Experte Hamann über Stuttgart:

VfB Stuttgart stürzt mit Alexander Zorniger ins Verderben

Unter Trainer Alexander Zorniger stürzt Stuttgart derzeit ins Verderben, zuletzt beim 3:4 in Leverkusen. SPIEGEL-ONLINE-Experte Dietmar Hamann hegt Zweifel an der Ligatauglichkeit der VfB-Defensive.


VfB-Trainer Zorniger: Sucht Stuttgarts Glück in der Flucht nach vorne

Zur Person
Dietmar "Didi" Hamann (Jahrgang 1973) gab 1993 sein Bundesligadebüt für den FC Bayern. Fünf Jahre später wechselte er in die Premier League, wo er für Newcastle United, den FC Liverpool und Manchester City spielte. Hamann absolvierte 59 Länderspiele und wurde 2002 Vizeweltmeister. Heute lebt er in der Nähe von Manchester, arbeitet als Experte für den Sender Sky und kommentiert für SPIEGEL ONLINE regelmäßig Entwicklungen in der Bundesliga und im internationalen Fußball.

Großes Spektakel am zehnten Spieltag der Fußballbundesliga: Trotz 2:0- und 3:1-Führung unterlag der VfB Stuttgart bei Bayer Leverkusen 3:4. Wie so oft in dieser Saison investierte die Mannschaft von Trainer Alexander Zorniger extrem viel, zeigte ansehnlichen Offensivfußball, attackierte fast pausenlos und stand nach 90 Minuten dennoch mit leeren Händen da.

Durch die siebte Pleite im zehnten Spiel landet der VfB auf Relegationsplatz 16 und hat mit 23 Gegentoren die schlechteste Defensive der Liga. Dennoch gab es vom Trainer wieder Lob für den Auftritt seines Teams: "Wir waren über 90 Minuten mindestens gleichwertig." SPIEGEL-ONLINE-Experte Dietmar Hamann analysiert Zornigers Situation in Stuttgart.

Wieder sehr ansehnlich gespielt, wieder kein Ertrag, Tabellenplatz 16. Stuttgart hat gegen Bayer Leverkusen trotz 3:1-Führung 3:4 verloren. Wie sehen Sie die Situation beim VfB?

Trainer Alexander Zorniger versucht immer noch, seine neue, offensive Philosophie zu verteidigen. Aber irgendwann muss auch er erkennen: Wenn seine Mannschaft ständig drei oder vier Tore kassiert, dann kann man schwer Punkte holen. Ich nehme aber auch die Spieler in die Verantwortung. Denn wenn der VfB in Leverkusen 20 Minuten vor Schluss 3:1 führt, ist eine Niederlage eigentlich unmöglich. Da frage ich mich schon, ob Viererkette und zentrale Mittelfeldspieler erstligatauglich sind. Der Trainer kann eben manchmal nicht mehr eingreifen. Ich glaube kaum, dass Zorniger bei einem 3:1 in Leverkusen sagt: "Männer, wir wollen jetzt auch noch das vierte und das fünfte Tor schießen."


Stuttgarts Klein (r.) und Schwaab: Nicht erstligatauglich gegen Leverkusen

Was muss der Offensiv-Junkie Zorniger zwingend ändern?

Offensiv ist Stuttgart für mich nach Bayern, Dortmund, Wolfsburg, Leverkusen und Schalke die am besten besetzte Mannschaft. Aber es fehlt die Balance.

Das heißt?

Der Spagat, sich verstärkt auf die Defensive zu kontrollieren, ohne offensiv Qualität zu verlieren, ist schwer aber zwingend nötig. Denn da hat der VfB in den ersten zehn Spielen kläglich versagt. Dazu muss Zorniger überlegen, ob er im Winter noch Neue holen kann, die ihm defensiv mehr Stabilität geben. Aber die Schuld kann nicht immer nur beim Trainer gesucht werden.

Das kompromisslose Vorwärtsverteidigen ist doch Zornigers ausdrücklich vorgegebenes Konzept.

Wenn ich als zentraler Mittelfeldspieler in der Mannschaft stehen würde und wir führen 20 Minuten vor Schluss 3:1, dann würden Sie mich kein einziges Mal in der gegnerischen Hälfte finden. Da könnte mir der Trainer erzählen, was er will.

Stuttgarts Hinrunden-Restprogramm hat noch Bayern, Dortmund und Wolfsburg zu bieten.

Bis zur Winterpause sollte der VfB auf mindestens 15 Punkte kommen. Aber dafür müssen sie gegen die Top-Klubs weniger wild auftreten. Wie gefestigt eine Mannschaft ist, erkennt man immer auch daran, wie sie einen Vorsprung verteidigt. Das hat mich bei Herthas 1:0-Sieg in Ingolstadt beeindruckt. Stuttgart hat damit große Probleme. Sie sollten sich schleunigst darauf besinnen, worum es wirklich geht. Denn Pressing und Ballgewinne sind ja wunderbar, aber um 17.15 Uhr ist nur wichtig, was auf der Anzeigetafel steht.

Quelle: SPIEGEL ONLINE 2015


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