Zieler im Interview über den Trainerwechsel beim VfB

"Der frische Wind hat uns gutgetan"

Ron-Robert Zieler ist Teil der drittbesten Defensive der Bundesliga, trotzdem ist er aus dem Kreis der Nationaltorhüter gefallen. Im Interview spricht der 29-Jährige über den Erfolgslauf der Stuttgarter unter Tayfun Korkut, seine Hoffnungen auf ein DFB-Team-Comeback und seine Zeit bei Leicester City. Außerdem nimmt er zu den Anfeindungen in Köln und der Mertesacker-Debatte Stellung.

[Linked Image]

SPOX: Herr Zieler, Sie sind 2014 Weltmeister geworden, danach lief es aber nicht mehr so rund. Erleben Sie gerade die angenehmste Phase der letzten Jahre?

Ron-Robert Zieler: Absolut. Ich habe zwei Jahre mit Hannover im Abstiegskampf verbracht, einmal konnten wir uns retten, im zweiten Jahr sind wir abgestiegen. Die Zeit bei Leicester City war zwar lehrreich, aber sportlich schwierig. Jetzt habe ich in Stuttgart wieder Fuß gefasst, kann konstant Leistung zeigen und bin auch vollständig angekommen. Die Lebensqualität geht mit dem sportlichen Erfolg nach oben.

SPOX: Der hat sich aber erst in den letzten Wochen eingestellt. Davor hieß es wieder Abstiegskampf, es gab einen Trainerwechsel und die Anfeindungen in Köln. Wie haben Sie die ersten drei Monate 2018 wahrgenommen?

Zieler: Erfolg und Misserfolg liegen brutal eng beisammen. Vor acht Wochen sah es noch deutlich schlechter aus als jetzt, wir mussten uns Sorgen machen. Einen Trainerwechsel erlebt keiner gerne. Aber wir haben die schwierige Phase überwunden und uns befreit.

SPOX: Der VfB ist seit acht Spielen ungeschlagen, der Abstiegskampf ist Geschichte. Plötzlich steht die Mannschaft auf Platz acht und hat nur sieben Punkte Rückstand auf Rang sechs. Schielen Sie nach Europa?

Zieler: Wir sollten demütig bleiben. Der VfB ist zwar ein großer Traditionsverein, aber wir sind auch Aufsteiger. Wir wissen, wo wir herkommen, deshalb denkt keiner an die Europa League.

SPOX: Der Trainerwechsel von Hannes Wolf zu Tayfun Korkut wurde im Umfeld mit großer Skepsis begleitet. Wie erklären Sie sich den Umschwung?

Zieler: Im Nachhinein muss man sagen: Der frische Wind hat uns gutgetan. Jeder Trainer ändert ein bisschen was in der Trainingssteuerung und der Mannschaftsführung. Rein taktisch gesehen, haben wir aber gar nicht allzu viel verändert. Wir spielen kompakt, bieten dem Gegner kaum Räume, aber die engen Spiele, die wir in der Vergangenheit nicht für uns entschieden haben, laufen für uns.

SPOX: Hannes Wolf war sich am Ende seiner Zeit beim VfB nicht mehr sicher, die Mannschaft noch zu erreichen. Wie hat sich das in der Zusammenarbeit geäußert?

Zieler: Ich habe das nicht so empfunden. Wenn der Trainer das aber so kommuniziert, wird er es selbst gespürt haben. Dieses Eingeständnis spricht für ihn.

SPOX: Die wohl auffälligste Änderung unter Korkut ist wohl die Umstellung auf zwei Stürmer. Mario Gomez und Daniel Ginczek bilden jetzt das Sturmduo.

Zieler: Simon (Terodde, Anm. der Red.) hat in der Hinrunde auch seine Qualitäten unter Beweis gestellt. Aber wir freuen uns jetzt, dass Mario da ist. Er bringt eine hohe Qualität mit. Gini und Mario harmonieren sehr gut, beide können den Ball halten, Gini kann auch mal in die Tiefe starten. Unsere große Stärke ist, dass wir aus relativ wenigen Chancen Tore machen. Diese Qualität spricht für unsere Stürmer. Die Basis ist aber eine gut organisierte Defensive. Es fühlt sich für mich als Torhüter gut an, mit dieser Vierer- oder manchmal auch Fünferkette zu spielen.

