Die Mission des Thomas Hitzlsperger

Viele Fans des VfB Stuttgart fragen sich: Was macht eigentlich Thomas Hitzlsperger? Hier beschreibt er seine Rolle – und hofft auf Zustimmung auf der Mitgliederversammlung am Sonntag.

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Krawatte und Sakko statt Trikot und Stutzen: Thomas Hitzlsperger gehört beim VfB Stuttgart mittlerweile zum Führungskreis.

Mit Wahlen ist das so eine Sache. Man hat gewisse Vorstellungen, Prognosen und Hoffnungen. Aber weiß man genau, wie’s ausgeht? Nehmen wir den Mai 2007. Da stand ein gewisser Thomas Hitzlsperger zur Wahl, es ging um das „Tor des Monats“ – und für alle Fans des VfB Stuttgart war das eine klare Angelegenheit. Ecke Pavel Pardo, Volleyschuss von „Hitz“, den sie „The Hammer“ nannten, drin war die Kugel, Meister war der VfB. Was sollte da noch schiefgehen? „Leider haben wir eine Woche später das Pokalfinale verloren“, erinnert sich Hitzlsperger, „und das Nürnberger Siegtor war noch schöner.“ Jan Kristiansen hieß der Schütze. Der Cup war weg, die Medaille der „Sportschau“ auch. Blöd gelaufen, doch das Leben ging ja weiter. An diesem Sonntag nun steht Hitzlsperger wieder zur Wahl.

Der VfB bittet seine Mitglieder zur Versammlung – und der Mann, der einst in kurzen Hosen und Kickstiefeln durchs Stadion lief, sitzt nun bei den Oberen des Clubs in Hemd und Sakko. Und will weiter dort sitzen. „Mitglied des Präsidiums“ heißt das Amt, das Hitzlsperger seit Juli dieses Jahres bekleidet. Damals wurde er eingesetzt gemäß den neuen Strukturen nach der Ausgliederung. Nun geht es erstmals um das Votum der Mitglieder. Hitzlsperger will – wie auch der Unternehmensberater Bernd Gaiser – im Amt bestätigt werden. Andere wollen dagegen wissen: Was macht der „Hitz“ eigentlich beim VfB?

Sie kennen ihn als Spieler, der mit dem Nationalteam WM-Dritter und Vize-Europameister wurde. Sie kennen ihn aus dem Fernsehen, für die ARD war der 35-jährige Münchner zuletzt als Experte bei Länderspielen zu sehen. Und vor über einem Jahr, der VfB war gerade abgestiegen, sagte man ihnen: Thomas Hitzlsperger berät nun den Vorstand des Vereins. Bedeutet – was?

Wie Hitzlsperger seine Erfahrung weitergibt

„Die Leute fragen oft nach einer Bezeichnung“, weiß Hitzlsperger. „Ist er jetzt Sportmanager? Präsidiumsmitglied? Nachwuchsleiter?“ Scout, Repräsentant, das Ohr des Präsidenten nahe der Mannschaft – es kamen weitere Mutmaßungen hinzu. Und womöglich wusste er selbst nicht so genau, wie seine Rolle zu definieren sei. Der VfB war im Umbruch, die Zusammenarbeit mit dem früheren Sportchef Jan Schindelmeiser beruhte nicht gerade auf gegenseitigem Vertrauen – und wer es nicht gut meinte mit dem Ex-Profi, der fragte hämisch nach dessen Wohnort. Für gemeinhin wurde München dafürgehalten. Heute sagt Hitzlsperger voller Überzeugung: „Ich wohne in Stuttgart.“ Anders sei sein Fulltime-Job in Cannstatt auch nicht zu leisten. Und: „Ich bin total happy, wie es gerade läuft.“ Denn vieles ist nun klarer.

Mit der Ausgliederung bekam auch Hitzlspergers Rolle schärfere Konturen. Ehrenamtlich ist er Mitglied des Präsidiums – neben Bernd Gaiser und Präsident Wolfgang Dietrich. Im Hauptamt ist Hitzlsperger bei der VfB AG angestellt und kümmert sich um die Weiterentwicklung der Stuttgarter Toptalente. „Nachwuchs-Mentoring“ nennt sich das Tätigkeitsfeld, und wer als Proficlub einen wie Hitzlsperger bieten kann, hat nicht nur bei der Zertifizierung des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) gute Karten, sondern womöglich auch bei jenen, die der Verein langfristig binden will: bei den besten Talenten.

„Ich war von sieben bis 18 im NLZ des FC Bayern, ich kann also sehr gut nachempfinden, was die Jugendspieler bewältigen müssen“, zählt Hitzlsperger seine Trümpfe auf, „dann bin ich Profi geworden – das ist das, was die Jungs wollen.“ Und auch, wenn es darum geht, wie eine Familie damit zurechtkommt, wenn der Kleine nun beim großen VfB spielt, bietet der Ex-Nationalspieler Einblicke: „Ich habe ja sechs ältere Geschwister.“ Hitzlsperger weiß viel, ist aber auch noch ein Lernender.

Wie die Talente heute ticken

„Eine Vielzahl von Spielen“ habe er sich im Jugendbereich angeschaut, viele Gespräche hat er geführt mit der NLZ-Leitung, dem Nachwuchschef Marc Kienle, dem Sportchef Michael Reschke, den Jugendtrainern. Oberstes Ziel jeweils: herauszufinden, wie er einer überschaubaren Zahl von Hochbegabten noch mehr Hilfe bieten kann, als es der Verein schon tut.

