Neubau, Umbau?
Stadion-Debatte: Was der SV Darmstadt und Preußen Münster gemeinsam haben

von Carsten Schulte

Münster/Darmstadt – In gewisser Weise hat der SC Preußen Münster aktuell einen Zwilling in der 2. Bundesliga. In Darmstadt, rund 300 Kilometer südlich von Münster, verfügt(e) der dortige SV98 über ein ähnlich baufälliges Stadion. Und auch dort diskutierten Klub und Stadt über Umbau oder Neubau. Jetzt ist in Darmstadt klar, wie es läuft...

Von einer Woge des Erfolgs wurde der SV Darmstadt in den vergangenen drei Jahren quer durch Deutschlands Ligan getragen. Als Fast-Absteiger in die Regionalliga rauschte der SV98 im Sommer 2014 hoch in die 2. Liga, marschierte dort gleich im ersten Jahr hoch in die Bundesliga. Zwei Jahre Erstklassigkeit, dann machten sich die Standortnachteile bemerkbar. Darmstadt stieg aus der ersten Liga ab und bekam von der DFL zudem die deutliche Ansage, dass mit dem Stadion keine Lizenz mehr zu erhalten sei.

Schon nach dem Aufstieg musste der Klub reagieren und installierte zwei überdachte Hintertor-Tribünen. Und diskutierte dann über einen Neubau an anderer Stelle. Noch vor einem Jahr schien Darmstadt einen ähnlichen Weg wie Münster gehen zu wollen. Vor den Toren der Stadt, in Weiterstadt, war ein Grundstück direkt an der A5 im Blick. Wie in Münster war die Abwägung auch in Darmstadt: Schnell bauen auf "dem Acker" oder Umbauen am traditionellen Standort?

Das Ende der Geschichte: Die Stadt Darmstadt entschied sich im Juli 2017 gegen einen Neubau - und verpflichtete sich stattdessen zu einem Umbau des alten Böllenfalltor-Stadions. Die Pläne stellte der Klub am Mittwoch vor. Die Kosten für den Umbau? Rund 28 Millionen Euro. Die (hochverschuldete) Stadt Darmstadt übernimmt mindestens 15 Millionen Euro, vom Verein kommen 10 Millionen Euro. Das konnte sich der Klub leisten nach drei fetten Jahren im Profi-Fußball. Am Mittwoch stellte der Klub einen Gewinn von über 10 Millionen Euro vor! Das wäre dann auch der wesentliche Unterschied zum SC Preußen. Denn die Adlerträger stünden in jedem Fall mit leeren Taschen da.

Darmstadt bestätigt Preußen-Argumentation

Aber Darmstadt bestätigt eben auch die Logik, mit der der SC Preußen Münster für einen Neubau argumentiert: Dass nämlich nur eine bundesligataugliche Arena dauerhaft auch Bundesliga-Fußball ermöglicht. Ein Aufstieg als "positive Panne" ist zwar auch infrastrukturell schwachen Klubs möglich, bleibt aber die Ausnahme. Und die jüngsten Beispiele wie Darmstadt und auch Paderborn zeigen eben auch, dass gerade das Stadion eine wichtige Komponente ist, um Profi-Fußball nachhaltig etablieren zu können.

Und Darmstadt bestätigt weiterhin die Annahme, dass die fetten TV-Geld-Töpfe sehr wohl eine Sicherheit für Investitionen und Investoren bieten. Denn darauf basiert das Modell unter anderem, das der SCP gegenüber der Stadt vorgestellt hatte.

In Darmstadt wird das heutige Stadion nun ab Frühjahr 2018 bis 2020 von einer Kapazität von 17.400 Zuschauern ausgebaut für 18.600 Fans. Das ist in etwa die Größenordnung wie der Plan für die Hammer Straße, wo 20.000 Zuschauer möglich wären. Zum Vergleich: Darmstadt begrüßt in der 2. Liga derzeit 16.500 Zuschauer im Schnitt...

