16.05.2016 | 12:43 Uhr
HANNOVER 96
Kind: "Wir müssen wieder direkt aufsteigen"
Der Abstieg schmerzt, dazu der Ärger um den Kauf neuer 96-Anteile: Was plant Martin Kind, warum ist der direkte Wiederaufstieg ein Muss? Wer soll für mehr sportliche Kompetenz sorgen? Bodo Krüger und Andreas Willeke haben Kind besucht und Antworten bekommen.
Herr Kind, Ihr Freund Udo Lindenberg singt auf seinem neuen Album, es ist nie zu spät, um nochmal durchzustarten. Fühlen Sie sich davon angesprochen?

Es beschreibt meine Lebenseinstellung.

Es gibt noch einen Song, der heißt „Einer muss den Job ja machen“?

Wer Freude an Verantwortung hat, der will auch immer wieder durchstarten, was Kraft und Konfliktbereitschaft erfordert. Das hat mein ganzes Leben geprägt, ich bin vielleicht nur konsequenter und strategischer geworden. Das hält mich aber auch jung, weil ich mich jeweils auf aktuelle Entwicklungen einstellen muss. Leute, die sagen, das haben wir immer so gemacht, haben bei mir verloren. Denen sage ich, dann haben wir immer auch etwas falsch gemacht. Die Herausforderung ist immer die Zukunft, daran orientiere ich mich.

Einen extremen Rückschlag wie den 96-Abstieg haben Sie allerdings noch nicht hinnehmen müssen?

Das schmerzt nach 14 Jahren Aufbauarbeit in der ersten Liga, das ist für mich eine bittere Niederlage. Da dieser Abstieg auch nicht notwendig war, schmerzt es noch mehr.

Wie hätte der Absturz verhindert werden können?

Die Fehler sind nicht allein in der letzten Saison gemacht worden, sondern in den letzten zwei oder sogar drei Jahren. Wir hatten im Januar aber nochmal die Chance, den Abstieg zu vermeiden, durch den Trainerwechsel und die Verpflichtung von sechs Spielern. Das Ziel haben wir nicht erreicht.

Sie haben in der Saison die Verantwortung teilweise abgegeben, und genau da steigt 96 ab. War es ein Fehler, sich zurückzuziehen?

Wer absteigt, hat Fehler gemacht. Aber der Wille ist da, die Struktur von 96 weiterzuentwickeln, um für die Zukunft qualifiziert und professionell aufgestellt zu sein. Entscheidungen sind immer auch mit Risiko verbunden. Ich habe mir allerdings vorgenommen, in Krisen künftig stärker einzuwirken.

Das klingt selbstkritisch. An welcher Stelle sind welche Fehler gemacht worden?

Ich habe Personalentscheidungen getroffen, die sich als schwierig dargestellt haben.

Sie meinen Dirk Dufner zum Beispiel?

Ich will keine Namen nennen, aber sicher gehört er dazu.

Und auch die Folgeentscheidungen mit Martin Bader und Christian Möckel? War das Ihre Wahl?

Vor der Berufung von Herrn Bader gab es eine Meinungsbildung. Eine Entscheidung, die wir gemeinsam getroffen haben.

Dann sollte ein Sportdirektor kommen, Rouven Schröder oder Jens Todt waren im Gespräch. Doch, Simsalabim, taucht Baders alter Begleiter Möckel aus Nürnberg auf. Sind Sie überrascht worden?

Es gab Gespräche mit verschiedenen Kandidaten. Einige haben von sich aus abgesagt. Dann kam von Herrn Bader die Empfehlung für Herrn Möckel. Die Argumente waren überzeugend. Herr Möckel ist die Vertrauensperson von Herrn Bader, das ist vom Grundsatz eine gute Basis.

Ist das auch die Aufstellung der Zukunft, oder muss im sportlichen Bereich eine Veränderung her?

Die Entscheidungen im Januar machen mich zumindest nachdenklich. Unsere Ziele haben wir nicht erreicht. Das heißt im Umkehrschluss, wir müssen uns im Bereich der sportlichen Kompetenz breiter aufstellen. Titel sind dabei egal. Es war mein Fehler, direkt nach der Zeit von Herrn Schmadtke geglaubt zu haben, der nächste Sportchef wäre wieder ein Schmadtke. Ich dachte, wenn wir Schmadtke II haben, dann läuft das. Die sportliche Kompetenz beim Fußball soll bei Hannover 96 weiterentwickelt werden.

