VfB in der Krise

Am roten Haus bröckelt der Putz



Vielleicht sollten helle Köpfe den Zusammenhang zwischen der dritten Jahreszeit und dem Zweitletzten der Tabelle einmal gründlich erforschen: Purzeln beim Verein für Bewegungsspiele zwangsläufig immer dann die Trainer, wenn die Blätter fallen? Mit hoher Wahrscheinlichkeit stießen die Wissenschaftler in der Causa VfB auf tiefer liegende Ursachen der Misere. Der Verein leidet noch immer an den Sünden der Vergangenheit. Der nötige Umbau, personell, strukturell und finanziell, birgt Einsturzgefahren. Am roten Haus bröckelt schon der Putz. Eine Analyse:

Die aktuelle Lage: Sie hätten es alle ein wenig ruhiger gebrauchen können, sagt Sportdirektor Fredi ­Bobic und hebt die Augenbrauen, „aber was willst du machen? So ist das Geschäft.“ Nach den überstandenen Infekten der vergangenen Jahre scheint das Immunsystem des Patienten immerhin noch so gestärkt, dass er auch diesen Rückfall schadlos überstehen könnte. „Kampf gegen den Abstieg?“, knurrte Bobic äußerlich gelassen, „nennen Sie es doch, wie sie wollen.“

Dem Manager fehlt schlicht die Zeit, um sich mit spitzfindigen Definitionen abzugeben. Nach fünf Spieltagen der Saison grüßt die Mannschaft von Rang 17 der Tabelle. Zwei Punkte und 3:12 Tore lassen wenig Raum für Interpretationen. 40 000 Sportsfreunde trotteten nach der Pleite gegen Hoffenheim mit Kinnladen nach Hause, die vor lauter Frust auf der Straße schleiften.

„Wir bekommen zu viele einfache Gegentore“, sagt Fredi Bobic und weist darauf hin, dass sich solche Mängel beheben lassen: „Wir werden die Ruhe bewahren, die Fehler ansprechen und schon beim 1. FC Nürnberg abstellen.“ Es wäre ja nicht das erste Mal, dass sich die Truppe am Riemen reißt.


Die Mannschaft: Es war schon immer riskant, bei Rot über die Ampel zu fahren. Trainer Bruno Labbadia und Bobic hatten die Vereinsbosse gewarnt. Jetzt stehen sie vor den Unfallschäden ihrer Sparpolitik. Es war ein bisschen viel, was der VfB abgeben musste (Delpierre, Boulahrouz, Gebhart, Schieber), und ein bisschen wenig, was er dafür bekam (Hoogland, Torun). „Es war immer klar, dass mit diesem Kader nicht viel passieren darf“, sagt Labbadia. Dann passierte es trotzdem – und gleich zum Saisonstart: Sperren, Verletzungen, Formschwächen.

Weil ein eher mittelmäßig besetztes Kollektiv aber nur dann Erfolg hat, wenn seine Einzelteile tadellos funktionieren und ­harmonieren, steht der VfB jetzt dort, wo er partout nicht mehr hinwollte. „Die Scheiße hatten wir schon einmal“, seufzt Kapitän Serdar Tasci, „das wollen wir auf keinen Fall noch einmal erleben.“ Höchstwahrscheinlich liegt aber genau dort das Problem: Das Selbstbewusstsein schnurrte zuletzt auf Bonsai-Format zusammen. Helfen könnten den Verunsicherten am ehesten Spieler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Doch die findet Bruno Labbadia nur noch in der Chronik des Traditionsvereins von 1893. Ein brauchbarer offensiver Mittelfeldspieler, wie vor Saisonstart gewünscht, wurde ihm aus Kostengründen ebenso verwehrt wie ein rechter Verteidiger mit überzeugendem Leistungsnachweis.