SPOX: Die Defensive ist schon die ganze Saison über das Prunkstück des VfB. 31 Gegentore sind der drittbeste Wert der Bundesliga nach dem FC Bayern und Schalke 04. Sie persönlich haben schon neun Mal zu Null gespielt, nur Sven Ulreich, Roman Bürki und Ralf Fährmann hielten ihren Kasten einmal öfter sauber. Bekommen Sie für Ihre Leistungen zu wenig Anerkennung in der Öffentlichkeit?

Zieler: Den Eindruck habe ich so gar nicht. Zumindest regional ist das Feedback von außen sehr gut, was mich natürlich freut. Öffentliches Lob ist schön, mir aber auch nicht mehr ganz so wichtig. Entscheidend ist die interne Einordnung. Außerdem bin ich lange genug dabei, um meine Leistungen einschätzen zu können. Für mich ist es bisher hervorragend gelaufen in Stuttgart. Von den positiven Ergebnissen profitieren am Ende auch alle in der Öffentlichkeit.

SPOX: Trotzdem fällt Ihr Name kaum noch, wenn es um die Kandidaten für die Nationalmannschaft geht.

Zieler: Das ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass die letzten zwei, drei Jahre nicht optimal gelaufen sind für mich. Ich war vier Jahre fester Bestandteil der Nationalmannschaft, das Trainerteam kennt mich gut und weiß, was ich kann. Ich habe auch bewiesen, dass ich vom Leistungslevel her mithalten kann und auf mich Verlass ist. Aber im Moment gibt es keinen Kontakt mit dem Bundestrainer. Auf dieser Position hat er ja auch die Qual der Wahl.

SPOX: Bei der WM 2014 waren Sie als dritter Torhüter dabei. Eine Position, auf der man im gesamten Kader wohl die geringste Chance auf Einsatzzeiten hat. Wie war Ihre Rolle damals?

Zieler: Es ist nicht so, dass man da locker Urlaub macht. Der Teamspirit und die Trainingsqualität sind extrem wichtig. Dazu kann auch ein dritter Torhüter seinen Beitrag leisten. Wir hatten im Campo Bahia eine unglaubliche Atmosphäre, wir haben zusammengehalten und alles für den Erfolg des Teams getan. Das hat man auch im Training gemerkt. Das muss auch so sein, denn die Spieler, die eingewechselt werden, müssen sofort funktionieren. Und das geht nur, wenn das Training auf hohem Niveau stattfindet.

SPOX: Zeichnet diese Professionalität die deutschen Turniermannschaften aus?

Zieler: Möglich. Ich weiß nicht, wie sich andere Mannschaft beispielsweise an freien Tagen verhalten. Einen richtigen Vergleich könnte ich nur bei Vereinsmannschaften zwischen Bundesliga und Premier League ziehen.

SPOX: In England soll es zum Teil etwas lockerer zugehen.

Zieler: Das kann ich bestätigen. Der Fokus liegt auf dem Spieltag, da musst du Leistung bringen. In einer Trainingswoche dürfen zum Beispiel ältere Spieler auch mal weniger machen. Das liegt aber auch daran, dass noch weniger Zeit ist als in der Bundesliga. Die Premier League hat zwei Mannschaften mehr, dazu kommen die beiden Pokalwettbewerbe und wann man dann noch wie Leicester vergangene Saison in der Champions League spielt, geht es zwischen den Spielen fast nur um Regeneration.

SPOX: Nicht ganz so genau nehmen es die Engländer offenbar auch beim Feiern. Didi Hamann hat immer wieder von wilden Partys im Mannschaftskreis berichtet. Das Video von der Meisterfeier in Vardys Wohnzimmer ging um die Welt. Gab es zu Ihrer Zeit auch solche Teamabende?

Zieler: Didi Hamann kann etwas offener reden, weil er seine Karriere hinter sich hat. (lacht) Ich kannte das Video auch und es gab auch Teamabende, bei Jamie Vardy zuhause war ich aber nicht. Aber ich kann bestätigen, dass die Engländer zum richtigen Zeitpunkt auch gut feiern können.

SPOX: In der Meistersaison wurde viel über Leicesters Teamgeist berichtet.

Zieler: Die Charaktere der Spieler verändern sich nicht, aber für die Stimmung innerhalb einer Mannschaft ist es schon entscheidend, ob man erfolgreich ist oder nicht. Wir sind schwer in die Saison gekommen, es gab Unruhe und einen Trainerwechsel, immerhin haben wir uns hinten raus wieder stabilisiert.

SPOX: Sie waren bei Leicester die Nummer zwei, trotzdem sagen Sie, es sei kein verlorenes Jahr gewesen. Was haben Sie mitgenommen?

