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Ein Kandidat und jede Menge Fragen

Wolfgang Dietrich will nächster Präsident des VfB Stuttgart werden. Der frühere S-21-Sprecher ist nicht unumstritten – und wirbt mit seiner Unabhängigkeit.


Will die Mitglieder des VfB Stuttgart am 9. Oktober überzeugen: Präsidentschaftskandidat
Wolfgang Dietrich

68 Jahre hat Wolfgang Dietrich – so sagt man hierzulande – auf dem Buckel. Man darf das auch in seinem Falle so sagen, der Unternehmer stammt schließlich aus der Region. „In Stetten im Remstal geboren“, zählt er auf, „in Backnang aufgewachsen.“ In Leonberg wohnt er mittlerweile – und wenn alles so läuft, wie er sich das zusammen mit dem Aufsichtsrat des VfB Stuttgart vorstellt, dann kommt demnächst eine Art Zweitwohnsitz dazu. Die Adresse: Mercedesstraße 109, 70372 Stuttgart.

Im Büro mit dem riesigen VfB-Wappen an der Wand könnte demnächst also Dietrichs Bürostuhl stehen, es wäre zugleich der Chefsessel, denn der Mann, der als Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21 durchaus eine polarisierende Rolle innehatte, soll der nächste Präsident des VfB Stuttgart werden. Und damit Nachfolger von Bernd Wahler.

Der hatte nach dem Abstieg seinen Rücktritt erklärt, die Geschäfte führen die Vorstände Stefan Heim (Finanzen), Jochen Röttgermann (Marketing) und Jan Schindelmeiser (Sport) sowie Kommunikationschef Oliver Schraft. Der Aufsichtsrat um den Vorsitzenden Martin Schäfer suchte derweil einen neuen Clubchef – und hat sich nun auf einen Kandidaten festgelegt (obwohl zwei möglich gewesen wären). Eben auf Wolfgang Dietrich, wohl wissend, dass dieser aufgrund seiner früheren Tätigkeit in Stuttgart alles andere als unumstritten ist. „Wir haben Gespräche mit mehreren Kandidaten geführt“, sagt Schäfer, „sind am Ende aber immer wieder auf Wolfgang Dietrich gekommen.“ Der sich am 9. Oktober den Mitgliedern zur Wahl stellen wird. Die werden bis dahin wissen wollen, wieso es ausgerechnet der 68-jährige Unternehmer sein soll, der ihren Club in eine bessere Zukunft führen kann. Eine erste Analyse:


Die Rolle des Präsidenten

Seit Erwin Staudt 2003 das Amt des Präsidenten übernommen hat, wurde der Job im Hauptberuf und gegen Bezahlung (zuletzt rund 500 000 Euro jährlich) ausgeführt. Obwohl die Aufgabenliste alles andere als kürzer geworden ist, soll der künftige Clubchef wieder ehrenamtlich agieren. „Das garantiert meine Unabhängigkeit“, versichert Wolfgang Dietrich, der diese betont: „Politisch, finanziell und auch persönlich.“ Der Verein brauche seiner Meinung nach diese Personen, denen finanzielle Motive fremd sind. „Leute, die dem Verein dienen“, wie es der 68-Jährige ausdrückt. Neben dem Präsidenten seien das die Mitglieder des Aufsichtsrats. Das derzeit aus drei Personen bestehende Gremium soll am 9. Oktober auf sechs Mitglieder anwachsen. Hermann Ohlicher ist dafür ein Kandidat, Franz Reiner, Chef von Hauptsponsor Mercedes-Benz-Bank, ein weiterer. Zusammen mit diesem Gremium will Dietrich den Verein neu ausrichten. „Der Präsident führt das Team, löst Konflikte und muss den Prozess zur Abstimmung über eine mögliche Ausgliederung begleiten“, beschreibt der Netzwerker sein mögliches neues Aufgabenfeld.


Die Wahl des Aufsichtsrats

Martin Schäfer hat Wolfgang Dietrich im Anschluss an das 1:3 gegen den FSV Mainz 05 am vorletzten Spieltag der Abstiegssaison kennengelernt. Es folgte ein mehrstündiger Austausch – wobei es zunächst überhaupt nicht um das Präsidentenamt gegangen sei, wie der Würth-Manager versichert. Das Thema kam nach und nach hoch, nun sagt Schäfer: „Er ist jetzt die allerbeste Lösung.“ Warum? „Er kennt sich im Profisport aus, er bringt Erfahrungen aus der Wirtschaft mit und hat Erfahrungen in gehobenen Führungspositionen.“ Andere Kandidaten „waren nicht bereit, ehrenamtlich tätig zu sein oder hatten zu wenig Fußball- oder Wirtschaftskompetenz“, beschreibt der Aufsichtsratschef den Auswahlprozess.