Der Trainer: Bruno Labbadia verantwortet seit nunmehr 18 Monaten die intensiven Klettertouren des VfB. Für ihn spricht: Jedem Absturz folgte der Aufstieg. Gegen ihn spricht: Er konnte die Abstürze nicht vermeiden. Leichte Abnutzungserscheinungen in der täglichen Zusammenarbeit mit dem einen oder anderen Spieler sind überdies nicht auszuschließen. Und manch aufmerksamer Beobachter im Club hält seine Trainingsarbeit mit Inhalten und Personen für überfrachtet. Die These: Er erhofft sich zu schnell zu viel und will es allen recht machen, die zu seinem Kompetenzteam zählen. Das allerdings fällt samt und sonders unter den alltäglichen Korrekturbedarf eines Unternehmens, das auf dem sensiblen Terrain des Hochleistungssports operiert. Es taugt nicht, um die Arbeit des Fußball-Lehrers grundsätzlich infrage zu stellen. „Wir haben selbst in der Saison, als wir in die Europa League eingezogen sind, ab und zu gewackelt“, sagt Labbadia, „wir wussten, dass so etwas wie jetzt passieren kann.“



Dass derlei Wahrheiten reichen, um ­seinen Job auch dann zu sichern, wenn die Spiele in Nürnberg und zu Hause gegen Leverkusen verloren gehen, ist eine andere Frage. Wer sollte seinen Plänen noch vertrauen, wenn sie dauerhaft nicht mehr zum Erfolg führen?


Die Club-Bosse: Die landläufige Vorstellung, wonach Gerd Mäuser zum Morgenappell beim Aufsichtsratschef in Uhingen erscheint, ist eine lustige, aber wenig zielführende Mär. „Wir telefonieren häufig, vertrauen uns zu hundert Prozent, aber ich bin nicht der Erfüllungsgehilfe von Dieter Hundt“, sagt der Präsident. Unbestritten ist dagegen: Die beiden bevorzugen mit einer gewissen Hartleibigkeit den Stuttgarter Weg. „Jeder ordentliche Kaufmann gibt nicht mehr aus, als er einnimmt“, beharrt Gerd Mäuser, „ich werde nicht derjenige sein, der den Sargdeckel über dem VfB schließt.“ Fredi Bobic wies er an, die Ausgaben für den Lizenzspielerbereich von 67 Millionen Euro per annum auf rund 40 Millionen Euro zurückzufahren. Trotzdem wird das Unternehmens-Ergebnis am Ende dieses Jahres in sanftem Rot leuchten. „Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als weiter in unsere hervorragende Jugendarbeit zu investieren“, sagt Gerd Mäuser, „Transfers waren in der jüngeren Vergangenheit unsere beste Einnahmequelle.“

In der personell und strukturell umgebauten Talentschmiede sind die Mitarbeiter neuerdings aber auf der Flucht. Der altgediente Jugendleiter Frieder Schrof und sein engster Mitarbeiter Thomas Albeck ziehen es vor, künftig von Leipzig aus den Fußball-Clubs von Red Bull zu dienen. Noch dazu sind aktuell keine Nachwuchskräfte in Sicht, die es Kuranyi, Gomez oder Khedira nachmachen könnten. Wohl propagieren der Präsident und sein Aufsichtsratschef bei jeder Gelegenheit die Wertschöpfungskette effektiver Nachwuchsarbeit unter dem Label der Jungen Wilden, aufmerksame Zuhörer erkennen darin aber längst eine Mogelpackung. Wortreich und sichtlich genervt erklärt Cheftrainer Labbadia seit Monaten, dass die talentierten Jungspunde Kevin Stöger, Antonio Rüdiger und Raphael Holzhauser noch nicht reif genug sind, um im kalten Wasser der Bundesliga zu überleben. In Wahrheit gibt es unter den Experten im roten Haus gelinde Zweifel, ob sie jemals den Sprung nach oben schaffen. „Wir haben einen klaren Plan, nach dem wir sie aufbauen“, beteuert Bruno Labbadia und verpasste bislang so ziemlich jede Chance, sie mit der Erfahrung eines Bundesliga-Einsatzes auszustatten. Der Personalnot geschuldet, schickte er Holzhauser in der zweiten Halbzeit gegen Hoffenheim aufs Feld. Der passte sich prompt dem Niveau seiner Mitspieler an. Es gibt ja auch dankbarere Aufgaben.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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