Interview – Rudi Völler

„Der VfB ist ein Topclub“

Rudi Völler, Sportdirektor von Bayer Leverkusen, sieht den VfB Stuttgart als einen der Konkurrenten im Kampf um die Europacup-Plätze – wenn auch noch nicht sofort.

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Ein knitzer Fußballmacher: Sportdirektor Rudi Völler ist mit dem Bundesligisten Bayer Leverkusen auf dem Weg nach oben.

Bayer Leverkusen hat nach einem holprigen Saisonstart in die Spur gefunden und ist vor der Partie beim VfB Stuttgart seit neun Spielen ungeschlagen. Sportdirektor Rudi Völler freut sich aber nicht nur deshalb auf das Auswärtsspiel.

Herr Völler, wenn Sie am Freitag mit Bayer Leverkusen beim Vfb Stuttgart antreten, ­treffen Sie einen alten Bekannten.
Ja, und ich habe in dieser Woche auch schon mit Michael Reschke telefoniert.

Sie haben mit dem heutigen VfB-Sportvorstand in Leverkusen jahrelang zusammengearbeitet. 2014 haben sich Ihre Wege getrennt. Was ist geblieben?
Wir haben immer noch ein freundschaftliches Verhältnis – auch wenn wir uns jetzt zweimal im Jahr als Gegner begegnen. Aber das ist doch auch klar, wenn man so lange zusammengearbeitet hat wie wir beide.

Runde zehn Jahre waren das.
Genau. Und wir haben wirklich eine Menge Zeit miteinander verbracht, haben Spieler wieder und wieder gescoutet, haben uns besprochen, Entscheidungen getroffen und Transfers abgewickelt. Genau das, was ich heute mit Jonas Boldt tue.

Wie überrascht waren Sie, als Michael Reschke vom FC Bayern zum VfB Stuttgart ging?
Ein bisschen. Aber es ist ja auch eine reizvolle Aufgabe für jemanden, der als Jugendtrainer begonnen und dann lange Zeit eher in der Rolle des Zuarbeiters tätig war. Nun ist er in einer noch verantwortungsvolleren Position, das freut mich für ihn. Zumal der VfB ja auch ein Topclub ist.

Wie macht er sich denn in der ersten Reihe?
Ich finde, er schlägt sich bislang sehr gut – weil er intelligent und eloquent genug ist, diese Herausforderung zu meistern. Aber das klassische Scouting hat sich ja auch verändert.

Inwiefern?
Das Geschäft ist gläserner geworden, es gibt keine großen Geheimnisse mehr. Früher sind wir von Bayer Leverkusen nach Südamerika geflogen und kamen mit einem Brasilianer zurück, den in Deutschland noch keiner kannte. Das funktioniert heute kaum noch. Heute jagen viele Vereine den gleichen Spielern hinterher, alle Clubs beschäftigen dafür viele Mitarbeiter.

Wer oder was ist dann entscheidend?
Natürlich entscheiden heutzutage oft wirtschaftliche Dinge. Aber eben nicht nur. Wir in Leverkusen haben es oft geschafft, jungen Spielern klarzumachen, dass sie bei uns eine echte Chance haben zu spielen – anders als bei einem absoluten Spitzenverein in Europa. Gerade diese Überzeugungsarbeit ist auch eine Stärke von Michael Reschke.

Welche Qualitäten zeichnen ihn noch aus?
Er ist offen, direkt und ehrlich – auch, wenn ihm mal etwas nicht passt. Hart in der Sache, aber herzlich im Umgang, so könnte man ihn beschreiben. Und was seine Fachkenntnis angeht, nur so viel: Erkennen, dass ein 25-Jähriger gut Fußball spielt, das können viele. Die Entwicklung von Jugendspielern richtig einzuschätzen ist weitaus schwieriger. Dieses Auge hatte Michael schon immer.

Rudi Völler über den Sinn von zweiten Mannschaften

Im Bereich der Nachwuchsförderung hat Michael Reschke in Stuttgart eine Diskussion über den Sinn einer zweiten Mannschaft angestoßen. Sie kennen das Prozedere der Abmeldung aus Leverkusen . . .
. . . und das war sicher keine Entscheidung, die innerhalb eines Monats gefallen ist. Es war das Ergebnis eines mehrjährigen Prozesses und zahlreicher Diskussionen, die heute ja viele Vereine führen. Wir haben uns immer wieder gefragt: Was bringt uns die zweite Mannschaft?

Welche Antwort haben Sie schlussendlich gegeben?
Dass wir uns im Grunde für einen, vielleicht zwei hochtalentierte Spieler eine ganze Mannschaft mit über 20 Spielern Jungs. Das war uns die Sache nicht mehr wert, weil wir die richtig guten A-Junioren ohnehin mit langfristigen Verträgen ausgestattet und dann verliehen haben. Und bei denjenigen, die in der zweiten Mannschaft gespielt haben, hatten wir nicht das Gefühl, dass sie sich dort wirklich verbessern.

