Der Totensamstag des Stuttgarter Fußballs

Am Tag nach dem historischen Triple im Stuttgarter Fußball ist das Entsetzen weiter groß. Der 14. Mai 2016 dürfte als Totensonntag des Stuttgarter Fußballs in die Geschichte eingehen. Eine Betrachtung zum kollektiven Abstieg aller drei Profimannschaften der Stadt.


Bonjour Tristesse: der Stuttgarter Fußball ist dann mal weg

Der Humor kehrt am Tag danach zurück, zumindest eine gewisse Art von Humor. Galgenhumor nämlich. Der macht sich im Netz breit nach diesem denkwürdigen Fußball-Samstag mit dem Stuttgarter Abstiegs-Hattrick. Man liest in den sozialen Netzwerken etwa, dass es ja kein Wunder sei, dass just an jenem Samstag auch Jamie Lee beim Eurovision Song Contest Letzte geworden ist, schließlich haben ja Jungs aus Stuttgart sie maßgeblich geformt, Teile der Fantastischen Vier nämlich, Smudo und Michi Beck. Und was Stuttgarter an diesem Samstag angefasst haben, wurde eher nicht zu Gold. Bei Twitter wird geätzt, dass „Ghost“ die neue Hymne des VfB wird. So ist es eben, wer den Schaden hat. . .

Und Stuttgart hat den Totalschaden. Zumindest im Fußball.

Stuttgart hat an jenem 14. Mai Geschichte geschrieben. Alle drei Profimannschaften der Stadt sind abgestiegen. Der VfB. Die Kickers. Der VfB II. Dieses Triple dürfte einmalig in der Fußball-Historie sein. Der 14. Mai 2016 wird als Totensamstag des Stuttgarter Fußballs in die Geschichte eingehen.

Es ist niemand gestorben, und man sollte das alles natürlich nicht zu wichtig nehmen, aber die zeitliche Zusammenballung und damit verbundene Wucht dieses Dreierpacks bewegt doch viele Menschen. Der VfB II war ja schon weg, und wirklich geglaubt an das Wunder von Wolfsburg der ersten Mannschaft haben auch nicht mehr viele, tatsächlich hat deshalb der Abstieg der Kickers am Samstag fast die größten Emotionen hervorgerufen, weil er doch für viele eben überraschend kam. Auch für die Kickers. Während der Stuttgarter Untergang auf dem Wolfsburger Rasen irritierend emotionslos vonstatten ging, stiegen die Kickers in einem großen Drama ab. Viertklassig wegen eines Tores in der vierten Minute der Nachspielzeit. Ein blaues Wunder, im negativen Sinne.

Der Abstieg als logisches Ende einer Entwicklung

Was aber bedeutet das?

Nach Jahren des Abstiegskampfes des VfB hat sich ja bei der dortigen Anhängerschar eine gewisse Müdigkeit breit gemacht, die Euphorie, die im vergangenen Jahr nahe am Abgrund entstand – sie wollte dieses Jahr rund um den VfB einfach nicht aufkommen. Entsprechend emotionsarm ging der Abstieg insgesamt über die Bühne, fast schon geschäftsmäßig, ohne viele Tränen oder große Verzweiflung. Es wirkte fast so, als wäre der VfB jetzt eben am (wenn auch deprimierenden) Ziel einer langen Reise angekommen, die vielleicht um 2007 herum begonnen hat. Der Abstieg als logisches Ende einer Entwicklung. Kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen.

Vielleicht wird man erst später merken, wie groß der Verlust wirklich ist.

Wenn am 5. August die zweite Liga beginnt, zum Beispiel.

Für Stuttgart ist es ja mehr ein gefühlter Verlust denn ein wirklich messbarer. Der VfB bleibt weiter der bekannteste Verein der Stadt und der mit den meisten Fans. Natürlich hat der Abstieg des VfB finanzielle Folgen für die Stadt wie auch für den Verein. Der VfB ist ein Imageträger für die Region, sein Werbewert wird auf etwa 50 Millionen Euro taxiert, und in der zweiten Liga ist die Strahlkraft übersichtlich, wenn es statt gegen die Bayern gegen 1860 geht. Der VfB ist aber vor allem ein „soft skill“, wie man neudeutsch gerne sagt: ein weicher Standortfaktor. Im Kampf um die klügsten Köpfe, die diese Region mit all ihren großen und kleinen Unternehmen benötigt, ist ein Bundesligist natürlich nicht der entscheidende Faktor für die Attraktivität, aber als Teil eines Gesamtpakets schadet er auch nicht gerade. Im Gegenteil. Nun heißt es: „Wir können alles – außer Fußball“. Der VfB ist abgestiegen. Stuttgart ist abgestiegen.

Hoffen auf das Aufstiegs-Double 2017

Das ist nicht das Ende. Aber traurig. Der Neckar wird weiterfließen, beim Brunnenwirt wird die Currywurst nicht schlechter, Daimler und Porsche bauen weiter die besten Autos der Welt bauen (auch wenn passend zum Stuttgarter Pleiten-Pech-und-Pannen-Wochenende beim Formel-1-Rennen in Barcelona die Mercedes-Piloten Rosberg und Hamilton kollidiert sind), und Bosch wird weiter Patente wie am Fließband anmelden. Stuttgart bleibt in vielen Bereichen erstklassig.

Aber diese Region, die in der Champions League der Wirtschaft spielt und für die in aller Bescheidenheit nur das Beste gut genug ist, ist mindestens ein Jahr nicht mehr Teil des größten Spielbetriebes dieses Landes, dieser unerschöpflichen Quelle an Gesprächsthemen für Kantinen, Kneipen und den Arbeitsplatz. Nicht mehr auf Augenhöhe mit München, Berlin, Köln und Hamburg. Wenn Deutschland montags über die Bundesliga diskutiert, sucht Stuttgart den Weg nach Aue.

Und die Kickers und der VfB II kämpfen in der Regionalliga Südwest um die Rückkehr ins Profigeschäft. Gegen klangvolle Namen wie Hessen Kassel, Kickers Offenbach oder den 1. FC Saarbrücken. Aber auch gegen Astoria Walldorf. Hoffenheim II. TSV Steinbach.

Die Kickers II stehen übrigens in der Oberliga vor dem letzten Spieltag auf einem Abstiegsplatz.

Bonjour Tristesse in Stuttgarts Fußball.

Was bleibt? Die Hoffnung auf bessere Zeiten. Auf das Aufstiegs-Double des VfB und der Kickers 2017.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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