23.03.2016 | 07:48 Uhr | Andreas Willeke
NP Interview
Hannover 96 fängt bei null an
Jürgen Rynio ist der Rekord-Abstiegsexperte, fünfmal gings runter aus der Bundesliga, zuletzt 1986 mit 96. Der 67-Jährige wohnt in der Wedemark.

Hannover. Herr Rynio, überrascht den Abstiegsexperten der 96-Absturz in die zweite Liga?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe das gleich zu Saisonbeginn kommen sehen. Ich hatte mir ja zum ersten Mal eine Dauerkarte gekauft. Da war schnell zu erkannen, dass es weder personell noch von der Konzeption her passte. In jedem Heimspiel war 96 eindeutig schwächer als der Gegner. Gegen gute Mannschaften kann 96 die Defensive ganz gut aufbauen, weil es auch viele defensive Mittelfeldspieler gibt. Aber die Offensiv- und Kreativspieler fehlen, da ist außer Kiyotake keiner mit individuellen Fähigkeiten dabei. Da wurde viel versäumt, das ist der Grund für den Niedergang.

Sie sind fünfmal abgestiegen - gibt es eine Fehlerkonstante in allen Clubs?

Es lag immer daran, dass in der Führung Fehler gemacht wurden. Da schließe ich den Trainer mit ein. Beim leitenden Personal, das die Mannschaft zusammengestellt hat, hat es nicht gepasst. Das ist bei 96 ja nicht anders. Als Manager Dirk Dufner behauptet hat, er habe das Feld gut bestellt, da habe ich gleich gedacht, er hat den Abstieg bestellt. Dufner noch einkaufen zu lassen, war ein schwerer Fehler. Vom Präsidenten bis zum Trainer muss alles funktionieren, aber da war bei 96 viel zu viel Unruhe. Es hat sich nie eine Einheit gefunden. Hätte man sich als Einheit präsentiert, wäre man auch nicht abgestiegen.

Was erwartet nach Ihrer Erfahrung jetzt die Spieler?

Das war damals eine andere Zeit, die Spieler fallen heutzutage viel weicher. Damals konnte der Abstieg katastrophale Folgen wie Arbeitslosigkeit haben. Wir haben auch viel weniger Geld verdient, ich musste unbedingt weiter für meine Familie sorgen. Der Abstieg ist immer mit einem Imageverlust verbunden. Nur weil ich gut war, bin ich aus dem Raster rausgefallen. Einen neuen Job zu finden, war aber für viele Spieler nicht so einfach. Bestenfalls konnte man damals in die Operettenligen in der Schweiz oder Österreich wechseln. Abstieg ist ein Makel, der an einem klebt.

Ist das heutzutage anders?

Die Berater haben sich doch für die Spieler schon längst umgehört. Ich hatte aber keinen Berater. Am Abend, nachdem wir mit Nürnberg abgestiegen sind, wusste ich noch nicht, wo ich hingehe. Erst am nächsten Morgen um 11 Uhr kam ein Anruf vom Dortmunder Manager, ob ich Interesse hätte, dort zu spielen. Alles klar, ich sitze schon im Auto, habe ich ihm gesagt. Ich wollte unbedingt weiter Bundesliga spielen. Jetzt haben die Berater doch schon längst Kontakte mit anderen Clubs geknüpft. Es kann mir keiner sagen, dass die meisten noch nicht wissen, wo sie hingehen.

Viele Fans denken: Gut, dann steigen wir halt gleich wieder auf ...

So leicht wird das nicht. Es kommt jetzt darauf an, eine passende Führung und die richtigen Spieler zu finden. Daraus muss der Trainer eine Mannschaft bauen. Da fängt 96 aber bei null an.

Sie haben 1985 als Multifunktionär - zweiter Torwart, Co-Trainer, Pressesprecher - mit Manager-Aufgaben die Aufstiegsmannschaft zusammengestellt. Was könnte 96 daraus lernen?

Damals hat keiner mit 96 gerechnet, alle haben gedacht, wir steigen auch noch aus der zweiten Liga ab. Da gehört auch ein bisschen Glück dazu. Wir hatten junge Talente wie Maxi Heidenreich, Mathias Kuhlmey, dann habe ich Franz Gerber aus Amerika geholt. Mit Werner Biskup hatten wir einen Trainer, der motivieren konnte. Wir hatten eine Harmonie, es waren viele dabei, die in Hannover leben, wie Matze Giesel, Bastian Hellberg, Frank Hartmann - spielerisch überzeugende Leute, dazu ein toller Teamgeist. Aber für die Bundesliga hat es nicht gereicht, wir hätten uns verstärken müssen. Ich habe als Manager aufgehört, es wurde wieder alles falsch gemacht und die Reservebank aus Leverkusen geholt. Wir hatten damals vier linke Verteidiger.

Trauen Sie 96 den Aufstieg zu?

Im Moment ist da ja Chaos. Man weiß nicht, was mit dem Trainer und dem Management wird, welche Spieler kommen und gehen. Das ist ist eine ganz schwere Aufgabe, ich beneide Herrn Kind nicht.


Quelle: www.neuepresse.de