselreize, die sie auf dem Platz wenigstens für 90 Minuten zur Schicksalsgemeinschaft vereinen. Mike Hanke hat mit seiner Torheit – natürlich unfreiwillig – den Impuls für für einen zuletzt seltenen kämpferischen Schulterschluss bei den „Roten“ gegeben. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass sie ihn im Mannschaftsbus dafür mit einem dreifachen „Danke, Hanke“ hochleben ließen. Sieben Punkte aus acht Rückrundenspielen, und der Meister ist nächster Gegner – das ist die schwierige 96-Situation: Vielleicht gibt es weitere Schlüsselreize, sonst bleibt nur die Hoffnung, dass der VfB Stuttgart sich selbst ein Bein stellt.