Bundesliga

Absturzgefahr – und der VfB ist völlig ratlos


Kapitän Serdar Tasci (links) und Stürmer Vedad Ibisevic: Beim VfB Stuttgart herrscht nach der Niederlage gegen Bremen Tristesse pur.

Für den VfB ist sie ja schon eine alte Bekannte. Aber eine, auf die er gern verzichten würde: die Krise. Nach fünf Bundesligapleiten in Serie steckt der Verein mal wieder mittendrin. Schlimmer war es nur zweimal: In der Saison 1986/87 musste nach sieben Niederlagen in Folge Trainer Egon Coordes gehen. 1974/75 leistete sich der VfB sechs Schlappen am Stück – und stieg ab.

Diese Szenarien hatten wohl viele VfB-Fans beim 1:4 gegen Werder Bremen vor Augen, das sie in Schockstarre versetzte. Minutenlang lag in der Schlussphase Grabesstille über der Mercedes-Benz-Arena, während unten auf dem Rasen die Gäste den VfB vorführten. Hinterher war guter Rat teuer. Mit Fragezeichen in den Augen schauten Spieler, Trainer und Manager ihr Gegenüber an, mehr als Floskeln und Durchhalteparolen fielen ihnen nicht ein. Ähnlich hilflos agierte die Mannschaft auf dem Platz: Fehler über Fehler, haarsträubende Aussetzer, klägliche Chancenverwertung, null Selbstvertrauen, Ratlosigkeit. Eine Bestandsaufnahme:

Die Tabellensituation: In der Winterpause hatte der VfB Tuchfühlung zu den internationalen Plätzen, jetzt hat er die gute Ausgangsposition verspielt. Als Tabellen-14. liegt er noch neun Punkte vor 1899 Hoffenheim, das den Relegationsplatz belegt. Nächsten Sonntag (17.30 Uhr) tritt der VfB zum Kellerduell im Kraichgau an. „Wir haben es selbst in der Hand, den Vorsprung auszubauen“, sagte Sportdirektor Fredi Bobic. Das muss in der derzeitigen mentalen Schieflage der Mannschaft kein Vorteil sein.

Das Nervenkostüm: Der VfB ist launisch wie das April-Wetter. Wenn es gut läuft, bietet er fast jedem Gegner Paroli, dreht Spiele um und schaltet alle Störfaktoren aus. Wenn es schlecht läuft, stolpert er sich die Bälle quasi ins eigene Tor. Die Blackouts sind jedenfalls nicht mehr nachvollziehbar. Vor allem, weil sie sich quer durch die Mannschaft ziehen: Cristian Molinaro gegen den FC Bayern, Serdar Tasci und William Kvist gegen Düsseldorf, Christian Gentner (ohne Folgen) und Kvist (zum 1:2) gegen Bremen. „Das hat mit Selbstvertrauen zu tun“, sagte Trainer Bruno Labbadia und formulierte Bestürzendes: „Ich dachte, wir sind schon stabiler, aber es reicht zurzeit nicht. Uns fehlen Leute, die in die Bresche springen.“

Die Qualität: Mit ihrer Sparpolitik hat die Vereinsführung der Mannschaft über die Jahre nachhaltig Substanz entzogen. Mit immensem Krafteinsatz hat Labbadia die Krisen immer wieder vertrieben. Das kam in der Chefetage als Signal an: Auch preiswert siegt! Noch in der Winterpause sagte Präsident Gerd Mäuser: „Wir sind in drei Wettbewerben, da ist noch alles drin.“ Vier Spiele später gilt das für die Liga schon nicht mehr.

Der Kader: Alle Positionen sind dreifach besetzt. Zumindest auf dem Papier. In der Praxis sieht das anders aus. Im Angriff wartet Vedad Ibisevic seit 8. Dezember auf ein Bundesligator, Cacau kehrt nach seinem Kreuzbandriss erst Ende März zurück, Neuzugang Federico Macheda fremdelt noch. Im rechten Mittelfeld hängt Martin Harnik seit Monaten durch, Shinji Okazaki hat sich aus der Startelf gespielt, Tunay Torun kaum überzeugt und Neuzugang Alexandru Maxim erst zweimal mit den Kollegen trainiert. Links ist Ibrahima Traoré ein Wirbelwind, im Übereifer geht ihm aber vieles daneben. Okazaki – siehe oben. Johan Audel ist dauerverletzt. Anders gesagt: Viel Mittelmaß, keiner hebt sich ab.

