Huub Stevens im Interview

„Zu viele VfB-Spieler sind sehr zufrieden“

„Kommt nach Mallorca“, hatte Huub Stevens vergangene Saison gesagt, „dann erzähle ich alles.“ Gesagt, getan. Nach seiner erfolgreichen Rettungsmission warnt der Trainer in seinem Feriendomizil den VfB Stuttgart vor weiteren Fehlern. „Sportvorstand Robin Dutt muss sehr kreativ sein“, sagt der Niederländer.


Gedanken zum VfB über der Bucht von Cala Ratjada: Huub Stevens

Herr Stevens, schön haben Sie es hier auf Mallorca. Da haben Sie den Kampf gegen den Abstieg sicher schnell hinter sich gelassen.
Nein, ganz und gar nicht. Ich habe wirklich einige Zeit gebraucht, bis ich richtig abschalten konnte. Die vergangene Saison war unheimlich intensiv. Wir haben es uns selbst schwer gemacht, indem wir viele Spiele nicht gewonnen haben, in denen wir klar besser waren. Das hat uns mehrfach zurückgeworfen – und wir mussten die Spieler ­immer wieder neu motivieren.
War dies das Schwierigste an der Mission?

Absolut. Wir Coaches hatten natürlich mit uns selbst zu tun, mussten aber zugleich ­Motivator sein. Unsere große Stärke war, dass wir im Trainerteam so eng zusammengearbeitet haben. Nur so konnten wir den nötigen Teamgeist vorleben . . .
. . . und allen Störfaktoren trotzen.
Ja, aber ehrlich gesagt, war es alles andere als hilfreich, dass es so viele Nebenkriegsschauplätze gab. Ein Beispiel: Wir waren im Wintertrainingslager, als der Präsident zu mir kam und sagte, dass in einem Pressegespräch eine mögliche Vertragsverlängerung mit mir thematisiert wurde.
Was Sie als unnötig empfunden haben.
Es hat mir auf der einen Seite geschmeichelt, aber ich habe diesbezüglich ja immer gesagt: Wir haben Zeit. Irgendwann später kam dann Ralf Rangnick . . .
. . . und hat öffentlich erklärt, Alexander Zorniger würde neuer VfB-Trainer.
Ich bin direkt zu Sportvorstand Robin Dutt und habe gefragt: Was ist hier los?
Was hat er geantwortet?
Dass der Verein auch einen Plan B haben muss – und das war auch vollkommen in Ordnung, so läuft ja das Profigeschäft. Ich habe Robin aber auch gesagt: „Bitte, haltet das von der Mannschaft fern.“ Denn ich ­habe schnell gemerkt, dass die Spieler, der Verein, das Umfeld, dass alle dachten: Ah, der Trainer ist zurück, jetzt schaffen wir es. Diese fehlenden Zehntelprozent, dazu die Störfeuer . . . puuuh. Und dann kam Hansi.
Der damalige Aufsichtsrat Hansi Müller, der die Einigung mit Zorniger im Fernsehen bekanntmachte.
Er hat sich danach gleich bei mir entschuldigt. Aber es war eben wieder passiert.
Empfanden Sie das alles als respektlos?
Nein, der Respekt war immer da. Vielmehr haben manche Leute nicht über die Auswirkung ihrer Aussagen nachgedacht. Ich habe dann später angedeutet, dass ich vielleicht ja doch länger VfB-Coach sein werde. Denn gegenüber den Spielern konnten wir uns nicht den kleinsten Zweifel am Trainer ­erlauben. Es durfte kein Alibi geben.
Nach der 1:2-Niederlage gegen Hoffenheim konnte man aber Zweifel bekommen. Und womöglich wappnete sich Robin Dutt fortan für einen etwaigen Rücktritt von Ihnen.
Der Mannschaft habe ich nie gezeigt, dass ich Zweifel hatte. Aber natürlich gab es diese Momente, in denen ich mich fragte: Wie kriegen wir das nur hin? Nach der Partie gegen Hoffenheim war ich extrem enttäuscht und habe zu Robin auch gesagt: „Wenn ihr meint, es gibt jemanden, der es besser macht, dann holt ihn.“ Aber in solchen Situationen kommt eben auch der Kämpfer in mir hoch. Ich denke, das hat auch viel mit meiner Vergangenheit zu tun.

