VfB Stuttgart bei Standardsituationen

Vorne top, hinten ein Flop

Es ist ein Kreuz mit den gegnerischen Standards: Der VfB hat sie seit Jahren nicht im Griff – unabhängig vom Trainer. Erklärungen fallen schwer. Erst recht, weil eigene Standards eine Waffe sind.


Gegentor nach Freistoß: Peter Niemeyer (rechts) gegen VfB-Torhüter Przemyslaw Tyton.

Da war sie wieder, die unheilvolle Nachlässigkeit bei Standardsituationen. In Darmstadt führte der VfB vergangenen Samstag mit 2:1, als die Lilien einen Freistoß traten. Gegnerische Standardsituationen bedeuten für den VfB in aller Regel: Alarmstufe eins! Gut zu wissen. Dumm nur, wenn es trotzdem nichts nützt. Peter Niemeyer stieg zum Kopfball hoch und traf zum 2:2 – wieder zwei Punkte verschenkt.

Das war ärgerlich – und umso ärgerlicher, als Missgeschicke dieser Art schon der Regelfall beim VfB sind. Siehe drei Wochen zuvor das 3:3 beim FC Ingolstadt. Da kam Mathew Leckie nach einem Freistoß freistehend zum Kopfball und traf zur 2:1-Führung für den Neuling, die Dario Lezcano wenig später ausbaute – per direktem Freistoß. „Das war unnötig“, schimpfte Trainer Jürgen Kramny, „weil wir die Situationen, die zu den Freistößen geführt haben, durch eigene Ungeschicktheit verursacht haben.“

Oder das 1:2 gegen Hannover 96: Nach einem Freistoß von Hiroshi Kiyotake köpfte Christian Schulz den Ball zum 1:1-Zwischenstand ein. Kurz vor Schluss fiel Hannovers Siegtreffer – wieder durch Schulz, wieder nach einem Freistoß von Kiyotake.

Nur Werder Bremens Abwehr ist noch löchriger

So geht das seit Wochen. Oder besser: seit Jahren. „Neun Gegentore nach Standards sind Wahnsinn“, schimpfte Trainer Armin Veh im November 2014. Mitte Dezember waren es schon 13 Gegentore, am Saisonende mehr als 20. Jetzt steht der VfB schon wieder bei 16, Tendenz steigend – nur Werder Bremen ist mit 18 Gegentoren bei Freistößen und Eckbällen noch löchriger. Der Durchschnitt der Liga liegt übrigens bei zehn.

Das Paradoxe an der Sache: So hilflos sich der VfB bei Standards in der Defensive anstellt, so überragend agiert er bei ruhenden Bällen nach vorn. Daraus resultierten schon 15 Saisontreffer – ligaweit die meisten. Auch hier liegt der Schnitt bei zehn, auch hier liegt Werder Bremen in der Spitzengruppe.

Zwei Clubs, ein Problem bei Standards: vorne top, hinten ein Flop.

Die Stärke im Angriffsspiel ist relativ einfach zu erklären. Zum einen hat der VfB einige Spieler mit dem nötigen Gefühl, den Ball maßgerecht zu servieren, zum anderen hat er zwei, drei Varianten auf Lager, außerdem hat er einige exzellente Schützen.

Hinten wird es schon schwieriger. Liegt es daran, dass die Innenverteidiger lange Kerle, aber keine ausgesprochenen Riesen sind – Toni Sunjic 1,92 Meter, Georg Niedermeier 1,90, Daniel Schwaab 1,87, Timo Baumgartl 1,90? Doch was sollen dann die Bremer sagen? Jannik Vestergaard misst 1,98 Meter, Papy Djilobodji 1,93, und Santiago Garcia und Alejandro Galvez haben ebenfalls eine Neun hinterm Komma stehen. Da kommen dann schnell Faktoren wie Konzentration, Qualität und Mentalität ins Spiel.

Jürgen Kramny trainiert am liebsten ohne Spione

Auch Mechanismen und Abläufe spielen eine Rolle – wie Jürgen Kramny weiß. Bevorzugt in den Trainingseinheiten ein, zwei Tage vor Spielen lässt er Gegenstandards üben. Nicht zuletzt, weil dann keine Zuschauer zugelassen sind – und damit auch keine möglichen Spione des nächsten Konkurrenten.

Inhaltlich lässt sich das Abwehrverhalten, auch bei gegnerischen Standards, auf drei Arten üben: mit Manndeckung, mit Raumdeckung oder mit einer Mixtur aus beidem. Bei der Manndeckung steht der Verteidiger mit dem Rücken oder seitlich zum eigenen Tor. Wenn dann der Gegner einen indirekten Freistoß bekommt, ist er im Nachteil, weil sein Gegenspieler häufig mit Tempo ankommt und auch höher abspringen kann. Bei Raumdeckung kann die verteidigende Mannschaft diesen Vorteil leichter ausgleichen, solange der Verteidiger das „Stehen im Raum“ nicht zu wörtlich nimmt: Auch als Raumdecker muss er aus der Bewegung heraus agieren, sonst ist der Gegner wieder im Vorteil. Deshalb praktizieren viele Teams eine Mischform, in der einige Spieler im Raum und andere direkt gegen die stärksten Kopfballspieler des Gegners verteidigen.

Damit das klappt, hilft nur eines: immer wieder üben. Huub Stevens, der Verfechter der kontrollierten Defensive, wusste auch kein besseres Mittel. Als VfB-Trainer schlug er mal vor: „Vielleicht sollten mal unter die Fußballschuhe höhere Nocken schrauben.“ Versucht hat er es nie – aus gutem Grund.

Quelle: Stuttgater Nachrichten


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