Wann kommt der neue Mann?

Wir sind in Gesprächen.

Und wie soll künftig die Entscheidung bei Transfers fallen?

Mir geht es darum, mehr Kompetenz zu bündeln. Der Trainer muss immer dabei sein, dazu Herr Bader und Herr Möckel und ein weiterer Verantwortlicher. Da sitzen dann vier Leute, die sich abstimmen müssen.

Favorisieren Sie auch bei der sportlichen Kompetenz eine hannoversche Lösung mit Jan Schlaudraff, Mirko Slomka oder Bastian Hellberg?

Ich warne davor, die Planung darauf zu reduzieren, wer aus Hannover kommt. Bei Spielern wollen wir aber schon darauf achten, dass sie überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum kommen.

Was ist eigentlich bei Thomas Schaaf schiefgelaufen?

Als Mensch lasse ich auf ihn nichts kommen. Sein Fehler war vielleicht, sich zu wenig mit den Problemen innerhalb der Mannschaft beschäftigt zu haben. Wir hätten uns im Umkehrschluss mit den Problemen auseinandersetzen müssen, die Herr Schaaf in Frankfurt hatte. Erstmalig kamen mir Zweifel, als er Schmiedebach auf die Zehn gestellt hat, dann als Sechser und dann gar nicht mehr eingesetzt hat. Er hat alle Variablen durchprobiert. Im Nachhinein hätte man früher mit ihm sprechen müssen.

War Daniel Stendel eigentlich im Januar schon ein Thema als Trainer?

Nein, wir sind da noch gar nicht auf die Idee gekommen, ihm die Verantwortung zu übertragen. Es wäre auch der falsche Zeitpunkt gewesen. Ich kenne ihn sehr lange, er identifiziert sich mit 96. Die Spieler, die er groß gemacht hat, sind eine Sensation, ich bin begeistert. Dass wir von ihnen nicht vorher wussten, ist schon ein bisschen schwierig.

Warum wurden Talente nicht ausreichend berücksichtigt?

Ich erinnere an die Verpflichtung der drei jungen Spieler aus Hoffenheim und Stuttgart im Jahr 2014. Das hat unsere eigenen Talente demotiviert und frustriert. Deshalb muss künftig immer als erste Frage beantwortet werden: Haben wir so einen Spieler nicht in den eigenen Reihen?

In dieser Saison hat 96 so viel Kapital wie nie vernichtet. Wie hoch wird das Risiko in der zweiten Liga?

Abstieg ist immer teuer, der Umsatz wird mehr als halbiert. Das ist eine andere Welt. Trotz der schwierigen Saison sind wir aber wirtschaftlich voll handlungsfähig. Doch das ist nur in der ersten Zweitligasaison so, in den Folgejahren müssten wir die Kosten deutlich anpassen. Auch deshalb wollen und müssen wir direkt wieder aufsteigen.

Wenn 96 nur die eine große Chance in der nächsten Saison hat, muss jede Transfer-Entscheidung sitzen. Wie schaffen Sie größtmögliche Sicherheit?

Das Restrisiko sollte maximal 20 Prozent betragen. Zum Beispiel, wenn sie zehn Transfers entscheiden, sollten sieben bis acht die Erwartungen auch bestätigen. Das muss die Anforderung sein. Die letzte Saison war eindeutig ein Misserfolg, aber wenn alle die Bereitschaft haben zu analysieren und Veränderungen zu gestalten, können wir am Beginn einer Neu- und Weiterentwicklung stehen. Wir müssen aber wieder aufsteigen. Da bin ich kompromisslos, mit allen Konsequenzen.

Sie haben unlängst die Anteile Ihres 96-Mitgesellschafters Detlev Meyer übernommen und halten jetzt mit 52,73 Prozent die Mehrheit. Haben Sie sich die Macht bei 96 gekauft?

Eine Anmerkung dazu: In der Vergangenheit bis zum Einstieg von Dirk Roßmann und Detlev Meyer hatte ich viele Jahre bereits die Mehrheit. Wichtig: Vor allem wollte ich in dieser für den Verein schwierigen Phase das Signal setzen „Hannover 96 ist ein Super-Verein, Hannover ist eine tolle Stadt, und ich habe volles Vertrauen, dass es sich um keine Fehlinvestition handelt“. Das Engagement ist nicht ohne Risiko.