„Junge Spieler haben heute das Ziel, Profi zu werden – die Profimannschaft des VfB ist für den einen oder anderen nur ein Zwischenziel auf dem Weg zu den ganz großen Clubs Europas“, hat der Mentor festgestellt, „durch die Möglichkeit, quasi alle Spiele auf der Welt sehen zu können, haben die Kinder auch internationale Vorbilder. Auch sie sind globaler aufgestellt. Damit muss man umgehen, gleichzeitig muss man ihnen klarmachen, dass der Weg über den VfB führen kann und wir viel zu bieten haben.“ Das will Hitzlsperger „herausarbeiten“, wie neulich bei einem Vortrag für die Eltern der Spieler von der U 11 bis zur U 14. Er sei richtig gut rübergekommen, heißt aus dem Kreis der Zuhörer. Auch anderswo ist man angetan.

„Thomas Hitzlsperger ist ein Riesengewinn für den VfB“, sagt etwa Dieter Göggel. Seit vielen Jahren ist er der Macher der Leichtathletikabteilung des Clubs. Und wie seine fünf Kollegen aus den anderen Sparten des VfB hat er zu Beginn des Jahres in das eine oder andere besorgte Gesicht geschaut. In der Diskussion über die Ausgliederung der Profikicker war durchaus die Furcht spürbar, die übrigen Abteilungen verlören an Bedeutung. Heute sagt Göggel: „Durch die aktuelle Konstellation sind die Abteilungen aufgewertet worden.“ Durch Hitzlsperger (Göggel: „Ein guter Typ ohne Allüren“), der sich um die Leichtathleten, die Schiedsrichter und die Garde kümmert, aber auch durch Bernd Gaiser.

Wie der VfB neue Investoren sucht

Der Unternehmensberater aus Botnang sitzt wie Hitzlsperger seit Mitte Juli im VfB-Präsidium, davor war er in einem Mitgliederausschuss aktiv – nun ist er Gast bei Hockeyspielen, bei der Weihnachtsfeier der Tischtennisabteilung, bei Events der Faustballer. Er sagt: „Der VfB ist der größte Sportverein in Baden-Württemberg. Wir haben eine riesige Mitglieder- und Fanbasis, die auf viel Beachtung stößt. Wir haben aber auch die Verantwortung, den Breitensport weiter zu fördern.“

Hitzlsperger war Profi, lernt den Verein derzeit nach und nach besser kennen und versteht, was alles dazugehört – zum Beispiel, wenn er der Gedenkfeier am Totensonntag beiwohnt. Gaiser war immer Breitensportler und erklärt, wie schon jetzt die Abteilungen von den steigenden Mitgliederzahlen finanziell profitieren. Doch auch er kann weiteres Wissen einbringen.

Als zweiter Vertreter des e. V. neben Präsident Dietrich sitzt Gaiser, einst bei Recaro und Horvarth & Partners in leitenden Funktionen tätig und heute selbstständiger Unternehmensberater, im Aufsichtsrat der VfB AG. „In Finanz- und Strategiefragen von Unternehmen kenne ich mich aus“, sagt er und ist mit einem Team derzeit damit betraut, weitere mögliche Investoren zu identifizieren. „Das richtige Anforderungsprofil haben wir definiert, demnächst gehen wir auf potenzielle Investoren als Partner zu.“ Im kommenden Jahr soll ein weiterer strategischer Partner gefunden sein, neben dem finanziellen Beitrag soll er dem VfB „Beiträge zur Strategieumsetzung“ bieten. „Und der Partner muss zu uns passen“, ergänzt der 56-Jährige, „Vermarktung, Digitalisierung, Internationalisierung – es geht um einen Mehrwert für den VfB. Ein klassischer Fonds, der nur Finanzmittel investiert, erfüllt diese Kriterien nicht.“ Einen Mehrwert bietet auch Hitzlsperger.

Zumindest sehen sie beim VfB so seine Auftritte im TV und als Botschafter für Vielfalt beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). „Interessenkonflikte sehe ich keine“, sagt Hitzlsperger über seinen TV-Job. „Ich lerne beim VfB täglich dazu, in allen Bereichen des Fußballgeschäfts, das ist für den Fernsehzuschauer sicher von Vorteil. Ich scheue mich auch nicht, Dinge kritisch anzusprechen.“ Und auch zeitlich sei der Aufwand überschaubar, abgesprochen sowieso. „Seine Präsenz hilft dem Verein“, behauptet der Clubchef Dietrich. Die Wertschätzung ist auch anderswo groß.

Was man bei der ARD von Hitzlsperger hält

„Wir waren mit seinen Leistungen als Gastexperte sehr zufrieden“, sagt etwa ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky. Was das für die Zukunft bedeutet? Man mache sich derzeit Gedanken. Im nächsten Jahr muss die WM-Berichterstattung aus Russland personell besetzt werden. Hitzlsperger sagt: „Möglich, dass ich im Rahmen der WM für die ARD tätig sein werde. Aber in welchem Umfang, das kann ich jetzt noch nicht sagen.“ Dass er fünf Wochen lang in Russland vor der Kamera steht, ist aber zumindest für Wolfgang Dietrich ausgeschlossen: „Priorität hat seine Aufgabe beim VfB.“

Thomas Hitzlsperger wird in Stuttgart gebraucht, der VfB will vorankommen. In der Bundesliga, aber vor allem im Nachwuchsbereich, wo der frühere England-Legionär für sich ein ideales Betätigungsfeld gefunden hat. „Ganz bewusst“ habe er sich dafür entschieden, sagt er und hofft am Sonntag wie Bernd Gaiser auf eine Bestätigung seiner Entscheidung. Beide wünschen sich die Wertschätzung der Mitglieder. Also: eine erfolgreiche Wahl und ein Amt für weitere vier Jahre – und nicht „nur“ ein Tor des Monats.

Quelle: Stuttgarter Zeitung


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