Das Gegnerinterview: FC St. Pauli

„Es darf wieder um etwas gehen“

Der VfB Stuttgart trifft zum Saisonauftakt auf den FC St. Pauli. In unserer Serie „Das Gegnerinterview“ sprechen wir mit Blogger Maik Krükemeier.


Der FC St. Pauli kommt zum ersten Mal seit 2012 wieder nach Stuttgart zu einem Pflichtspiel.

Wenn der VfB Stuttgart am Montagabend (20.15 Uhr, Liveticker) auf den FC St. Pauli trifft, ist dies das erste Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften seit dem 31. Oktober 2012 (3:0-Sieg für den VfB, 2. Runde im DFB-Pokal). In derselben Liga spielte man zuletzt in der Saison 2010/11 (2:0 in Stuttgart, 1:2 in Hamburg). Der letzte Sieg der „Kiezkicker“ gegen den VfB geht auf das Jahr 1996 zurück – so viel zur Ausgangslage. Nun kommen die Nordlichter also wieder nach Stuttgart. Wir haben im Vorfeld mit Blogger Maik Krükemeier (40) gesprochen, der den Verein seit vielen Jahren intensiv begleitet.

Herr Krükemeier, was machen Sie, wenn Sie nicht gerade bloggen und wo findet man Sie im Netz?

„Ich arbeite als Trainer in der Reiseverkehrsbranche, bin Schiedsrichter und begleite mit Begeisterung die Fußballkarriere meines Sohnes, aktuell in der F-Jugend.

Nach 14 schreibenden Jahren für das FC St. Pauli Fanzine „Der Übersteiger“ habe ich mich aus der Print-Redaktion verabschiedet, bespiele aber weiterhin den Blog (blog.uebersteiger.de) und den Twitter-Account @DerUebersteiger.

Besonders viel Spaß macht mir aber aktuell unser Podcast, der „MillernTon“, den wir alle drei bis vier Wochen in einer lustigen Sechser-Runde mit illustren Gästen veranstalten. So waren neben Präsident Oke Göttlich, Co-Trainer Fabian Boll und Manager Thomas Meggle auch schon mehrere Spieler des aktuellen Kaders zu Gast.“

Was hat sich bei Ihrem Club in der Pause getan? Wie verlief die Sommerpause?

„Im Vergleich zu früheren Jahren ist es momentan im Verein sehr ruhig, was sich auch in der Konstanz im Team und drum herum zeigt. An Abgängen aus der Startelf gilt es Lennart Thy (Werder Bremen) und Marc Rzatkowski (RB Salzburg) zu verzeichnen, neu dabei sind ab dieser Saison Aziz Bouhaddouz (Sturm, SV Sandhausen), Vegar Eggen Hedenstad (SC Freiburg), Richard Neudecker (1860 München), Marvin Ducksch (BVB U23) und mit Christopher Avevor (Fortuna Düsseldorf) auch ein Spieler, der früher schon mal an uns ausgeliehen war. Außerdem gilt Ryo Miyaichi als quasi Neuzugang, da er die komplette letzte Saison nach einem Kreuzbandriss verpasst hatte und erst am 34. Spieltag mit zwei Toren gegen Kaiserslautern andeute, was er kann.“

Mit welcher Zielsetzung geht der FC St. Pauli in die Runde?

„Der Verein hat vor Jahren mal die dauerhafte Zielsetzung „Top 25“ ausgegeben, von der man inzwischen aber auch wieder Abstand genommen hat. Ein offizielles Ziel in Kombination mit einem Tabellenplatz gibt es nicht. Trotzdem dürfte nach Platz 4 im Vorjahr schon das obere Drittel als internes Ziel ausgegeben sein, zumal man eine junge Mannschaft hat, die größtenteils zusammengeblieben ist und jetzt ein Jahr mehr Erfahrung hat. Spielerisch dürfte die Aufgabe lauten, insbesondere in den Heimspielen gegen tief stehende Gegner ein Mittel zu finden, denn hier wurden in der abgelaufenen Saison zu viele Punkte leichtfertig verschenkt.“

Welche Erwartungen haben die Fans?

„Nach dem Fast-Abstieg 2015 war die abgelaufene Saison mit dem vierten Platz Balsam für die Nerven. Seit ich 1995 meine erste Dauerkarte gekauft habe sind solche entspannten Jahre, in denen man die letzten zwei bis drei Spiele weder um den Auf- noch um den Abstieg spielt, fast an einer Hand abzuzählen. Irgendeine Dramatik hatten wir fast immer. Insofern sind die Akkus jetzt aber auch wieder aufgetankt, es darf ruhig wieder um etwas gehen. Und natürlich rechnet man nach der letzten Saison eher mit einer Platzierung im oberen Drittel als im unteren, aber in der 2. Liga ist dies oftmals vom Ausgang der ersten Spiele abhängig und ein guter bzw. schlechter Start kann oftmals schon die Richtung der Saison vorgeben. In der allgemeinen Erwartungshaltung dürfte es schon darum gehen, in der oberen Hälfte zu landen. Mit ein bisschen Glück würde natürlich auch mehr drin sein, außerdem gehören natürlich auch die ersten drei Plätze zur oberen Hälfte. Mein erstes persönliches Ziel ist aber lediglich im DFB-Pokal in Lübeck zu gewinnen, alles Weitere ergibt sich dann.“

Was macht den Verein aus?

