Murat Yakin und das Luxusproblem
Von Fabian Kern. Aktualisiert vor 5 Minuten



Kein Gesperrter, kein Verletzter und Euphorie ohne Ende – Murat Yakin hat nach Tottenham und vor St. Gallen positive Aufstellungssorgen. Vor allem, weil der FC Basel eine internationale Sensation wittert.


Normalerweise ist Murat Yakin keiner, der zu viel preisgibt. Weder vom Innenleben der Mannschaft noch von seiner Gemütslage. Doch dieser Tage ist alles anders. Eine Sensation ist möglich, ja greifbar nahe. Ähnlich wie zuletzt im Dezember 2011, als nur noch ein Sieg gegen Manchester United den FC Basel vom erstmaligen Einzug in die Champions-League-Achtelfinals trennte. Diesmal ist die Ausgangslage noch besser: Gegen Tottenham reicht ein Unentschieden, das tiefer als ein 2:2 ist, um unter die letzten vier der Europa League vorzustossen. In die Halbfinals. «Wir können Geschichte schreiben», sagt Yakin kurz nach der Rückkehr aus London – nicht zum ersten Mal im Jahr 2013. Es ist dies aber keine abgedroschene Floskel, sondern trifft den Wert einer Halbfinal-Qualifikation genau.

Schon einmal stand Yakin mit dem FCB auf der Schwelle zur vorletzten Runde in Europa. 2006 wurde ihm aber von Massimo Maccarone, einem Italiener in englischen Diensten, jäh die Tür vor der Nase zugeschlagen. Deshalb spricht der 38-Jährige auch nicht von einer einmaligen Chance, sondern von einer, die vielleicht nicht mehr so bald wiederkommt. «Jeder, der in London gespielt hat, hat ein Bewerbungsschreiben für ausländische Vereine abgegeben. Im Sommer werden wohl einige nicht mehr dabei sein», erklärt Yakin. Valentin Stocker und Mohamed Salah wurden von der englischen Boulevardpresse gefeiert, und auch Aleksandar Dragovic oder Yann Sommer würden einige Clubs wohl vom Fleck weg engagieren. Deshalb will Yakin die rare Chance auf die europäischen Kränze nutzen – auch wenn er es noch «sehr hoch gegriffen» findet, vom Europa-League-Titel zu sprechen. Noch.

Strellers taktische Anweisung

Das Verrückte am vielbeachteten 2:2 an der White Hart Lane ist die Tatsache, dass der FCB nicht nur mehr Luft als die Premier-League-gestählten Spurs hatte, sondern auch noch nach oben – zumindest in Sachen Chancenauswertung. «Auch ein Tag danach ist der Ärger über die vergebenen Chancen noch gross. Wenn Stocker seine Chance zum 3:0 macht oder Salah eine von seinen...» Yakin macht den Satz nicht fertig, sagt nicht, dass sein Team schon im Hinspiel die Weichen hätten stellen können. Denn schliesslich findet auch er das 2:2 ein «gutes Resultat» und vertraut auf die Heimstärke seines Teams. «Wir brauchen aber eine gleich gute oder sogar noch bessere Leistung, um weiterzukommen», warnt der Münchensteiner. Der Taktikfuchs kann sich dabei aber auf die Intelligenz seiner Spieler verlassen. So verrät er, dass Marco Streller die Verteidigung weiter nach vorn dirigierte, als er spürte, dass man gegen Tottenham etwas reissen kann. «Ich war selbst erstaunt, wie hoch wir den Gegner stören konnten», sagt Yakin. Es ist nicht alltäglich, dass ein Trainer so etwas offen eingesteht.

Zwischen der White Hart Lane und dem St.-Jakob-Park liegt aber noch die AFG-Arena. Nicht geografisch, aber zeitlich. Und anders als in der Vergangenheit, als sich sein Team oft von selbst aufstellte, kann Yakin am Sonntag gegen den FC St. Gallen auf sein gesamtes Kader zählen. Keiner ist gesperrt, keiner verletzt – abgesehen von einer leichten Oberschenkelblessur bei Streller. «Ich habe mir während des ganzen Flugs den Kopf zerbrochen», verrät Yakin. Er verfüge momentan über den Luxus von 20 potenziellen Stammspielern. Gegenüber der Gala gegen Tottenham hat er sogar vier Spieler mehr zur Verfügung: Philipp Degen, Joo Ho Park und Marcelo Diaz werden von Anfang an spielen, Raul Bobadilla von der Bank aus auf seine Chance lauern. Aber momentan scheint ohnehin egal, wer auf dem Feld steht. Jeder kennt seinen Platz und jeder erfüllt die Hauptanforderung seines Trainers: «Unser Spiel verlangt eine enorme Laufbereitschaft.»

Villas-Boas' Kompliment

Genau diese Laufbereitschaft hat wohl auch André Villas-Boas imponiert. So sehr sogar, dass der Tottenham-Trainer den FCB gar als bestes Gastteam an der White Hart Lane bezeichnete. «Ein solches Kompliment ist schön. Aber kaufen kann ich mir davon nichts», sagt Yakin. Der Mann will Titel gewinnen. Der erste von drei möglichen in dieser Saison wird am 15. Mai in Amsterdam vergeben. Das Datum kann man sich ja schon mal vormerken. Und das ein Jahr nach der sogenannten Jahrhundert-Mannschaft.

baz.ch


FCB-Fan kasch nid wärde, FCB-Fan das muesch syy