Von Volker Wiedersheim Hannover. Die „Roten“ eine Woche vor dem Rückrundenstart der Fußball-Bundesliga: Doch plötzlich interessiert sich das 96-Publikum nur noch am Rande dafür, wer in Hamburg schwächelt, spielt und gewinnt. Das Spektakel diese Woche heißt: Mesut Özil. Und es bietet alles, was ein packendes Bundesliga-Drama ausmacht. Es geht ums ganz große Geld, um Lug und Trug und ein trauriges Talent, beim Spitzenklub Schalke 04 kaltgestellt, 19 Jahre alt, mit türkischen Wurzeln, aber vier „U 21“- Länderspielen für Deutschland in der Vita, mit ordentlich Bums im linken Fuß und der Melancholie des Träumers im Blick. In Nebenrollen: Mesuts einmischungsfreudiger Vater Mustafa Özil, der umtriebige Düsseldorfer Spielerberater Reza Fazeli (auch Agent von Hamit Altintop und Yildiray Bastürk) und allerhand Schattengestalten der Fußball-Szenerie. Dem Schalker Manager Andreas Müller fällt (aus Özils Sicht) die Rolle einer bösen Stiefmutter zu, und Fenerbahce Istanbul, der VfB Stuttgart und auch Hannover 96 konkurrieren wohl um den Part der erlösenden guten Fee, die aber nur mit einem dicken Geldkoffer auf die Bühne darf. Die Handlung: Im Nebel wechselseitiger Unterstellungen und Beschimpfungen liegt der Ursprung des Dramas, dessen Kern ein Allerwelts-Ärger ist. Özil wollte nach Lincoln Schalker Spielmacher werden. Das hätten ihm Müller und Trainer Mirko Slomka auch versprochen, zusammen mit einer Gehaltserhöhung auf rund 1,5 Millionen Euro pro Jahr. Doch dann hatte auf Özils Position Ivan Rakitic einen Lauf. Und das Talent bekam statt des neuen Vertrages den Platz auf der Tribüne – etwa bis zum Vertragsende 2009? Wohl kaum, wenn man sieht, wie jetzt die Fetzen fliegen. Manager Müller soll gesagt haben, dass „Özil nie mehr für Schalke spielt“. Laut Slomka wird „Özil von seinem Vater und seinem Berater ferngesteuert“. Und der 19-Jährige, erbärmlich schlecht beraten, plapperte in einem gestern veröffentlichten „kicker“-Interview kindlich naiv von „fehlendem Vertrauen“, „Frechheit“ und „einer schmutzigen Kampagne“. Gemeint war damit auch, dass die „Bild“-Zeitung alle Vertragsdetails gesteckt bekam und den Kicker zum Abzocker stempelte. Auf welcher Seite der Informant des Boulevards stand? Selbst das ist unklar in diesem irren, wirren Stück. Berater Reza Fazeli wollte sich zu all dem gestern nicht äußern: „Wir geben bis Donnerstag keinen Kommentar ab“ – was nach bisherigem Verlauf eine Riesenüberraschung wäre. Nun streckt also Hannover 96 mehr als nur die Fühler nach diesem Spieler aus, der zugleich ein tolles Talent und ein Problem-Profi ist. Was auch immer geschieht, es muss schnell gehen, denn Donnerstag ist Transferschluss. Klubchef Martin Kind hat Sportdirektor Christian Hochstätter beauftragt, mit den Schalker Kollegen zu verhandeln. Beide Seiten signalisierten die Unvereinbarkeit der von Schalke geforderten sieben Millionen Euro Ablöse und der von Hannover 96 höchstens aufzubringenden vier bis fünf Millionen. Aber das muss nichts heißen. Jetzt wird gefeilscht und gehandelt über Sofortzahlungen und spätere Raten. Und parallel versuchten die „Roten“ gestern, alles mit dem Spieler, Vater und Berater unter einen Hut zu bringen. Den Schalker Vertrag mit maximal 1,5 Millionen Jahresgehalt hatte Özil ausgeschlagen. Böte ihm 96 eine ähnliche Summe, wäre er sofort Spitzenverdiener, irgendwo zwischen Mike Hanke, Thomas Brdaric und Christian Schulz. „Wir kommentieren diese Zahlen nicht“, lautete gestern der Kommentar von Kind. Dass 96 mit der Özil-Verpflichtung in gewaltige Dimensionen vorstoßen würde, dem will der Klubchef allerdings auch nicht widersprechen. Nur mal zur Erinnerung: Im Sommer kamen Hanke für mindestens vier Millionen Euro, Christian Schulz für 1,4 Millionen, Benjamin Lauth für 500 000, und die Übernahme von Chavdar Yankov kostete noch einmal 1,1 Millionen. Noch lässt sich das alles mit „Investitionsfreude“ beschreiben. Es gibt eine Grenze zum Kaufrausch. Deren Verlauf hängt allerdings vom sportlichen Nutzen ab. 30 Bundesligaspiele, kein Tor. Das sind Özils Fakten. Dass er vom Start weg in Hannover als torgefährlicher Spielmacher leistet, was Jiri Stajner, Arnold Bruggink, Jan Rosenthal, Benjamin Lauth und Sergio Pinto nicht zur Zufriedenheit bewerkstelligten, ist also kaum zu erwarten. Andererseits: Mesut Özil könnte Szabolcs Huszti oder Jan Rosenthal – wenn auch mit anderer Spielweise – ersetzen. Schließt einer der 96-Lieblinge mit dem Abschied aus Hannover das Loch in der 96-Kasse, das Özils Verpflichtung reißen würde? Der Klub könnte versucht sein, so zu rechnen. Auch dafür gibt es eine treffende Vokabel: Risiko. Donnerstag fällt der Vorhang. Und am Sonnabend geht er für 96 wieder auf. Jede Woche Drama. Auch ohne Özil.
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