Bundesliga

Der Süd-Gipfel: Eine Liga, zwei Welten

Es gab Zeiten, als der VfB Stuttgart dem großen FC Bayern noch ordentlich Respekt einflößte. Inzwischen ist die Kluft zwischen den Süd-Rivalen beängstigend groß. Der VfB hat die Zukunft verschlafen.


Serey Dié (VfB, li.), Robert Lewandowski: Der VfB läuft den Bayern nur noch hinterher.

Vielleicht muss es ja so sein, dass in München alles ein bisschen größer, schöner, teurer und bedeutender ist: die Stadt, das Rathaus, die Mieten und das Oktoberfest. Dass der VfB Stuttgart im Lauf der Jahre aber dem FC Bayern auch noch die Herrschaft im Fußball überließ, war so unnötig, wie Lederhose und Dirndl auf dem Cannstatter Volksfest in den Rang des Brauchtums zu erheben. Denn irgendwann begann der VfB, seine Zukunft zu verschlafen.

Vermutlich schon 1978. Der Verein für Bewegungsspiele landete in der Saison nach dem Wiederaufstieg auf Rang vier der Tabelle, die Fans tobten vor Begeisterung, und in München machten sie ein Gesicht, als hätte ihnen jemand das Fingerhakeln verboten. Der FC Bayern war Zwölfter – und im Jahr darauf, als die schwäbische Rasselbande sogar auf Rang zwei stürmte, reichte es dem stolzen Bergvolk von den Gestaden der Isar gerade noch in den Uefa-Cup – als Vierter. „Der VfB war mit den Bayern so gut wie auf Augenhöhe“, sagen Spieler, die damals am Ball waren.

Den Weltspartag erfunden

Weil sie aber in Cannstatt den altwürttembergischen Pietismus in Gestalt eines knurrigen Bürgermeisters zur passenden Antwort auf Fragen des schnell wachsenden Berufsfußballs erklärten, erlosch das Feuer der Leidenschaft rasch in einem Meer aus Bedenken. Als traue VfB-Geschäftsführer Ulrich Schäfer den Erfolgen nicht, hielt er eisern fest am Glauben, dass der Mensch Geld nur besitzt, um es nie wieder auszugeben. Den Ruf, den Weltspartag erfunden zu haben, bekam der VfB nie wieder los.

Weil in München etwa zur gleichen Zeit ein 27-jähriger Profi zwar mit kaputtem Knie, aber mit einer Ahnung davon, was sich aus dem Fußball noch alles machen ließe, die Geschäfte übernahm, führten die Wege der beiden Clubs dann schnell auseinander.

Bis heute erzählen die Missgünstigen vom Neckar allerdings gern, dass es ja keine große Kunst gewesen sei, den FC Bayern auf Watzmannhöhe zu führen. Weil sie doch den Beckenbauer hatten, Schwarzenbeck, Roth, Müller, Hoeneß und Breitner. Das reichte immerhin für drei Europacup-Siege in den Siebzigern. Weil sie dazu noch ein Olympiastadion gebaut haben, war der Reichtum dann nicht mehr zu verhindern.

Sillstand statt Tradition

Wer die Krämerseelen so reden hört, spürt, dass schon damals Bodenständigkeit mit Provinzialismus, Tradition mit Stillstand verwechselt wurde – und die Sparsamkeit gar nicht so selten vom bloßen Neid der Funktionäre getrieben war, weniger auf dem Konto zu haben als die Helden in kurzen Hosen. „Jeder Reservespieler bei uns verdient mehr als ein Minister“, ätzte Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder in einer Zeit, als der FC Bayern schon manche Liga-Größe an sich gebunden hatte. Und das nicht nur, weil die Luft in Alpennähe so rein war.

Der Wahrheit weit näher kommt, dass der Metzgersohn aus Ulm 1979 einen Sanierungsfall übernommen hatte. Der FC Bayern stand mit zwölf Millionen Mark in der Kreide, die Club-Bosse um Präsident Wilhelm Neudecker stritten sich wie die Kesselflicker, und die schmucklose VIP-Lounge im Olympiastadion hieß ein bisschen langweilig nach einer Computer-Firma: Commodore-Stüberl.

