Interview mit Alexander Zorniger

„Die VfB-Zeit hat mich verändert“

Der Fußballlehrer Alexander Zorniger spricht im Interview über erste Erfolge in Bröndby und seine Erfahrungen in Stuttgart. Eine erste Erkenntnis: mehr lachen.


Alexander Zorniger wirft einen Blick zurück nach Stuttgart.

Zwei Siege zum Ligastart, dazu viel Lob nach Auftritten in der Europa-League-Qualifikation – für Alexander Zorniger (48) läuft es gut bei Bröndby IF. „Ich habe hier schon nach kurzer Zeit das Gefühl, dass mein Fußball perfekt passt“, sagt der frühere VfB-Trainer, der sich vor dem Spiel bei Hertha BSC an diesem Donnerstag (20.15 Uhr/Sport 1) auch zu Horst Heldts heftiger Kritik an ihm äußert.

Herr Zorniger, die Dänen gelten als fröhliches Völkchen. Pflegen sie auch einen lustigen und sorglosen Fußball?
Nein, auf dem Platz ist Schluss mit lustig. Die Dänen spielen einen sehr körperbetonten Fußball, und sie sind, so glaube ich, vor allem sehr glücklich, weil sie über eine sehr gute Work-Life-Balance verfügen.

Was für eine Mentalität haben Sie dann bei Bröndby IF angetroffen?
Es gibt zwei Begriffe, welche die dänische Mentalität kennzeichnen. Der eine ist „Hygge“, Gemütlichkeit. Der andere „Janteloven“. Übersetzt bedeutet das, dass sich keiner für etwas Besseres halten soll. Darauf zielt auch das lateinische Clubmotto: „Supra Societatem Nemo“ – keiner steht über der Gemeinschaft. Mit dieser Haltung bekommt man es als Trainer zu tun.

Und dieses gemütlich angehauchte Projekt in Kopenhagen passt zu einem bekennenden Schwaben, der für seinen Fleiß bekannt ist, aber auch höchste Ansprüche an seine Mannschaft und sich selbst stellt?
Es wird hier auch ernsthaft gearbeitet. Nach meiner ersten Pressekonferenz hier bin ich aber darauf hingewiesen worden, mehr zu lachen. Für die Dänen ist es sehr wichtig, dass sie bei der Arbeit Spaß haben.

Der spaßorientierte dänische Fußballer und der ernsthafte Chefcoach aus Deutschland passen sich nun aneinander an?
Ja, und mir tut das durchaus gut. Ich kann hier in Kopenhagen viel besser abschalten. Ganz anders als zuletzt beim VfB Stuttgart, als ich mich Tag und Nacht mit der Situation auseinandergesetzt habe und am Ende feststellen musste, dass ich dabei meine Lockerheit eingebüßt habe. Auf der anderen Seite profitieren wohl auch die dänischen Fußballer davon, wenn ihnen jemand vermittelt, dass mit dem Abpfiff nicht ihr Berufsalltag endet.

Was ergibt sich daraus an Zielen?
Bröndby gehört, was die Infrastruktur anbelangt, zwar zu den besten Clubs in Dänemark, aber Bundesligavereine verfügen noch einmal über andere Möglichkeiten, nicht nur im finanziellen Bereich. Es geht also auch darum, die Strukturen zu verbessern, damit Bröndby in den nächsten Jahren den nächsten Schritt vollziehen kann.

Dieser misst sich an Tabellenplätzen oder Europacup-Teilnahmen?
Nein, an einer Entwicklung. Dennoch ist klar, dass wir einen der ersten sechs Plätze besetzen wollen. Denn diese berechtigen zur Teilnahme an der Meisterschaftsrunde.

Skandinavier an sich gelten auch als offene Menschen. Trifft das ebenso auf taktische Neuerungen zu?
Bisher sind mir alle Spieler mit Offenheit begegnet, auch beim VfB. Die Frage ist nur, wo diese Bereitschaft etwas Neues zu probieren endet. Das hat erstens mit dem Verständnis für das Ganze zu tun, zweitens mit dem Willen, es tatsächlich umzusetzen, und drittens stellt sich ein Spieler immer die
Frage: Was bringt mir das Ganze?

Welche Antwort können Sie darauf geben?
Ich muss einem Stürmer schon klarmachen, warum wir hohes Pressing spielen. Nämlich, um es nach der Balleroberung nicht 70 Meter bis zum gegnerischen Tor zu haben, sondern nur 35 – wenn wir es gut machen. In diesem Bereich unterscheiden sich dänische Spieler nicht von deutschen.

Wo liegt dann der größte Unterschied zu Ihrer Zeit in Stuttgart?
Ich glaube, dass in Stuttgart die meisten Leute zunächst auch positiv überrascht waren von dem Fußball, den wir beim VfB plötzlich gespielt haben. Im Gegensatz zu jetzt haben sich aber nicht die passenden Ergebnisse eingestellt.

Für ihr Wirken beim VfB hat Sie nun mit einiger Verzögerung der frühere Schalke- und VfB-Manager Horst Heldt in sehr scharfer Form öffentlich kritisiert.
Horst Heldt hat sich bei mir gemeldet und sich für seine Aussagen im vollen Umfang entschuldigt. Damit ist das Thema für mich abgeschlossen.