Sie kalkulieren im ersten Zweitligajahr mit 15 Millionen Euro Verlust?

Bei der Lizenzierung planen wir mit einem Verlust von 15 Milliionen Euro. Wir gehen jedoch davon aus, dass wir diesen Verlust deutlich und im Wesentlichen reduzieren können. In einer solchen Situation würde ein fremder Investor keine Kaufentscheidung treffen.

Einige andere Gesellschafter haben das Vertrauen offenbar verloren. Mittlerweile haben auch Michael Schiemann, Gregor Baum und Matthias Wilkening ihre Anteile zum Verkauf angeboten. Ist damit das hannoversche Modell, den Profifußball mit dem Geld regional verbundener Investoren zu finanzieren, fürs Erste gescheitert?

Das Modell ist nicht gescheitert. Es hat sich vielmehr bestätigt. Es gibt die Bereitschaft möglicher neuer Gesellschafter.

Wir hatten den Eindruck, dass sich Ihre gegenwärtigen Mitgesellschafter durch die Übernahme übergangen fühlten.

Das ist ja auch richtig. Aber genauso ist klar: Wenn ich Verkaufsgespräche führe, dann geschieht das unter vier Augen und nicht öffentlich. Ich habe Gespräche mit Herrn Detlev Meyer geführt. Und als wir uns einig waren, hat Herr Meyer alle Gesellschafter über den Verkauf informiert. So sind die Spielregeln.

Die Überraschung ist Ihnen trotzdem gelungen. Und die Reaktion war eindeutig: ‚Jetzt hat er 52 Prozent, jetzt will er durchregieren.‘ Bekommt Hannover in Zukunft den „FC Martin Kind“ mit einem Schuss Roßmann?

Ach, was. Veränderungen sind auch immer Chancen für eine Neuordnung und Weiterentwicklung. Diese Chance wollen wir nutzen.

Mit Ihrem Freund Dirk Roßmann erwarten Sie offenbar keine Probleme?

Im Gegenteil, ich würde es begrüßen, wenn er noch weitere Anteile übernimmt. Und er hat zugesagt, dass er sich eher auf der Käuferseite sieht.

Die Situation im Gesellschafterkreis muss nach unseren Informationen eine ziemlich rasante Entwicklung genommen haben. Noch vor wenigen Wochen sollen Sie gedroht haben, sich komplett bei 96 zurückzuziehen und Ihre Anteile zu verkaufen?

Nicht gedroht. Aber es ist richtig, ich habe angeboten, den anderen Gesellschaftern meine Anteile zu verkaufen. Sie haben nicht reagiert. Ich hätte mir nach 18 Jahren gut vorstellen können aufzuhören. Ich war für alle Lösungen offen. Nun ist es anders gekommen. Ich habe noch mehr Verantwortung übernommen. Und ich habe das für Hannover 96 getan.

Hat Ihre Frau Ihnen schon gratuliert zu der größeren Verantwortung?

Nee, die hat gesagt, ich hätt’n Vogel.

Was treibt Sie mit 72 noch an?

Der liebe Gott hat mir positive Gene mitgegeben. Ich war noch nie krank, arbeite jeden Tag zwölf bis 14 Stunden. Ich empfinde das auch nicht als Belastung. Das Schönste am Leben ist doch, wenn man eine gewisse Unabhängigkeit erreicht hat, um frei gestalten zu können.

Ist das bei Ihnen auch der Wille zur Macht?

Das wird immer überschätzt. Im Unternehmen sind wir da schon weiter als bei 96, da habe ich die Verantwortung schon weitgehend abgegeben. In der Aufbauphase konzentriert sich immer alles auf eine Person. Jetzt ist es an der Zeit, die Verantwortung bei 96 zu übertragen, dazu sind die Entscheidungen mit den Geschäftsführern Martin Bader und Björn Bremer gefallen.

Uns fällt auf, Sie reden gar nicht mehr von der Marke 96?

Da hat mir ein Fan aus Schweden in einem persönlichen Gespräch die Augen geöffnet. Die Fans haben einen Traum, hat er mir erklärt, den dürfen wir nicht zerstören. Für Fans zerstört aber der betriebswirtschaftlich richtige Begriff Marke den Traum. Das habe ich falsch gemacht, aber ich bin lernfähig.


Quelle: www.neuepresse.de