2. Liga

„Wir müssen einen neuen VfB bauen“

Der Sportvorstand Jan Schindelmeiser spricht vor dem Saisonstart über höchste Ansprüche, fantasievolle Transfers und Thomas Hitzlspergers Rolle in Stuttgart.


Der VfB-Sportchef Jan Schindelmeiser blickt weit über den Saisonstart gegen den FC St.
Pauli hinaus. Er will die Stuttgarter wieder zu einer festen Größe in der Bundesliga machen.

Herr Schindelmeiser, Sie sind nun seit rund einem Monat Sportvorstand des VfB. Hat Ihr restaurierter Porsche schon Stuttgarter Straßen unter den Rädern gehabt?
Ja, einmal hatte ich ihn hier. Von Stuttgart kenne ich bislang allerdings nicht viel mehr als den Weg vom Hotel zur Geschäftsstelle des VfB. Nach dem Ende der Transferperiode am 31. August wird sich das aber ändern.

Was haben Sie beim VfB vor vier Wochen vorgefunden?
Ein fragiles Gebilde, das geprägt war von den Enttäuschungen der vergangenen Jahre. Aber ich habe auch den Wunsch gespürt, die Dinge zu verändern. Das wiederum geht nur über Vertrauen und Gespräche. Wir brauchen gemeinsame Ziele, und eine meiner Aufgaben ist es, dafür zu sorgen, dass unsere guten Leute im Verein dort eingesetzt werden, wo sie ihr Potenzial entfalten können.

Sie selbst sind in der Kaderplanung gefragt. Wie gehen Sie hier vor?
Dieser Auswahlprozess ist eines der wichtigsten Elemente im Profifußball überhaupt. Und er muss das ganze Jahr über erfolgen, nicht nur während der Transferperioden. Wir müssen mit unseren Scouts regelmäßig sprechen. Sie müssen wissen, welchen Fußball wir spielen wollen, benötigen präzise Vorgaben. Für diesen Prozess muss ich der Initiator sein, eng abgestimmt mit dem Cheftrainer. Spielerrekrutierung ist ein Teamprozess. Aber am Ende muss einer die Verantwortung übernehmen. In diesem Fall ich.

Letztlich geht es bei der Spielersichtung wohl vor allem um Risikominimierung.
Im besten Fall gewinnen wir „Mehrwertspieler“, die uns sportlich möglichst schnell weiterhelfen, aber auch eine langfristige Perspektive haben. Klar ist aber: Wir bekommen unsere „Wunschspieler“ nur dann, wenn wir künftig deutlich früher auf dem Markt agieren als die Clubs mit größeren finanziellen Möglichkeiten. Die können es sich erlauben, länger hinzuschauen.

Schnell sein wollen viele. Wie kann man sich da noch abheben?
Der Wettbewerb um die besten Spieler ist extrem hart. Um hier erfolgreich zu sein, versuchen wir gezielt und strategisch vorzugehen. Wo können wir schneller sein? Gibt es Märkte, wo die anderen nicht so genau hinschauen? Sind wir in der Lage, frühzeitig Beziehungen zu interessanten Spielern aufzubauen, die wir vielleicht erst ein, zwei Jahre später verpflichten können? Der FC Basel und der FC Porto sind da gute Beispiele, die sehr oft Spieler in jungen Jahren verpflichtet und sie später für viel Geld verkauft haben.

Daran orientieren Sie sich?
Unsere Idee ist es selbstverständlich, dass Spieler, wenn sie sich gut entwickeln, bei uns bleiben. Dafür müssen sie aber die Perspektive sehen, dass es auch bei uns nach oben geht. Das gilt ebenso für unseren eigenen Nachwuchs. Dabei geht es nicht zuletzt um unseren eigenen Anspruch.

Der wie lautet?
Wir sollten einen sehr hohen Anspruch haben an das, was wir hier machen. Und gleichzeitig – für mich ist das kein Widerspruch – müssen wir bescheiden auftreten. Wir müssen gemeinsame, ambitionierte, aber realistische Ziele definieren.

