Bundesliga

Suche nach dem Funken der Hoffnung

Es zählt zu den zweifelhaften Vergnügen einer Mannschaft, sich die Tabelle vom Ende her anzuschauen. Weshalb sich der VfB Stuttgart geschlossen verweigert. Eine Therapie, die häufig zum Einsatz kommt – wenn sonst nichts mehr hilft.


Manchmal hilft nur noch Zynismus: Glaubensbekenntnis eines VfB-Fans

Weil Zweifel zum Glauben gehören wie die Nacht zum Tag, haben die frommen Brüder vom Cannstatter Wasen ein wachsendes Problem: Sie versprechen dem Patienten die Aussicht auf Heilung für den Fall, dass er möglichst wenig von seiner Krankheit spricht. Das hört sich gut an, wird aber schwierig, wenn der Blick auf dessen Blessuren fällt. „Ich kann nicht jammern, ich muss Vertrauen ausstrahlen“, sagt Doktor Huub Stevens, „es ist nicht wichtig, wo wir jetzt stehen. Ich bin hier, um das hinzukriegen.“ Eine Wunderheilung ist aber nicht in Sicht.

Dass der VfB Stuttgart nach dem 0:2 gegen den FC Bayern München mal wieder vom Ende der Tabelle grüßt, mögen die weiß-roten Jünger noch als zeitweilige Unpässlichkeit verkraften. Die Gewissheit dagegen, dass die Glaubensbrüder in kurzen Hosen dieselben so voll haben, dass sie seit 554 Minuten in der Mercedes-Benz-Arena nicht mehr ins gegnerische Tor getroffen haben, ist in etwa so stimmungstötend wie Beischlaf ohne Sex. „Wir wissen, wo wir stehen. Wir müssen die Spiele gegen die direkte Konkurrenz gewinnen“, fordert Torhüter Sven Ulreich. Was im Kern ein ziemlich nachvollziehbarer Gedanke ist.

Die Heimbilanz mit fünf Punkten und 4:19 Toren ist allerdings die schlechteste der Liga. Den letzten Sieg vor eigenem Publikum schenkte dem VfB Stuttgart die Auswahl von Hannover 96 (1:0, am 27. September 2014). Spötter fragen: Warum hat den Niedersachsen eigentlich noch niemand die Ehrenmitgliedschaft angetragen?

Unter diesen Umständen betrachtet, wäre es nur logisch, wenn die Herren des roten Brustrings eine übersichtliche Zahl von Zuschauern vor Heimspielen per Handschlag begrüßen könnten. Trotzdem verfolgen noch immer rund 40 000 Unverdrossene pro Heimspiel den drohenden Untergang der schwäbischen „Titanic“. „Die Fans im Stadion sind ja auch prima“, sagt VfB-Coach Huub Stevens, „aber die Stimmung um den Verein ist immer so negativ.“

Eine Ambivalenz der Emotionen, die auch damit zu tun haben könnte, dass die Fans vor Ort selbst Teil eines Schauspiels sind, das sie sich (noch) nicht gänzlich verderben wollen. Und dass die gefühlsmäßig nicht ganz so tief verstrickte Kundschaft auf Haupttribüne und Gegengerade mehr denn je auf der Suche ist nach dem Fünkchen Hoffnung, das die Leidenschaft für den Club ihres Herzens neu entfachen könnte. „Ich glaube an die Spieler“, sagt der Trainer. Gut möglich aber, dass es in dieser Hinsicht bald einsam um ihn wird.

Wer nach Spielschluss in den Kneipen rund ums Stadion gelegentlich mit der weiß-roten Trauergesellschaft seine Enttäuschung betäubt, wird das rasant wachsende Missverhältnis spüren zwischen der seit Jahren vereinsamtlich verordneten Zuversicht und dem tatsächlichen Geschehen auf dem Rasen. Eine Perspektivlosigkeit, die der Stimmung eine bleierne Schwere gibt.

„Ein dreckiger Sieg“, sagt der Trainer, „würde uns mal helfen.“ Weshalb seine Schutzbefohlenen gut daran täten, gelegentlich mutig den Weg in die Problemzonen des Gegners zu suchen. Solange aber die Angst vor dem nächsten Fehler alles Handeln dominiert, ist der VfB Stuttgart für die Abwehrreihen der Konkurrenz so bedrohlich wie eine Pistole ohne Kugel.

„Körpersprache und Zweikampfführung“, sagte Sportvorstand Robin Dutt nach der Niederlage gegen die Bayern, „haben gestimmt.“ Die Mannschaft habe gekämpft und gut gestanden, ergänzte der Coach. Immerhin. Man ist ja bescheiden geworden in diesen schweren Zeiten.

Weil aber Spiele nur gewinnen kann, wer mindestens ein Tor mehr erzielt als sein Gegenüber, ist es womöglich an der Zeit, dass auch der Bundes(liga)-Verteidigungsminister Huub Stevens noch einmal unaufgeregt seine Maxime überdenkt, wonach gegen jeden Gegner nur die volle Dosis Abwehrkraft die optimale Wirkung verspricht. Zwar wird der Niederländer achselzuckend entgegnen, dass es keinem seiner Spieler verboten ist, ein Tor zu schießen. Diese Haltung vernachlässigt allerdings das mentale Signal, das von einer Formation ausgeht, in der sieben bis acht Defensivspezialisten die Richtung des Spiels diktieren.

Eine Art von „Aufbruchstimmung“ wünscht sich Huub Stevens, was verständlich ist. „Wir dürfen den Kopf nicht hängen lassen“, fordert der Niederländer. Aber nach den Krisenjahren, in denen stets unerschütterliche Fans die kreativen Nichtabstiegskräfte mobilisierten, liegt zumindest der Gedanke nahe, dass diesmal der Verein und die Spieler diejenigen sein könnten, von denen eine Initialzündung im Kampf um den Klassenverbleib ausgehen sollte. Bisher präsentiert sich der Verein aber so gänzlich uninspiriert wie seine Mannschaft.

„Wir sollten Taten sprechen lassen, nicht Worte“, sagte Sportvorstand Robin Dutt bei seinem Dienstantritt.

Nur anfangen müsste halt mal einer.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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