So einfach ist das?
Ja – und jetzt nehmen Sie Bröndby statt Stuttgart. Das ist ein klassisches Arbeiterviertel in Kopenhagen. Und wenn man da diesen leidenschaftlichen Fußball mit ständigen Aktionen und permanenten Zweikämpfen spielt, dann liegt man auf einer Wellenlänge mit den Leuten. Ich habe hier schon nach kurzer Zeit das Gefühl, dass dieser Fußball perfekt zu Bröndby passt.

Lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass Sie in Kopenhagen wieder eine Fußballrevolution angezettelt haben?
Nein, da dieser Fußball ja nichts Neues ist. Wichtig ist bei dieser Art des Fußballs ohnehin, dass der Funke überspringt – auf die Spieler, auf die Zuschauer, auf den Verein. Tut er das nicht, weil wie in Stuttgart die Ergebnisse nicht stimmen, dann wird diese Art des Fußballs schnell ganz anders wahrgenommen: Plötzlich ist es Harakiri.

Was bedeutet das für Sie als Trainer?
Dass es nicht darum geht, ob es sich um eine Revolution oder Evolution handelt, da ich nicht mit dem Anspruch antrete, irgendwann in Fußballlehrbüchern genannt zu werden. Vielmehr geht es darum, als Trainer alles zu geben und aus der Mannschaft möglichst alles herauszuholen.

Steht demnach heute ein anderer Trainer Alexander Zorniger an der Seitenlinie als derjenige, der vergangenen Herbst den VfB und die Bundesligabühne verlassen hat?
Ja, das halbe Jahr in Stuttgart hat mich verändert. Jedoch weniger im Bereich, welchen Fußball ich spielen lassen will. Vielmehr in der Erkenntnis, dass es viele Einflussfaktoren gibt, die nichts mit der eigentlichen Trainingsarbeit zu tun haben.

Was meinen Sie konkret?
Zum Beispiel ging es in Stuttgart oft darum, wann ich wie etwas über einen Spieler gesagt habe, und nicht, ob es sachlich richtig war. Zum Beispiel hatte ich es vorher nicht erlebt, dass ich auf die Umstände im Verein und die Befindlichkeiten einzelner Spieler so große Rücksicht nehmen musste. Zum Beispiel kam es nicht gut an, dass ich deutlich kritische Punkte angesprochen habe, ohne den entsprechenden Hintergrund mit Erfolgen vorweisen zu können.

Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?
Einige, aber die wichtigste ist, zu überblicken, wann Du welche Baustellen aufreißen kannst. Oder anders herum: So lange Du nicht erfolgreich bist, solltest Du dir gut überlegen, wie viele Baustellen Du dir überhaupt leisten kannst.

Bei Bröndby bietet ihr Team aber bereits nach kurzer Zeit eine schöne Palette an guten Ergebnissen und großen Emotionen.
Das ist richtig. Es gab hohe Siege, auch einen knappen sowie ein gewonnenes Elfmeterschießen. Das war innerhalb von wenigen Wochen eine intensive Zeit, mit vielen Schlüsselerlebnissen für die Spieler.

Zum Beispiel?
Wir haben schon ein Tor nach 15 Sekunden mit der Anstoßvariante erzielt, die ich auch beim VfB habe spielen lasse. Obwohl hier in Kopenhagen auch nicht alle gleich geschrien haben: Klasse, das ist das Beste, was wir je gemacht haben. Aber danach hat mein Kapitän zu mir geschaut und alles an ihm hat ausgedrückt: Das gibt’s doch gar nicht. Es funktioniert ja tatsächlich.

So scheint in Bröndby eine erste Euphorie zu entstehen. Die Fans feiern das Team und den neuen Trainer bereits überschwänglich.
Ja, auch wenn es noch sehr früh in der Saison ist. Es war aber schon etwas Besonderes, als die Fans nach mir gerufen haben. Obwohl ich es anfangs rein sprachlich gar nicht verstanden habe. Ein Spieler hat mich jedoch aufgeklärt – und schließlich habe ich meine ansonsten so distanzierte Position aufgegeben und bin zur Fankurve gegangen.

Mit dem Dänisch hapert es also noch ein wenig, aber wie darf man sich Ihre Ansprachen an die Mannschaft vorstellen? Oxford-Englisch mit schwäbischem Einschlag?
So ähnlich. Aber mein Wortschatz ist ganz ordentlich – und wenn mir mal ein Begriff nicht einfällt, dann ignoriere ich das einfach und spreche weiter.

Und ein Stück ihrer Emotionalität bleibt dabei nicht auf der Strecke?
Nein, die Spieler verstehen einen, vor allem wenn es emotional wird. Das hat man damals in der legendären Wutrede von Giovanni Trapattoni beim FC Bayern gesehen.

Auf was darf sich Hertha BSC in der Europa-League-Qualifikation also einstellen?
Wir wollen versuchen, mit unseren Mitteln die Berliner vor Probleme zu stellen – auch, wenn unser sportliches Niveau sicher nicht an das der Bundesliga heranreicht.

Wie man hört, wurden Sie auf einer Pressekonferenz von dänischen Journalisten schon gefragt, ob Sie mit Blick auf die Berliner ihre Spielweise nun ändern werden. Die Antwort soll ein Lächeln gewesen sein. Stimmt das?
Ja, und daran sehen Sie, dass ich schon – ganz nach dänischer Lebensart – ein Stück weit glücklicher bin.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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