Hohe Ansprüche sind in Stuttgart immer wieder formuliert worden.
Das schreckt mich nicht ab. Deshalb rede ich auch nicht von Tabellenplätzen. Aber jeder Spieler sollte das Bewusstsein dafür haben, nach vorne kommen zu wollen. Das ist eine Frage der Haltung. Nur so funktioniert eine Hochleistungskultur. Eine Atmosphäre, die davon geprägt ist, Spitzenleistungen zu bringen – und anders kommen wir als Club nicht weiter.

Die Realität ist die zweite Liga.
Und es wird extrem schwer, da schnell wieder rauszukommen. Das wissen wir, und trotzdem gilt auch: Dieser Club mit seinen tollen Fans, dem starken Umfeld und der großen Mercedes-Benz-Arena muss den Anspruch leben, oben anzugreifen. Sollen wir uns für diese ambitionierte Zielsetzung entschuldigen? Ich glaube nicht.

Offenbar wollen Sie in Stuttgart einen neuen Weg gehen. Wie sieht dieser aus?
Ich glaube schon, dass wir uns wandeln müssen. Und wir haben jetzt die Chance, auf einem wundervollen Fundament etwas Neues zu gestalten. Wir haben den Auftrag, einen neuen VfB zu bauen, das dürfen wir jetzt nicht versemmeln.

Wo können Sie ansetzen?
Der VfB sollte künftig wieder Magnet für hochveranlagte Spieler werden. Wenn wir nach Spielern schauen, hätte ich gerne Jungs, die beseelt sind davon, ganz nach oben zu kommen. Diese müssen nicht aus der ersten Liga oder von Manchester United kommen. Aber sie müssen bereit sein, sich ständig zu verbessern.

Zuletzt haben Sie Hajime Hosogai und Tobias Werner geholt. Beide kennen die Bundesliga schon.
Nehmen wir zum Beispiel Tobi Werner. Er ist ein echter „Berufsfußballspieler“, der stets versucht, im Rahmen seiner Möglichkeiten das Beste herauszuholen. Und der das, was er kann, ohne Vorbehalte in die Mannschaft einbringt. So einen Teamgedanken möchte ich gern gelebt sehen, solch eine Atmosphäre brauchen wir, um aufzusteigen.

Viele personelle Entscheidungen sind bereits vor Ihrer Ankunft getroffen worden. Wie ist die Zusammenarbeit, zum Beispiel mit Marc Kienle und Thomas Hitzlsperger, denn mittlerweile definiert?
Es war eine meiner ersten Amtshandlungen, ebendiese Gespräche zu führen und gemeinsam die Rollen zu definieren. Das hat einwandfrei funktioniert. Joachim Cast hält mir nicht nur in Vertragsfragen und organisatorischen Belangen und Jan Räker in juristischen Dingen den Rücken frei. Marc Kienle übernimmt schwerpunktmäßig den sportlichen Part an der Schnittstelle zum Nachwuchsleistungszentrum. Er ist deshalb, neben dem Trainer, in sportlichen Fragen mein Ansprechpartner.

Und Thomas Hitzlsperger . . .
. . . ist wie vereinbart künftig an zwei Tagen in der Woche hier. Er ist ein überragender Botschafter des Clubs, den wir in vielen Gesprächen vor allem mit jungen Spielern einbeziehen können. Zudem ist er toll vernetzt in der Fußballwelt, seine Kontakte konnte ich schon mehrfach nutzen. Und er ist einfach ein Typ, der viel Energie in die Sache gibt.

Er wurde als Berater des Vorstands geholt.
Die bisherigen Visitenkarten spielen für mich keine entscheidende Rolle. Was für Thomas ursprünglich vorgesehen war, haben wir angepasst – was aber überhaupt kein Problem darstellt, am wenigsten für ihn. Er hat nur gefragt: Wie kann ich meine Fähigkeiten am besten einbringen?

