Christian Gentner

„Wir sind nicht der FC Bayern der zweiten Liga“

Trotz einiger Fehlentwicklungen traut Christian Gentner dem VfB Stuttgart noch viel zu. Im Interview vor dem Saisonstart spricht der Kapitän über große Erwartungen und kleine Stadien.


Der Kapitän gibt die Richtung: Christian Gentner will mit dem VfB zurück in die Bundesliga.

Nur noch wenige Tage, dann geht sie los – die zweite Liga für den VfB Stuttgart. Neuland ist sie auch für den Routinier Christian Gentner, der aber immer größere Vorfreude verspürt. Auf die Heimspiele sowieso, aber auch auf die Auswärtspartien. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Stimmung hitzig sein wird“, sagt der 30-jährige Kapitän vor dem ersten Spiel am Montag (20.15 Uhr) gegen St. Pauli.

Herr Gentner, ein Flutlichtspiel mit knapp 50 000 Zuschauern im Stuttgarter Stadion – der Zweitligastart des VfB gegen den FC St. Pauli fühlt sich fast wie Bundesliga an.
Ja, auch für mich. Das Stadion war immer schon erstklassig, und die Kulisse wird dazu beitragen, dass zum Auftakt in Stuttgart eine tolle Stimmung herrscht. Wir dürfen daraus nur nicht den Schluss ziehen, dass die zweite Liga ein Selbstläufer wird.

Dennoch könnten die Heimspiele unter der Rubrik „Bundesliga-Atmosphäre“ stattfinden – wenn es gut läuft. Doch was erwarten Sie von den Auswärtsspielen?
Das wird ganz unterschiedlich sein, da es eine Reihe von Traditionsvereinen wie Nürnberg und Kaiserslautern mit größeren Arenen gibt, aber ebenso Clubs mit engen Stadien wie Heidenheim und Sandhausen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Stimmung hitzig sein wird. Denn als VfB treten wir überall als die Mannschaft an, die alle anderen schlagen wollen.

Freuen Sie sich auf diese heißen Duelle?
Total, zumal wir uns auch auswärts immer auf unsere Fans verlassen konnten. Ich rechne da mit starker Unterstützung, weil die Fans jetzt neue Stadien erleben können. Auch wenn klar ist, dass weder Spieler noch Anhänger die Zweitligastadien regelmäßig besuchen wollen.

In und um Stuttgart tut man sich noch schwer, mit der sportlichen Einschätzung der zweiten Liga. Können Sie weiterhelfen?
Nicht wirklich, da muss ich ehrlich sein.
Viele Experten meinen jedenfalls, dass der VfB Stuttgart und Hannover 96 deutlich über dem Rest des Feldes stehen.
Diese Einschätzung kann ich einerseits nachvollziehen, da es für die anderen Vereine durch eine solch klare Rollenverteilung leichter ist, in die Saison zu starten. Sie können sich im Schatten der Absteiger etwas dem Druck entziehen. Andererseits sind wir sportlich gesehen im Augenblick nicht das Team, das von Anfang an vorne weg marschieren wird.

Trotz der rekordverdächtigen 25 000 verkauften Dauerkarten, trotz des mit knapp 35 Millionen Euro höchsten Etats und trotz der nach wie vor hervorragenden Infrastruktur beim VfB?
Mit dem Vergleich, wir seien der FC Bayern der zweiten Liga, kann ich ohnehin nichts anfangen. Wir sind eine Mannschaft, die viele Stammkräfte verloren hat und die sich erst noch finden muss. Da kann es durchaus sein, dass es einige Zeit dauert, bis wir ins Rollen kommen.

Offenbar haben die Fans aber wieder sehr viel Vertrauen in die Mannschaft gewonnen.
Vielleicht ist ja auch Vorfreude der bessere Begriff als Vertrauen in diesem Zusammenhang. Grundsätzlich glaube ich aber, dass sehr viele Fans einfach dabei sein wollen, wenn es wieder nach oben geht – und sie wollen in Form ihrer Unterstützung einen Beitrag dazu leisten. Insgesamt ist das ein Supersignal an den VfB.

In den vergangenen Jahren herrschte öfters Aufbruchstimmung in Stuttgart. Immer sollte vieles besser werden, doch die Realität war letztlich eine andere.
Das stimmt – und deshalb ist es um so wichtiger, dass wir uns von dieser Euphorie nicht leiten lassen. Wir haben viele junge Spieler in unseren Reihen, und wir wissen nicht, wie die Mannschaft mit dem Druck, der auf ihr lasten wird, umgeht.

Bedeutet das, dass man dem Leistungsvermögen der Mannschaft noch nicht trauen kann?
Es bedeutet zunächst, dass wir nicht wissen, wo wir sportlich stehen. Ich für meinen Teil vertraue aber sehr auf das Trainerteam um Jos Luhukay. Er hat schon mehrfach bewiesen, derart schwierige Situationen meistern zu können.

Wie erleben Sie den neuen Chefcoach in den ersten Wochen?
Sehr sachlich, und obwohl ich schon in meine elfte Profisaison gehe, habe ich es noch nicht erlebt, dass nahezu alle Trainingseinheiten mit Ball abgehalten werden. Das ist ein neuer Ansatz, der bislang sehr gut funktioniert.

Der Vertrauensvorschuss in Jos Luhukay ist nachvollziehbar, aber vertrauen Sie dem Verein nach den ganzen Fehlentwicklungen in den vergangenen Jahren überhaupt noch?
Mit Sicherheit ist da einiges schief gelaufen, was sich schon an den vielen Trainer- und Managerwechseln zeigt. Für mich ist jedoch wichtig, dass die Vereinspolitik den Spielern nicht als Alibi dient. Unabhängig von den Personen um uns herum müssen wir auf dem Platz unseren Job erledigen.

Und der heißt in dieser Saison: Aufstieg.
Richtig, und deshalb kann es diesmal eines nicht geben: dass Einzelne ihre Eitelkeiten ausleben. Alles muss dem Erfolg der Mannschaft untergeordnet werden – und wenn das passiert, dann wird auch das Vertrauen in den Verein wieder gestärkt.

Hat dieser Abwärtstrend dazu geführt, dass Sie zuletzt an ihrer Zukunft in Stuttgart gezweifelt haben?
Sicher, aber als Spieler macht man sich regelmäßig Gedanken über seine sportliche Zukunft. Nehmen sie einfach das Jahr davor. Da haben mich zum Beispiel die Gesprächen mit Alexander Zorniger davon überzeugt, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben. Davon war ich bis zuletzt überzeugt. Und diesmal ist es so, dass ich Teil des Ganzen sein will, wenn es wieder zurück in die Bundesliga geht.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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