In beiden Städten kämpfen Stadt und Vereine mit dem gleichen Problem: Ihre alten Stadien liegen inmitten oder direkt an einer Wohnbebauung. Das Thema Lärm beschäftigt die Anwohner und auch die Planer.

Das künftige "Bölle" soll ein Stadion für Fans bleiben, das zeigen auch die bemerkenswerten Pläne. Auf der Gegengeraden wird eine Tribüne mit 9.000 (!) Stehplätzen entstehen - knapp die Hälfte der Stadionkapazität. Und auch Walther Seinsch hatte in Münster immer über die Bedeutung solcher Plätze gesprochen - auch seine Idee ist es, in einem Stadion-Neubau eine überdurchschnittlich große Zahl von Stehplätzen zur Verfügung zu stellen.

Darmstadt verbessert aber seinen Komfort mit dem Umbau fundamental. Die alte und brüchige Tribüne wird abgerissen und durch ein modernes Gebäude mit zwölf Logen und 3.200 Plätzen ersetzt. Zudem werden dort umfangreiche Hospitality-Bereich entstehen.

Spannend, was Darmstadts Präsident Rüdiger Fritsch am Donnerstag via "Kicker" erklärte: "Wir fahren sehr gut, wenn wir uns in unseren Strukturen weiterentwickeln und uns keinen Anzug anziehen, der fünf Nummern zu groß ist, um dann krampfhaft hineinzuwachsen."

In Darmstadt ist Pragmatismus eingezogen. Man setze, so Fritsch, die letzte realistische Möglichkeit um. "Das ist aber bei weitem keine schlechte Lösung."

Neubau? Ein synthetisches Stadion mit wenig Spirit

Fritsch geht noch weiter: "Bei einem Neubau auf der grünen Wiese wäre vermutlich ein synthetisches Stadion mit wenig Spirit entstanden. Mit unseren Plänen wird dokumentiert, wofür wir stehen. Damit können wir einen Kontrapunkt setzen in der Diskussion, dass dem Kommerz alles geopfert werde." Natürlich wurde Darmstadt auch aus finanziellen Zwängen zu dieser Haltung gezwungen, aber am Ende entschieden dort Kopf und Herz wohl gemeinsam.

Was den SV Darmstadt und Preußen Münster in der Debatte unterscheidet, ist aber auch klar. Zum einen (siehe oben) profitierte der Klub vom unerwarteten Doppel-Aufstieg und wird nicht von Altlasten behindert. Zum anderen steht die Stadt Darmstadt trotz angespannter Haushaltslage klar auf der Seite des Klubs. Im Gegensatz zu Münster liegt dort zudem eine belastbare Grundlage mit Zahlen vor - und dazu hat Münsters Politik bekanntlich noch wenig beigetragen. Hier will die Stadt, dass sich zuerst der SCP ohne jede klare Zusage oder konkrete Zahlen zum alten Standort "bekennt".

Was der SV Darmstadt sich leisten kann, kann der SCP nicht. Auch deshalb müsste die Debatte in Münster nun langsam eine wirtschaftliche Grundlage erhalten - mit der klaren Zielsetzung, den Verein nicht über Gebühr zu belasten.

Aber als Prüfstein in den Überlegungen kann das Beispiel Darmstadt allemal dienen: Fällt die Entscheidung für einen Neubau mit all seinen Chancen für die künftige Entwicklung des Vereins, bedeutet dies auch den Abschied von einem traditionellen Standort. Bleibt der SCP an der Hammer Straße, könnte er dem Beispiel Darmstadt folgen, müsste aber endlich auf die konkrete Hilfe der Stadtpolitik hoffen dürfen. Und da haben in der Vergangenheit alle Ratsparteien wenig Anlass gegeben, in übergroßen Optimismus auszubrechen.

https://www.westline.de/fussball/sc-...armstadt-und-preussen-muenster-gemeinsam