Wie definieren Sie Ihre eigene Rolle?
Ich habe nicht nur eine Rolle. Mal bin ich Triebfeder, mal Mentor, mal Stabilisator, Manager, mal eher in der Beobachterrolle. Letztlich muss ich Orientierung geben und dafür sorgen, dass wir unser Denken und Handeln in die gleiche Richtung lenken. Wichtig ist für mich auch: Ich möchte die Menschen nicht nur im Kopf erreichen, sondern auch im Herzen.

Wie schafft das der Flensburger unter Schwaben?
Ich bin ja kein echter Flensburger, sondern nur dort geboren. Aufgewachsen bin ich in der Nähe von Göttingen . . .

. . . was aus Stuttgarter Sicht immer noch sehr nah an Südschweden liegt.
(lacht) Ich bin hier jedenfalls von allen sehr herzlich aufgenommen und empfangen worden. Von den Menschen im Verein, aber auch von den unglaublich vielen Fans, die unsere Mannschaft im Trainingslager begleitet haben. Da habe ich auch gleich gemerkt, welch hohe Verantwortung wir haben. Es gibt unter den Fans Menschen, die sich seit Jahrzehnten mit dem Club identifizieren. Für uns aktuell Verantwortliche bedeutet das, dass wir uns nicht zu wichtig nehmen dürfen.

Haben Sie schon den Unterschied bemerkt zu Ihrer Zeit bei der TSG Hoffenheim, die eher als Projekt galt.
Vereine werden natürlich auch geprägt von den Menschen drum herum – und da kann man Hoffenheim mit Stuttgart überhaupt nicht vergleichen. Wir hatten damals die Chance, etwas komplett neu zu gestalten, weniger Zeitdruck, aber natürlich mit hohem eigenen Antrieb der beteiligten Personen. Daraus ergab sich eine unglaubliche Geschwindigkeit in der Entwicklung. In Stuttgart spüre ich schon jetzt die Kraft der Menschen, die den VfB unterstützen. Vergleichbar ist da nur der Auftrag.

Wird er schwieriger zu erfüllen sein als einst in Hoffenheim?
Er ist dergestalt schwieriger, als dass es hier schon Strukturen gibt, an denen man sich orientieren muss. Aber vieles funktioniert beim VfB bereits heute auf hohem Niveau.
Und es gibt den Zeitdruck, schnell wieder hochkommen zu müssen.
Wir haben einerseits Erfolgsdruck, klar. Den Zeitdruck haben wir vor allem jetzt, da wir relativ spät in die Planungen eingestiegen sind. Wir müssen möglichst schnell die Voraussetzungen schaffen, um smarte Entscheidungen treffen zu können.

Smarte Entscheidungen?
Das heißt, dass wir mit den begrenzten Mitteln die größtmögliche Wirkung im Kader erzielen wollen. Sofort, aber auch langfristig. Ich möchte für Trainer und Mannschaft Arbeitsbedingungen schaffen, die es ihnen ermöglichen, das nächste Spiel zu gewinnen. Und gleichzeitig muss ich bei den Entscheidungen darauf achten, dass wir auch in zwei Jahren noch das nächste Spiel gewinnen können.

Heißt smart auch fantasievoll?
Wenn wir in dieser Transferperiode noch Spieler dazu holen, dann sollten sie möglichst keine zu lange Anlaufzeit benötigen und gleichzeitig Potenzial für höhere Aufgaben besitzen. Das ist sehr anspruchsvoll und nicht immer eins zu eins umsetzbar.

Bei Ihrem Amtsantritt sagten Sie, die Mannschaft sei noch nicht aufstiegstauglich. Was sagen Sie kurz vor dem ersten Saisonspiel?
Dass unsere Mannschaft schon absolut wettbewerbsfähig ist, aber auch noch wettbewerbsfähiger werden wird. In vielen Mannschaftsteilen sind wir gut aufgestellt, aber gerade im vorderen Bereich sollten wir noch Qualität von außen zuführen.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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