Zieler: Es war von vorherein klar, dass es schwer werden würde. Das Team war gerade Meister geworden und Kasper Schmeichel hatte eine starke Saison gespielt. Aber ich wollte die Chance wahrnehmen, zum englischen Meister zu wechseln. Natürlich hätte ich gerne öfter gespielt, aber Kasper hat auch richtig gut gehalten. Das muss man auch ehrlich anerkennen. Aber immerhin kam ich in allen Wettbewerben zum Einsatz. Ich habe in dieser Zeit mein Englisch wieder aufgebessert, viel vom Land gesehen und ich bin in Leicester demütiger geworden. Ich kann jetzt besser einschätzen, was ich in den Jahren zuvor in Hannover erlebt habe. Dort habe ich 180 Spiele am Stück gemacht, das ist nicht selbstverständlich. Deshalb fühle ich mich aktuell auch beim VfB sehr wohl.

SPOX: Hat Ihnen dieses gute Gefühl, auch über die irrsinnigen Anfeindungen in Köln hinweggeholfen?

Zieler: Natürlich habe ich mit meiner Familie gesprochen, die gibt mir Rückhalt. Aber ich habe mich direkt nach dem Spiel klar positioniert und ich will dem Thema auch nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, um diese Leute in ihrem Vorgehen nicht noch zu bestätigen. Der 1. FC Köln hat sich öffentlich dafür entschuldigt und auch Maßnahmen ergriffen.

SPOX: Eine Nachfrage sei noch erlaubt: Es waren widerliche Worte, die da gefallen sind. Die SZ hat in einem Beitrag gefragt: Wie kaputt kann man sein? Haben Sie sich diese Frage auch gestellt?

Zieler: Das ist sicherlich ein allgemeines Problem der Gesellschaft, nicht nur des Fußballs. Ich habe nichts dagegen, wenn einer kritisch ist, aber es muss auf einem normalen Niveau bleiben. Ich glaube, diese Entwicklung hängt auch ein bisschen mit den sozialen Netzwerken zusammen. Dort kann man anonym seine Meinung äußern und dabei auch unter der Gürtellinie Leute attackieren. Das senkt vielleicht auch die Hemmschwelle in der realen Welt.

SPOX: Gerade vor dem Hintergrund der von Per Mertesacker ausgelösten Debatte über Druck im Fußball und dem Umgang damit waren diese Szenen fürchterlich.

Zieler: Per ist eine beeindruckende Persönlichkeit, er hat unheimlich viel geleistet während seiner Karriere und große Erfolge gefeiert. Ich finde es ehrlich und mutig, dass er sich so geäußert hat. Er hat das ausgesprochen, was der eine oder andere vielleicht nur denkt. Wie einer mit Druck umgeht, sagt nichts über seine Leistung aus.

SPOX: Lothar Matthäus hat Mertesacker die Eignung für seinen Job im Nachwuchsbereich des FC Arsenal abgesprochen. Wie sehen Sie das?

Zieler: Er ist für diesen Job im Nachwuchs absolut geeignet. Per bringt die nötige Intelligenz mit und besitzt einen tollen Charakter. Er kann vielen Spielern eine große Hilfe sein.

SPOX: Wie wurde dieses Thema zu Ihrer Zeit gehandhabt? Sie sind mit 16 Jahre vom 1. FC Köln in die Jugendabteilung zu Manchester United gewechselt.

Zieler: Wir haben nicht mit Psychologen zusammengearbeitet, aber das Thema war schon auf der Agenda. Insgesamt bin ich bei Manchester United sehr gut auf die Profikarriere vorbereitet worden. Das war eine echte Ausbildung. Der Verein fordert gewisse Eigenschaften wie Disziplin, Respekt und Bescheidenheit, unterstützt einen aber auf der anderen Seite auch.

SPOX: Wie sieht das konkret aus?

Zieler: Wir durften mit keinem Auto über 90 PS aufs Trainingsgelände fahren. Außerdem war es den Verantwortlichen wichtig, dass mein Englisch schnell besser wurde. Wir haben in der Jugend auch den kleinsten Trainer- und Schiedsrichterschein gemacht, um zu verstehen, was in diesen Bereichen gefordert ist. Gleichzeitig hat mich der Verein bei einer Gastfamilie untergebracht, die mich sehr gut aufgenommen und sich um mich gekümmert hat. ManUnited hat mir als Jugendspieler ein gutes Gesamtpaket mit auf den Weg gegeben.

Quelle: Spox.com


Mummi [Linked Image]