2. Liga

Der Tiefpunkt als Wendepunkt

In der Hinrunde unterlag der VfB dem 1. FC Heidenheim, Trainer Jos Luhukay trat wenig später zurück. Drei Beteiligte erinnern sich an das Stuttgarter Debakel – und blicken vor dem Rückspiel zuversichtlich voraus.


Mit 2:1 siegte der kleine 1. FC Heidenheim in der Hinrunde beim großen VfB Stuttgart.
Und das auch noch völlig verdient.

„VfB in Trümmern“, „Das Ende ist nah“ – so lauteten zwei Schlagzeilen vom 10. September 2016. Am Abend zuvor hatte der Bundesliga-Absteiger VfB Stuttgart nicht nur 1:2 zu Hause gegen den 1. FC Heidenheim verloren, sondern sich nach allen Regeln der Kunst blamiert. Der missratene Arbeitstag von Stephen Sama, dem kein Pass über mehr als drei Meter gelang, war nur ein Teil der Geschichte dieses denkwürdigen Spiels, nach dem Heidenheims Marc Schnatterer frohlockte: „Wahnsinn! Jetzt nehmen wir diese drei Punkte doch tatsächlich mit in unser kleines Nest.“

Aus Stuttgarter Sicht bildete die Partie am vierten Zweitliga-Spieltag den neuerlichen Tiefpunkt eines an Tiefpunkten nicht gerade armen VfB-Jahres 2016. Nun, mit dem Abstand von fünf Monaten und dem anstehenden Rückrundenduell am Freitag (18.30 Uhr), markiert das Derby aber auch den Wendepunkt in der jüngeren Clubgeschichte. Zur Erinnerung: sechs Tage später trat Trainer Jos Luhukay zurück. Es übernahm erst Co-Trainer Olaf Janßen und eine Woche später Hannes Wolf. Der Blick von Luhukay auf das aktuelle Geschehen am Cannstatter Wasen wäre sicher interessant gewesen – allerdings beschied er unsere Interview-Anfrage abschlägig. Dafür haben wir drei andere Beteiligte nach ihren Prognosen rund ums Derby befragt.


Helmut Dietterle: Der FCH ist immer heiß

Das Ergebnis vom Hinspiel? „Spielt keine Rolle“, sagt Helmut Dietterle. Der Ex-Profi spielte von 1974 bis 1980 für den VfB, 2003/04 war er Trainer in Heidenheim. Dietterle wohnt auf der Ostalb, er trainiert Landesligist SF Dorfmerkingen, er kennt die Befindlichkeiten. „Dieses Spiel am Freitag ist das größte, was in Heidenheim je stattgefunden hat“, ist sich der 65-Jährige sicher. Heidenheims Coach Frank Schmidt war unter ihm Spieler in der Verbandsliga: „Frank war damals schon ein Stratege, er macht seine Spieler heiß ohne Ende.“ In jedem Spiel, nicht nur gegen den VfB. „Dieses Heidenheimer Team gibt in jedem Spiel alles, völlig egal, wie der Gegner heißt“, streicht Dietterle die Mentalität der Mannschaft heraus. Er traut ihr ein 1:1 zu. Mehr nicht. Der VfB sei sehr gefestigt, habe unglaubliche Stärken im Spiel nach vorne. Der FCH lebe von seiner Stabilität und Kompaktheit. „Die Spieler sind stolz und selbstbewusst. Die Jungs mit schwäbischen Wurzeln, wie Kapitän Marc Schnatterer, werden in diesem Derby sicher noch mal eine Schippe drauflegen.“ Wie schon im Hinspiel in Stuttgart.