Ihr Urteil nach einigen Jahren?
Es hat für uns absolut Sinn ergeben, so zu handeln. Ich weiß aber auch, dass das anderswo ganz anders bewertet werden kann. Jeder Verein ist anders und muss für sich die richtige Richtung finden.

Rudi Völler über den Aufschwung in Leverkusen

Aktuell stehen viele dieser angesprochenen jungen Spieler in Ihrem Kader. Wo sehen Sie Ihr Team nach einem holprigen Saisonbeginn und einer tollen Serie von neun ungeschlagenen Spielen zuletzt?
Wenn du nach fünf Spielen vier Punkte hast, ist das sicherlich kein guter Start. Aber: Selbst in den Spielen, in denen wir nicht gepunktet haben, haben wir viele Dinge gut gemacht. Und jetzt haben wir erst recht das Gefühl, dass das passt zwischen der Mannschaft, den Coaches, den vielen jungen Spielern. Da ist eine Einheit – das hat uns in der vergangenen Saison ein bisschen gefehlt.

Was hat sich noch verändert?
Viel. Denn nach vielen sehr guten und einem schlechten Jahr hatten wir einfach das Gefühl, dass wir was verändern müssen. Wir haben für 80 Millionen Euro vier unserer Top-Spieler abgegeben und für 50 Millionen Euro eingekauft. Wir haben in Heiko Herrlich einen neuen Trainer geholt. Und wir haben jetzt eine neue Struktur in der Mannschaft. Das hat uns gut getan.

Sie haben zuletzt Heiko Herrlichs Mut gelobt. Was meinen Sie damit genau?
Da geht es um die Grundeinstellung der Mannschaft. Wir wollen früh attackieren und machen das auch – wenn auch nicht so weit vorn wir einst unter Roger Schmidt. Und wir wollen mit den jungen Spielern arbeiten, sie besser machen. Das halte ich für eine sehr wichtige Aufgabe eines Trainers, das muss jeder wissen, der zu uns kommt.

Einer, der zuletzt Schritte nach vorn gemacht hat, ist Stürmer Kevin Volland. Warum läuft es bei ihm im Gegensatz zur vergangenen Saison so gut?
Für Kevin ist im vergangenen Jahr Vieles unglücklich gelaufen. Er hat gleich eine Rote Karte gesehen, war lange gesperrt, dann verletzt. Es war einfach eine verkorkste Saison – für uns und für ihn. Aber von seinen Qualitäten und seinem Willen waren wir immer überzeugt. Nun hatte er früh in der Saison seine Erfolgserlebnisse, das hat sich auf sein Selbstvertrauen ausgewirkt.

Wo sehen Sie ihn in der Reihe der deutschen Stürmer – auch mit Blick auf die WM 2018?
Der Bundestrainer wird sicher schauen, wie die Jungs in ihren Clubs spielen. Kommen sie zum Einsatz? Erzielen sie Tore? Bereiten sie Treffer vor? Ich gehe davon aus, dass Kevin eine Chance hat, im kommenden Jahr dabei zu sein – aber die Konkurrenz auf seiner Position ist natürlich enorm. Da reden wir ja nicht mehr nur über die reinen Zentrumsstürmer.

Neun Tore hat Kevin Volland bereits erzielt . . .
. . . und wenn er die in der Rückrunde wieder macht und vielleicht sogar auf über 20 Treffer kommt, dann macht er Joachim Löw die Entscheidung richtig schwer.

Völler über die Qualität des VfB Stuttgart

Wie schwer wird für Bayer Leverkusen das Auswärtsspiel am Freitag in Stuttgart? Der VfB hat 2017 zu Hause noch kein Spiel verloren.
Auf diese Heim- und Auswärtsstatistik würde ich gar nicht so viel geben. Da waren Heimspiele dabei, die hätte der VfB auch verlieren können. Und es waren Auswärtsspiele dabei, die hätte die Mannschaft gewinnen können.

Bedeutet?
Dass es der VfB – wie Mitaufsteiger Hannover 96 – gut macht bisher.

Die Stuttgarter wollen auf Sicht wieder um die internationalen Plätze spielen – wie Bayer Leverkusen auch. Nehmen Sie den VfB schon wieder als Konkurrent in diesem Bereich wahr?
Auf Strecke gesehen, ja. Das Stadion, die Fans, die Sponsoren wie Daimler – in Stuttgart ist Vieles möglich, das muss man einfach so sehen. Doch bei all den Plänen sage ich auch: Das Tagesgeschäft kann gefährlich sein.

Glauben Sie, der VfB rutscht noch richtig hinten rein?
Eher nein. Denn die Mannschaft macht schon einen recht stabilen Eindruck.

Wie müsste das Spiel laufen, damit Sie Michael Reschke nach der Partie erst einmal nicht mehr freudig begegnen?
Klar ist: Wenn zwei Menschen ist den Positionen, die wir innehaben, für zwei unterschiedliche Vereine arbeiten, zählt erst einmal nur der eigene Erfolg. Danach geht das Leben aber auch weiter, weshalb ich sagen würde: Das kann am Freitag gar nicht passieren.

Quelle: Stuttgarter Zeitung


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