„Tja, darüber könnte man Bücher füllen und lustiger weise haben das ja auch schon diverse Leute getan. Ein Verein, der „Weltpokalsiegerbesieger“ und „Derbysieger seit 2011“ inoffiziell als größte Erfolge angibt, noch nie Meister war und in keinem Pokalfinale stand, trotzdem aber in ganz Europa bekannt ist, ist sicher etwas besonderes. Und dieses Besondere wurde Ende der Achtziger mit dem Entstehen einer sehr außergewöhnlichen Fanszene begründet, von der sich viele Entwicklungen für die Fanszenen in ganz Deutschland ergaben. Der zum damaligen Zeitpunkt außergewöhnliche Kampf von Fußballfans gegen Rassismus, Faschismus, Sexismus und jegliche andere Form von Diskriminierung prägt den Verein und die Fanszene bis heute.

Inzwischen ist der FC St. Pauli natürlich auch im Profibusiness angekommen, auch hier muss Geld verdient werden um sportlichen Erfolg im gewissen Maße sicherzustellen. Doch es gibt noch die kleinen Dinge, die den Verein weiterhin abheben von der Masse der restlichen Vereine. Sei es der „Kein Fussball den Faschisten“-Schriftzug auf der Gegengerade, der in diesem Jahr übrigens durch „Kein Mensch ist illegal“ in der Nordkurve ergänzt wurde, der Nicht-Verkauf des Stadionnamens, festgeschrieben von der Mitgliederversammlung, zehn Minuten Stille über die Lautsprecher vorm Anpfiff, eine Regenbogen-Fahne auf dem Stadiondach oder viele kleine Details mehr.

Mir fällt am Stadionerlebnis Millerntor das meiste Positive aber auch immer in anderen Stadien auf, wenn ich wieder zur Kenntnis nehme, was eben bei uns alles eben nicht passiert. Und als nach wie vor eingetragener Verein mit einem ehrenamtlichen Präsidium und Aufsichtsrat, was sich noch dazu in großen Teilen aus der aktiven Fanszene zusammensetzt, ist mir auch nicht Bange vor der nah- bis mittelfristigen Zukunft. Das dieser Verzicht auf einige Einnahmemöglichkeiten umgekehrt bedeutet, wohl dauerhaft eher 2. Liga statt 1. Liga zu spielen, wird auch in der Fanszene akzeptiert, auch wenn natürlich ab und an ein Jahr im Oberhaus gerne mitgenommen werden würde.“

Kommen wir zum VfB. Wie würden Sie den VfB aus der Ferne charakterisieren?

„In Schlagworten: Jugendarbeit, Mayer-Vorfelder, vergebene Chancen. Seit ich Fußball bewusst verfolge, also Mitte der Achtziger, war der VfB fast immer in den Meisterschaftsspielen um die A- und B-Jugend vertreten. Umso unverständlicher, dass es immer wieder nicht gelingt, auf diese Basis auch eine erfolgreichere Profimannschaft zu bauen. Und im letzten Jahr nahm der Verein dann eben den Weg, den man bei uns eher unserem Nachbarn aus Stellingen gegönnt hätte.

Der Fußball war ja zumeist ansehnlich, teils sogar spektakulär, die Chancenverwertung hingegen grausam. Für viele, auch für mich, war immer klar, dass der VfB sich da noch herausarbeiten würde und viel zu stark besetzt ist um abzusteigen. Es wirkt ein wenig so wie bei unserem Nachbarn. Man ruht sich noch zu sehr auf den Erfolgen der Vergangenheit aus und geht davon aus, dass einen die „Tradition“ schon irgendwie oben halten wird, auch die Teilnahme am „Team Marktwert“ zeugt ja davon.

Mit diesem Stadion, dem Kader und der ganzen Infrastruktur herum, sollte der VfB natürlich der klare Aufstiegsfavorit sein. Allerdings ist die 2. Liga, gerade bei dem Fußball den der VfB spielt, kein Selbstbedienungsladen. Es dürfte darum gehen, möglichst schnell diese Liga auch innerlich anzunehmen, um ihr schnellstmöglich wieder zu entsteigen.“

Ihre Top 3 am Ende der Runde?

„Normalerweise gesetzt: VfB Stuttgart und Hannover 96. Dahinter kommt ein Kreis aus Teams wie Nürnberg, Düsseldorf, Bochum, Lautern, 1860 München, uns und sicher noch ein paar weiteren, wobei wahrscheinlich schon viel von den ersten drei bis fünf Spieltagen abhängen wird.“

Welche drei Clubs müssen runter?

„Ich lege mich mal dahingehend fest, dass Aufsteiger Dynamo Dresden drin bleibt. Außer für Stuttgart und Hannover geht es für alle anderen Vereine zunächst darum, möglichst schnell genug Abstand nach unten aufzubauen, ähnlich wie für Platz 3 kann es aber hier nahezu jeden erwischen.“

Abschließend: Ihr Tipp für das Spiel?

„Unsere Auswärtsschwäche ist ja eigentlich legendär, wurde unter Ewald Lienen aber zuletzt fast ins Gegenteil verkehrt. Ich denke, wir werden durch einen Konter in Führung gehen und anschließend eine heroische Abwehrschlacht durch ein Eigentor in der Nachspielzeit mit einem 1:1 abschließen.“

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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