2004 ging’s für Heidenheim rauf in die Oberliga, 2008 in die Regionalliga, 2009 in die dritte Liga, 2014 in die zweite Liga. Folgt 2017 der Sprung in die Beletage? „Es reicht noch nicht ganz. Es fehlt noch ein bisschen Qualität“, lautet Dietterles Prognose. Platz vier bis acht traut er der Schmidt-Elf zu. Und dem VfB? „Der wird den Aufstieg ­packen. Sicher“, sagt Dietterle. Ein ­Wiedersehen in der Bundesliga hält er nicht für ausgeschlossen. Spätestens 2020. So lange laufen auch die Verträge von Trainer Schmidt und Kapitän Schnatterer.


Günther Schäfer: Es herrscht ein neuer Teamgeist

Natürlich traf die 1:2-Heimniederlage gegen Heidenheim auch die Clublegende Günther Schäfer mitten ins Herz. Ihn, den zweifachen Deutschen Meister und 373-maligen Bundesligaprofi. Auch wenn er das heute in seiner Funktion als Teambetreuer so nicht ausspricht. „Jede Niederlage ist bitter. Aber ich habe früher schon immer lieber nach vorne geschaut.“

Also bitte. Freitagabend auf der Ostalb, die Chance zur Revanche. „Wenn wir voll dagegenhalten und unsere Leistung auf den Platz bringen, bin ich überzeugt davon, dass wir das Spiel gewinnen werden“, gibt sich Schäfer zuversichtlich. Wenn nicht er, der alte Kämpfer, wüsste sonst, worauf es gegen einen heißblütigen Gegner in der Voith-Arena ankommt: „Auf Herz, Leidenschaft, Mentalität.“ Also all das, was die Mannschaft von Frank Schmidt dem VfB im Hinrundenduell vorlebte. Doch mittlerweile, glaubt Schäfer, habe sich auch die Mannschaft von Hannes Wolf weiterentwickelt. Spielerisch – und was die Hingabe auf dem grünen Rasen angeht.

„Der Teamgedanke ist ein ganz anderer“, vergleicht der 54-Jährige die Situation von heute mit damals. „Hannes Wolf und Jan Schindelmeiser tragen viel dazu bei, dass das Klima im ganzen Verein besser geworden ist.“ Insofern hatte die Hinspielniederlage mit dem folgenden Rücktritt von Jos Luhukay ihr Gutes – Stichwort Ende mit Schrecken. „Im Moment passt einfach alles“, sagt Günther Schäfer.


VfB-Fan Tobias Klecker: Viel Wirbel durch einen Post

Tobias Klecker war einer von 52 200 Augenzeugen jenes denkwürdigen Abends im September. Der VfB-Fan erinnert sich: „Die Bedingungen waren perfekt: Wir hatten zuvor in Sandhausen gewonnen, das Wetter war top, das Stadion voll.“

Und dann das. 1:2-Heimniederlage. Gegen Heidenheim! „Es war ein Desaster“, sagt der 22-Jährige, der in den Tagen danach einige Bekanntheit erlangte – mit einem Post bei Facebook. Überschrieben mit den Worten „Sehr geehrter VfB Stuttgart 1893 e. V., hallo Herr Luhukay, hallo Mannschaft“ verpasste Klecker Mannschaft, Trainer und Vereinsführung einen Glattstrich. Am Ende erzielte er damit 15 408 Likes – ein unglaublicher Wert für einen einfachen Fan.

Tags darauf meldete sich ein Mitarbeiter aus der VfB-Marketingabteilung bei Tobias Klecker. „Er sagte mir, dass der Beitrag auch im Verein hohe Wellen geschlagen hat und ihn die handelnden Personen auf ihrem Schreibtisch liegen hätten. Zugleich versicherte er mir im Namen des Vereins, dass sich die Kritik jeder zu Herzen nehmen werde.“ Fortan berichteten mehrere Medien bis nach Rumänien über den Hilferuf aus der Kurve. Fünf Monate später klingt vieles aus dem Post wie aus einer längst vergangenen Epoche. „Der Verein hat sich sehr zum Positiven verändert“, meint der VfB-Fan und ist überzeugt: „Dieses Mal schlagen wir Heidenheim.“

Quelle: Stuttgarter Zeitung


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