Der Spielmacher: Lange hatte Bruno Labbadia auf der chronischen Schwachstelle des VfB an Tamas Hajnal festgehalten. Gegen Bremen schickte er ihn, wie Molinaro, auf die Tribüne. Die Idee, stattdessen Tunay Torun das Spiel lenken zu lassen, zahlte sich nicht aus. Daniel Didavi kämpft sich nach seiner Verletzung mühsam zurück, am Sonntag musste er mit Schmerzen im Knie das Training abbrechen. Maxim – siehe oben. Bleibt Raphael Holzhauser. Als der VfB in der Hinrunde fast in Serie aus neun Spielen sieben Siege und zwei Unentschieden holte, stand der Österreicher siebenmal in der Startelf, bevor er in ein kleines Leistungstief fiel. Seine Qualitäten taten der Mannschaft gut. Warum sollte sie jetzt nicht von ihm profitieren? Gegen Bremen saß Holzhauser aber 90 Minuten draußen.

Der Trainer: Seit Bruno Labbadia im Dezember 2010 beim VfB antrat, hat er mit der Mannschaft dreimal die Weichen nach oben gestellt. Es waren quälend lange Prozesse. Um die Krise auf die Schnelle zu meistern, reicht die Qualität des Kaders nicht aus. Labbadia weiß: „Jetzt wird es wieder ein Kraftakt.“ Falls der Erfolg zu lange ausbleibt und sogar der Abstieg droht, hat der VfB ein Problem: Nach Labbadias Vertragsverlängerung bis 2015 käme eine Trennung teuer. Zwar nicht teurer als ein Abstieg, doch wer garantiert, dass ein Feuerwehrmann imstande wäre, den Brand zu löschen?

Die Fans: Die Heimspiele gegen Bremen sind seit Jahren Torfestivals. Viele Anhänger versprachen sich diesmal aber kein Spektakel: 41 200 Zuschauer bildeten die zweitschlechteste Kulisse der Saison – nur gegen den FC Augsburg kamen weniger (38 940). Das Vertrauen in den Verein ist erschüttert, zur sportlichen Misere kommt eine Identitätskrise: Wofür steht der VfB eigentlich? Für Offensivfußball, für jung und wild, für Stars, für Aufbruchstimmung? Für keines von allem, zumindest nicht nachhaltig.

Der Präsident: Viele Anhänger haben im Vorstand und Aufsichtsrat die Schuldigen ausgemacht, sie skandierten: „Vorstand raus“ und „Mäuser, wir haben die Schnauze voll“. Gerd Mäuser macht es sich einfach, indem er die Schuld für die zunehmend schlechte Stimmung im Umfeld auch den Medien zuschreibt. Zudem stößt er intern mit seiner teilweise schroffen Art auf Widerstand: Zahlreiche Mitarbeiter haben gekündigt, andere erwägen, es ihnen gleichzutun.

Die Perspektive: Früher nahm sich der VfB in den Hinrunden seine Auszeiten, jetzt stockt es in der zweiten Hälfte. Je weniger Ligaspiele da übrig bleiben, desto angespannter die Nerven. „Woher sollen wir Selbstvertrauen zurückholen?“, fragte Serdar Tasci und fügte hinzu: „Natürlich kann man immer Gespräche führen.“ Das klang so, als verspreche sich der Kapitän davon nicht viel. Sportdirektor Fredi Bobic sagte ratlos: „Wenn man in einer Negativspirale steckt, ist das schwer zu stoppen.“ Siehe Martin Harnik. Die Hoffnung, ein Europa-League-Sieg an diesem Donnerstag (21.05 Uhr/Sky) gegen KRC Genk könne Auftrieb für das Spiel in Hoffenheim geben, redete er gleich wieder klein: „Wir haben nach dem 5:1 in Bukarest auch 0:3 in Freiburg verloren.“

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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