Inwiefern?
Ich habe nichts zugeworfen bekommen, nicht als Fußballer, nicht im normalen Leben. Mit 16 bin ich Profi geworden, mein Vater ist gestorben, als ich 17 war, da musste ich mich auch noch um meine jüngeren Geschwister kümmern. Das war keine einfache Zeit, das können Sie mir glauben.
Hätten Sie sich nun, als erfahrener Trainer, vom Club mehr Hilfe gewünscht?
Nein, gerade die Zusammenarbeit mit Robin war sehr gut. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber wir waren immer ehrlich zueinander. Und am Ende hatte jeder in diesem Verein seinen Anteil am Klassenverbleib. Vor allem auch unsere fantastischen Fans.
Am Saisonende gab es zu Recht Lob für die Mannschaft, die davor aber erneut in den Keller gerutscht war. Wie würden Sie dieses Team denn abschließend beschreiben?
In meiner ersten Amtszeit hatte die Mannschaft vielleicht nicht die Qualität wie in der vergangenen Saison – aber sie hat schneller verstanden, worauf es ankommt.
Der Großteil der Akteure war doch aber der gleiche.
Das stimmt, aber einige, die in der Kabine wichtig waren, waren auch nicht mehr da. Cacau etwa, Arthur Boka, auch Ibrahima Traoré. Stattdessen sind andere gekommen.
Filip Kostic zum Beispiel.
Und dessen Geschichte kennen wir ja. Ich habe in meinem ersten Training zu ihm gesagt: Filip, so reicht es nicht, da müssen 30, 40 Prozent mehr kommen. Er hat das angenommen und sich rangekämpft. Aber das hat gedauert.
Wenn man nach der Rettung 2014 die gleichen Fehler wieder macht, spricht das dennoch gegen einen Großteil der Mannschaft.
Im Denken vieler Spieler hat die richtige ­Balance gefehlt. Jeder hat – wenn auch unbewusst – zu sehr an sich selbst und zu wenig an das Team gedacht. Nicht nur das hat mich überrascht. Verschiedene Spieler, Carlos Gruezo oder Timo Werner etwa, hätte ich nach meinem ersten Abschied schon weiter erwartet. Nun ist mir klar: Sie mussten ­weiter lernen.
Hat dieser Kader dennoch eine Zukunft?
Ja, denn jetzt sehe ich eine Achse: hinten Timo Baumgartl und Toni Rüdiger, dann Serey Dié und Christian Gentner sowie Daniel Didavi und Daniel Ginczek. Die werden sich alle noch steigern. Und daneben hast du viele Möglichkeiten zu variieren. In Alexandru Maxim zum Beispiel gibt es einen starken Ersatz für Daniel Didavi.
Wenn er denn beim VfB bleibt.
Ich habe Robin gesagt: Sollte Maxim gehen, musst du einen adäquaten Ersatz holen.
Weil Sie sich auf Daniel Didavi allein nicht verlassen würden?
Er hat so viel Qualität, und am Ende der Saison hat man auch den Unterschied zu Alex Maxim gesehen. Er spielt seinen Ball einfach schneller nach vorne. Ich weiß aber auch: ­Dida macht sicher keine 30 Spiele, deshalb brauchst du eine Alternative wie Maxim.
Toni Rüdiger steht auch vor einem Wechsel?
Ich denke allerdings, dass es für seine Entwicklung besser wäre, noch ein Jahr in Stuttgart zu bleiben. Und für den VfB wäre es wichtig, diese Achse stehen zu haben.

Selbst dann gibt es noch Baustellen im Kader. Zum Beispiel bei den Außenverteidigern.
Adam Hlousek, Florian Klein, Konstantin Rausch: Wir haben Außenverteidiger, die eigentlich gar keine sind.
Wie haben Sie dann die Kritik zu Beginn der Rückrunde empfunden, Sie würden mit vier Außenverteidigern spielen lassen?
Da bekam ich fast einen Lachanfall. Ich stehe über solchen Dingen – auch wenn gesagt wird, Stevens denkt nur defensiv. Man baut eine Mannschaft nun mal von hinten auf.
Am Ende der Saison war die Mannschaft vor allem offensiv stark. Mussten Sie überredet werden?
Wer sollte mich überredet haben?
Robin Dutt vielleicht?
Nein, Robin hat sich nie eingemischt, ­obwohl wir jeden Tag miteinander geredet haben. Das offensivere Spiel war einfach eine Frage der Entwicklung und der Spieler, die mit der Zeit dazugekommen sind: Ginczek, Kostic, Didavi, aber auch die Jungs im Abwehrzentrum.
Wieso auch die?
Weil beispielsweise ein Georg Niedermeier eben anders spielt als ein Toni Rüdiger. Mit dem Duo Baumgartl/Rüdiger kannst du anders nach vorne agieren als mit Baumgartl/Niedermeier. Generell haben wir viel versucht, mussten aber stets abwägen: Was gibt der Mannschaft Sicherheit? Ein entscheidender Faktor war dann auch Serey Dié.
Weil solche Typen im Kader gefehlt haben?
Nehmen Sie Oriol Romeu oder Moritz Leitner: tolle Fußballer, aber sie können ihre Art, Fußball zu spielen, kaum ändern und anpassen. Beide wollten zu jeder Zeit, konnten sich aber nie auf den Kampf gegen den ­Abstieg einstellen.
Da hatten Sie aber auch bei anderen Zweifel – wie sonst ist das Affentheater zu erklären?
Ich habe drei Spieltage vor Schluss der Mannschaft gesagt: Wir brauchen kein Wunder, wir brauchen nur ein Team – und ihr seid das Team. Danach gewinnen wir tatsächlich gegen Mainz 05. Und was passiert dann?
Die Spieler lassen nach.
Nicht alle, aber ich habe schon beim Aufwärmen gesehen, was los ist. Im Positionsspiel waren ebenfalls einige lässig – und dann fingen sie noch an, der Rasen müsse ­gewässert werden. Irgendwann hat mein Co-Trainer nachgegeben, die Anlage ging an – und ich stand mittendrin. Ich war klatschnass, habe mir aber nichts anmerken lassen.