Die Person Wolfgang Dietrich

„Mitgliedsnummer 836, seit 42 Jahren.“ Schon mit diesen Fakten will Wolfgang Dietrich seine Verbundenheit zum VfB untermauern. Als Ratgeber im Hintergrund hat er in den vergangenen Jahren immer wieder engen Kontakt zur Führungsspitze im roten Haus gehabt. Das Stadion dagegen hat er lange gemieden, bis ihn zwei Schlüsselerlebnisse dazu brachten, über ein größeres Engagement nachzudenken. Die Spiele gegen Hannover 96 (1:2) und Mainz 05 (1:3). Danach fragte er sich selbst: „Will ich weiter eines von 47 000 VfB-Mitgliedern sein oder aus meiner Bruddelecke herauskommen?“ Er entschied sich für Letzteres. Über das von ihm gegründete Unternehmen Quattrex hat er als Investor tiefen Einblick in die Profibranche erhalten, prominente Köpfe der Szene nennt er seine Freunde. Dass er als impulsiv und durchsetzungsstark gilt, sieht Schäfer als positive Eigenschaft: „Wolfgang Dietrich kommuniziert klar, geradlinig und mit offenem Visier.“ Der Gelobte ergänzt: „Kein Verein wird erfolgreich sein, wenn er an der richtigen Stelle nicht auch mal unpopuläre Entscheidungen trifft.“ Der 68-Jährige schreckt vor solchen nicht zurück, sagt aber auch: „Ich bin kein Revolutionär.“


Dietrichs Vergangenheit

Das Unternehmertum ist das eine, zweifelhaften Ruhm hat er in Stuttgart in seiner Rolle als Sprecher von S 21 erlangt. Das Projekt hat seit jeher polarisiert, die Person Dietrich tat es irgendwann auch. Diese Vorbelastung bringt er mit – und geht offensiv damit um. „Meine Rolle war nicht immer einfach“, sagt er, betont aber: „Sie können sicher sein, dass ich sehr wohl unterscheiden kann, ob ich ein Unternehmen leite, für ein Bahnprojekt stehe, oder ob ich für das Präsidentenamt beim VfB kandidiere.“ Eine Erkenntnis dieser Zeit: „Man braucht eben auch Leute, die für irgendetwas stehen – auch bei extremem Gegenwind.“ Ein weiterer Ansatz für Kritik könnte das Geschäftsmodell der Quattrex AG sein, die als Investor mit Fußballclubs Geschäfte macht. Unter anderem mit den Stuttgarter Kickers. Dietrich versichert, er habe mit dem operativen Geschäft nichts mehr zu tun.


Das Programm

„Ich habe klare Vorstellungen, aber keine fertigen Konzepte“, sagt der Kandidat, der nun Neuland betritt: „Ich stelle mich zum ersten Mal in meinem Leben zur Wahl.“ Fans und Mitgliedern wolle er „den Stolz auf den VfB zurückgeben“ und dabei eine Symbiose schaffen „aus alten Werten und wirtschaftlichen Notwendigkeiten“. Er versichert: „Ich weiß, wie Profifußball von innen funktioniert, ich kenne die typischen Konflikte.“ Dietrich setzt auf große Investitionen in die Jugend und sieht die Ausgliederung als bestes Mittel, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dass diese Frage den Club umtreibt, weiß er nur zu gut, vollkommene Einigkeit nennt er dennoch nicht als Ziel: „Einen Verein komplett zu einen, ist fast unmöglich. Aber man muss diskutieren und Mehrheiten überzeugen.“ Im Falle einer Ausgliederung würde er Präsident des Hauptvereins bleiben und dessen Interessen in einer AG wahrnehmen.


Die weiteren Schritte

Am Montag hat der VfB seine Mitglieder über die Kandidatur Dietrichs offiziell informiert. Bis zum 9. Oktober wird der 68-Jährige viele Gelegenheiten nutzen, sich bei Fans und Mitgliedern vorzustellen. „Man muss das Vertrauen der Menschen gewinnen“, sagt er, „die Fans und Mitglieder sollen wissen, mit wem sie es zu tun haben.“

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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