Die kreative Armut lähmt den VfB



Die letzte ihrer zahlreichen Grausamkeiten hatten sich die Profis vom Cannstatter Wasen für den Schluss aufgehoben. Es lief die 90. Minute, das Tabellen-Schlusslicht VfB hatte wieder Eckball, und draußen auf den Rängen regte sich noch einmal Hoffnung. Hoffnung auf ein Happy End: Alle Mann nach vorn, das musste es doch sein, das ersehnte Siegtor! Und dann das: Der Ball segelte herein, im Strafraum herrschte Verwirrung, und nach zwei, drei Stationen hatte es der VfB doch tatsächlich geschafft, den Ball unterzubringen – beim eigenen Torwart. So nachlässig, zuweilen schon wurschtig, ging die Mannschaft mit ihren Chancen und mit ihrem Spiel nach vorn um, das höheren Ansprüchen nicht genügt. Zum Dank gab es Pfiffe vom ebenso gelangweilten wie entnervten Publikum. Und als die Regie auf der Videowand die Tabelle einblendete, mit Platz 16 als aktueller Visitenkarte des VfB rot markiert, kam höhnisches Gelächter auf.

Es ist die gleiche Mischung aus Empörung und Hilflosigkeit, die dem weiß-roten Anhang seit Jahren zum Start in eine neue Saison das Leben schwermacht. Geht das denn schon wieder los? Nein, es geht nicht los – der VfB steckt schon wieder gehörig in der Bredouille. Ein Punkt und ein Tor aus drei Spielen sind herzlich wenig, und wer die Darbietung gegen den defensiv eingestellten, aber keinesfalls chancenlosen Neuling analysiert, der kommt unweigerlich zu dem Schluss: In dieser Form benötigt der VfB noch länger ein Fernglas für den Blick auf die einstelligen Plätze.

„Den Start haben wir uns anders vorgestellt.“

Das dämmert den Spielern allmählich auch, wobei es bei den Analysen in der dritten Halbzeit fast schon amüsant zu hören war, wie einige (vereins-)politisch korrekt die Lage in Rosarot tünchten, ehe sie ein paar Schritte weiter doch noch Realitätssinn erkennen ließen. Allen voran Sven Ulreich. „Ihr malt jetzt wieder alles schwarz“, sagte der Torhüter zu den Journalisten und beharrte darauf, „über weite Strecken ein gutes Spiel von uns“ gesehen zu haben. Später gab er zu: „Wir wollten gewinnen, aber was wir gezeigt haben, war zu wenig. Den Start haben wir uns anders vorgestellt. Aber die Tabelle sagt jetzt noch gar nichts aus.“

Das gute Spiel des VfB beschränkte sich auf jene Phasen, in denen die tief stehenden Gäste ihm Raum und Zeit ließen – also bis zum Strafraum. Sobald es eng wurde und Ideen gefragt waren, um das Bollwerk zu knacken, war der VfB mit seinem Latein am Ende. Aus dem Mittelfeld kam nichts Belebendes, immer wieder rannte sich die Mannschaft in der Mitte fest, und die Außenstürmer verzichteten auf Positionswechsel, die dem Gegner hätten Rätsel aufgeben können. Die kreative Armut lähmt den VfB. „Ich hatte nie das Gefühl, dass wir das Tor machen wollten. Wir waren vorne nicht aggressiv genug“, sagte Zdravko Kuzmanovic, und Bruno Labbadia sprach Altbekanntes an: „Wir haben manchmal zu umständlich vor dem Strafraum gespielt. Uns fehlen Zielstrebigkeit und Genauigkeit vor dem Tor.“

Konkurrenzkampf nur in Maßen

Dass dies am „sehr hohen Erwartungsdruck“ (Georg Niedermeier) liegen könnte, lässt Manager Fredi Bobic nicht gelten: „Damit müssen die Spieler klarkommen.“ Die Ausfälle von Tim Hoogland und Cristian Molinaro hätten die Mannschaft aus dem Tritt gebracht, betonte Labbadia, doch das galt nicht für die zweiten 45 Minuten. Mangelnde mentale Frische nach der Länderspielwoche entwertete Maza als Argument: Der Mexikaner war erst am Freitag zurückgekehrt und bester Mann beim VfB.

Mehr noch: Dass Cacau als Stoßstürmer wenig Durchschlagskraft besitzt, ist bekannt. Aber im ganzen Kader fand Labbadia keinen Spieler, der diese Rolle übernehmen oder Cacau in einem 4-4-2-System assistieren konnte. Auf der rechten Abwehrseite musste William Kvist aushelfen, weil Gotoku Sakai nach Olympia und Länderspielreise geschont wurde. Zudem findet Konkurrenzkampf nur in Maßen statt, weil die Reservisten kaum nach vorn drängen – wenn doch, fallen sie nicht positiver auf als die anderen. Angesichts solcher Engpässe zuckt Labbadia mit den Schultern: „Wir wissen, dass der Kader dünn besetzt ist.“ So verwaltet der VfB den Mangel – der Vorstand den finanziellen, der Trainer den sportlichen.

Solange es Labbadia nicht gelingt, wie in der vergangenen Rückrunde aus dem Wenigen das Optimale zu machen, sind große Sprünge nicht drin. „Wir stehen erst am Anfang der Saison, aber wir dürfen unsere Situation nicht auf die leichte Schulter nehmen“, warnt Christian Gentner, „uns erwartet viel Arbeit.“ Wobei das relativ ist bei vier Spielen in den nächsten zwölf Tagen. Da ist die Regeneration nicht weniger wichtig.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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