Patient VfB: Was könnte jetzt noch Heilung versprechen?



Zum Beginn der neuen Trainingswoche setzte Bruno Labbadia ein freundliches Gesicht auf, blinzelte in die Sonne und marschierte unverdrossen auf den Platz: „Wir arbeiten weiter an den Dingen, wir bleiben stetig dran.“ Das ist lobenswert, aber leichter gesagt als getan – wie der enttäuschende Start in die neue Saison unterstreicht. Mit einem Punkt aus drei Bundesligaspielen steht der VfB schon wieder mächtig unter Druck. Und das umso mehr, als die Rivalen null Rücksicht auf die Befindlichkeiten des schwäbischen Mitbewerbers um die internationalen Plätze nehmen, im Gegenteil: Je mehr sie personell aufrüsten und je länger der VfB die Ausgabenseite deckelt, umso mehr wächst die Kluft zwischen beiden Seiten. Das könnte bedeuten, dass die Konkurrenz den VfB über kurz oder lang abhängt. Der Faden ist bereits hauchdünn. Reißt er ab, könnte das weitreichende Folgen für den VfB haben.

Deshalb gilt es für den Patienten VfB mittel- und erst recht kurzfristig, seine Selbstheilungskräfte so zu stärken, dass er nicht länger darniederliegt. Ein Patentrezept gibt es nicht, doch zuweilen schaffen schon die üblichen Hausmittelchen wie Einzelgespräche, Lockerheit, Mut und konzentriertes Training rasche Abhilfe. Auf längere Sicht dürften härtere Maßnahmen nötig sein.

Es vergeht praktisch kein Tag, an dem Präsident Gerd Mäuser nicht die leeren Taschen seiner Hose nach außen dreht, um auf diese Weise auf die angespannte Finanzlage beim fünfmaligen deutschen Meister hinzuweisen. Der Spielraum ist in vielerlei Hinsicht weitgehend ausgereizt. 2011 kam der VfB bei seinen Heimspielen auf einen Schnitt von 54.406 Zuschauern. Das bedeutet Platz acht in Europa, mehr geht nicht. „Diese Quelle ist ausgeschöpft“, sagt Mäuser, „wir können ja kein zweites Stadion bauen.“ Im Marketingbereich liegt der VfB gut im Rennen. „Auch da ist die Grenze des Wachstums erreicht“, sagt Mäuser, der zuletzt Mühe hatte, einen attraktiven Trikotsponsor zu finden. Über die medialen Verwertungsrechte fließen jährlich 27 Millionen Euro auf das Vereinskonto. Mit dem neuen Fernsehvertrag werden es rund sechs Millionen Euro mehr sein, allerdings tritt die Vereinbarung erst zur Saison 2013/14 in Kraft.

Unter den gegebenen Umständen jedenfalls ist der VfB in seinem 4-2-3-1-System gefangen

Weil den Verein noch teure Abschreibungen diverser Spieler belasten, hat die Kürzung des Gehaltsvolumens für den Lizenzspielerkader von einst 67 auf 47 Millionen Euro zwar eine spürbare Erleichterung gebracht, Entwarnung geben die Clubstrategen aber nicht. Vor der Saison sparte der VfB in diesem Bereich weitere Millionen ein und leistete sich gerade mal 300.000 Euro für die Schalker Leihgabe Tim Hoogland. Tunay Torun kam ablösefrei von Hertha, wobei über die Qualitäten der beiden noch reichlich Ungewissheit herrscht.

Das alles geht zulasten der sportlichen Substanz und führt dazu, dass das Wohl und Wehe der Mannschaft allzu sehr von einzelnen Spielern abhängt. Beispiel Vedad Ibisevic: Der Bosnier fehlte beim dürftigen 0:0 gegen Aufsteiger Fortuna Düsseldorf wegen seiner Rotsperre, prompt kam es in Ermangelung adäquater Platzhalter zum Notstand an vorderster Front. Da rächte es sich, dass der Abgang von Julian Schieber zu Borussia Dortmund nicht kompensiert wurde. Cacau ist als Stoßstürmer jedenfalls keine Lösung. Das weiß auch Bruno Labbadia, trotzdem ging er den untauglichen Kompromiss ein. Dabei ist es seine Aufgabe, kurzfristig nach brauchbaren Alternativen zu fahnden oder mittelfristig Spieler an diese Aufgabe heranzuführen. Dazu ist ein Schuss Mut nötig. Dass Labbadia darüber verfügt, hat er noch nicht überzeugend nachgewiesen. Unter den gegebenen Umständen jedenfalls ist der VfB in seinem 4-2-3-1-System gefangen, das auf Ibisevic zugeschnitten ist. Zum Vergleich: Ein Rivale wie der FSV Mainz 05 spielt gegen den FC Bayern abwechselnd drei Systeme – und das problemlos.

„Das eine Talent hat noch technische Schwächen, das andere macht noch zu viele individuelle Fehler“

Was Serdar Tasci für die Spieleröffnung bedeutet, zeigt sich vor allem dann, wenn er wie gegen Düsseldorf ausfällt. Stolz verweist Manager Fredi Bobic darauf, dass alle Positionen doppelt besetzt sind, doch was heißt das schon? Ob Arthur Boka oder Cristian Molinaro als linker Verteidiger, Christian Gentner oder Zdravko Kuzmanovic im zentralen Mittelfeld und Shinji Okazaki oder Ibrahima Traoré im linken Mittelfeld spielen, macht keinen großen Unterschied.

Spieler wie Martin Harnik, Tamas Hajnal und William Kvist sind gesetzt, intern ist der Konkurrenzkampf weitgehend ausgesetzt. Stillstand aber bedeutet Rückschritt. Um den Standard nur zu halten, muss sich der VfB immer mehr nach der Decke strecken.

Um sich von seinen Zwängen einigermaßen zu befreien, bleiben dem VfB im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Er muss dafür sorgen, dass mehr Einnahmen sprudeln – das ist, siehe oben, kaum möglich. Oder er muss wie in der Vergangenheit sein Reservoir an eigenen Talenten ausschöpfen und die Besten von ihnen gewinnbringend verkaufen – wie Kevin Kuranyi, wie Andreas Hinkel, Mario Gomez, Sami Khedira oder Bernd Leno. Das Dumme ist nur, dass in der jüngeren Nachwuchsgeneration kein einziger derart talentierter Spieler in Sicht ist. Weder Raphael Holzhauser noch Kevin Stöger und selbst Antonio Rüdiger, der vom DFB als bundesweit Bester seines Jahrgangs ausgezeichnet wurde, genügen den Ansprüchen. „Das eine Talent hat noch technische Schwächen, das andere macht noch zu viele individuelle Fehler“, sagt Labbadia – eine Meinung, die er intern keineswegs exklusiv hat. Zufall oder nicht: Seit der ehemalige VfB-II-Trainer Rainer Adrion die Junioren des DFB betreut, hat der Verein ein Nachschubproblem. Das ist fatal. Angesichts jährlicher Ausgaben von fünf Millionen Euro für den Jugendbereich drängt sich die Frage auf, ob der VfB seit Jahren nicht in die falschen Talente investiert hat.

So lebt der Verein weitgehend vom Prinzip Hoffnung, was wenig ist für den unbarmherzigen Konkurrenzkampf im Haifischbecken Bundesliga. Der VfB muss zumindest in der Europa League dauerhaft einen Platz ergattern. Der Zug in die Champions League scheint abgefahren. Dahinter formiert sich in Hannover, Mönchengladbach und weiteren Standorten neue Konkurrenz. Keine Frage, es wird nicht einfacher.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


Mummi [Linked Image]