Allerdings . . .
. . . habe ich Leichtsinn kommen sehen und musste eingreifen. Also habe ich die Spieler verwöhnte Affen genannt – und fand es super, wie sie wenig später im Spiel gegen den HSV darauf reagiert haben. Für den ­Affentanz habe ich mich aber revanchiert.
Wie denn?
Beim Frühstück am nächsten Morgen habe ich einen Mann im Affenkostüm kommen lassen. Er hat an diejenigen, die den Affentanz gemacht hatten, Bananen verteilt. Die Mannschaft hat gejohlt.

Dieses gemeinsame Frühstück war fester Bestandteil Ihrer Arbeit. Wieso?
Einerseits, weil wir so noch mehr Zeit miteinander verbringen konnten und auch die verletzten Spieler dabeihatten. Andererseits, weil viele junge Spieler heute nicht mehr wissen, wie wichtig es ist, vor dem Training gut zu frühstücken. Die kommen ohne Benzin – und dann stottert der Motor.
Hand aufs Herz: Hatten Sie am Ende nicht doch Lust, beim VfB weiterzumachen?
Darum ging es nie. Ich habe immer klar gesagt: Der VfB braucht einen Neuanfang, ein Projekt über mehrere Jahre – und dafür bin ich nicht der Richtige. Deshalb war die ­Sache mit Alex Zorniger für mich auch kein Problem. Ich habe damals zu Robin Dutt ­allerdings auch gesagt: Ich gehe meinen Weg hier ab jetzt noch konsequenter weiter.
Welche Fehler darf der VfB jetzt nicht machen?
Der VfB muss Qualität im Kader halten oder dazuholen. Da ich weiß, wie eng das finanzielle Budget ist, muss Robin sehr kreativ sein. Das Zweite ist: So eine einheitliche ­Linie, wie der VfB sie in der Torhüterausbildung verfolgt, muss es in allen Bereichen geben. Für Spieler, Trainer und das Scouting.
Sie dachten, dies würde nach Ihrer ersten Amtszeit schon umgesetzt?
Ich habe damals Dinge angesprochen, doch als ich dann zurückgekehrt bin, habe ich nicht das vorgefunden, womit ich gerechnet hatte. Deshalb bin ich auch froh, dass Robin Dutt gekommen ist. Ich denke, dass er weiß, was jetzt gefragt ist. Ich hoffe, dass er die Möglichkeit bekommt, alles umzusetzen.
Wie viel Huub Stevens steckt denn in den ­neuen Konzepten?
Noch mal: Einiges davon habe ich schon 2014 gesagt. Und nach wie vor hoffe ich, dass der Hauptsponsor etwas mehr tut als bisher, damit man es beim VfB künftig etwas leichter hat, einen guten und zugleich bezahlbaren Kader zu haben. Ich finde, da geht es auch ein bisschen um die Frage: Macht man es richtig, oder lässt man es bleiben? Schauen Sie doch, was in Wolfsburg passiert.
Und wenn das Engagement nicht größer wird?
Dann wird es wieder schwierig.
Der VfB spielt wieder gegen den Abstieg?
Nein, das hoffe und glaube ich nicht.
Allein auf mehr Geld zu warten kann ja dennoch nicht die Devise sein.
Nein, natürlich nicht. Man muss aus dem vorhandenen Budget mehr machen. An den Gehältern zum Beispiel müsste man drehen. Ich finde, es gibt beim VfB zu viele Spieler, die sehr zufrieden sind, weil sie gute Verträge haben. Die werden den Club nicht einfach so verlassen. Deshalb sage ich auch: Gebt Dutt und Zorniger die nötige Zeit.
Sie haben sich kürzlich mit Zorniger getroffen. Robin Dutt sagt, Sie seien sich ähnlich.
Was ich gemerkt habe: Auch Alex will gerne gewinnen. (Lacht) Und ich habe seine Power gespürt, eine Mannschaft führen zu wollen. Klar ist aber auch: Er ist ein Trainer, der noch lernen muss. Ich habe ihm meine Meinung zu verschiedenen Dingen gesagt, auch ein paar Namen, einmischen will ich mich aber nicht. Alex sollte nah bei seinen Vorstellungen bleiben. Dann kann er es mit der nötigen Unterstützung beim VfB schaffen.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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