Jahre später, als VfB-Geschäftsführer Uli Schäfer noch die rote Wurst für Sponsoren als Risiko-Kapital geißelte, bat Uli Hoeneß die Münchner Schickeria schon zur opulenten Brotzeit und eröffnete ihr mit Leidenschaft die zu Herzen gehende Emotionalität des Fußballs. Um diese Zeit muss es gekeimt haben, das Mir-san-mir-Gefühl, das den FC Bayern mit einer schnell wachsenden Klientel durch die Jahrzehnte trug. Eine Liga, zwei Welten.

Artenschutz für Mercedes

Dem VfB dagegen stand ein polternder CDU-Politiker, Kultusminister und DFB-Funktionär vor, der von Amts wegen allerlei Rücksichten zu nehmen hatte, keine anderen Götter neben sich duldete und das Alleinvertretungsrecht im Sponsoring für Kleingeld an den großen Nachbarn abgegeben hatte. Klar, dass Hyundai oder andere nie zum Überholen ansetzen konnten. Als Mercedes-Chef Werner Niefer 1993 zum 100-Jahr-Jubiläum eine Million Mark springen ließ, fielen MV und die Seinen regelrecht auf die Knie. In späteren Jahren sorgte Dieter Hundt als Aufsichtsratschef für den Artenschutz des guten Sterns auf allen Straßen.

Zum Vergleich: Uli Hoeneß und die selbstbewusste Bayern-Gang leierten VW-Chef Martin Winterkorn 90 Millionen Euro für die 8,33-Prozent-Beteiligung von Audi an der Bayern AG aus den Rippen. Adidas (77 Millionen Euro) und die Allianz (110) zogen nach. Über den Sinn einer Ausgliederung der Profi-Abteilung in eine Aktiengesellschaft brauchte da niemand mehr zu reden. Und als die Dortmunder es wagten, zweimal in Folge deutscher Meister zu werden (2011/2012), drehte Hoeneß endgültig das ganz große Rad. Seither heißen die Neuzugänge nicht mehr nur Matthäus, Scholl, Kahn und Elber. Jetzt weht Internationalität durch die längst abbezahlte Allianz-Arena: Ribéry, Robben, Thiago, Alonso und Guardiola. „Der FC Bayern dachte schon global“, sagt Christoph Daum heute, „als der VfB noch regional agierte.“

Uli Hoeneß knüpfte Netzwerke in alle gesellschaftlichen Bereiche, holte sich starke Mitarbeiter ins Team, trieb die Vermarktung voran, pflegte die Tradition, stärkte landsmannschaftliche Gefühle und hatte das, was Marketing-Gurus heute Corporate Social Responsibility (CSR) nennen, irgendwie schon erfunden. Bomber Gerd Müller wäre ohne den FC Bayern zum Sozialfall geworden, der FC St. Pauli womöglich pleitegegangen. Natürlich erlebte auch der 25-malige deutsche Meister mal schwere Zeiten, aber die Fallhöhe hielt sich stets in Grenzen.

Professionalisierung nicht erwünscht

Beim VfB dagegen wurden Ehemalige als Kostenfaktoren geschmäht und spätestens seit den neunziger Jahren ist Konzeptionslosigkeit Teil des Programms – mit den üblichen Folgen. Häufige und teure Trainerwechsel, kostspielige Missgriffe im Transferbereich und Eifersüchteleien unter Funktionären. Dass trotzdem der eine oder andere Erfolg möglich war, ist mehr der Schwäche der Konkurrenten geschuldet als den eigenen Stärken. „Professionalisierung war beim VfB eigentlich nie gewünscht“, sagt einer, der im Zentrum der Macht angesiedelt war. Bis heute erzählen die Lästerer gern die Geschichte von Krassimir Balakov, in dem die VfB-Experten eher ein russisches Sturmgewehr vermuteten denn einen Weltklassespieler. Trainer Felix Magath wandte sich 2004 nicht ohne Grund wieder ab. „Wenn man nur damit zufrieden ist, in der Bundesliga mitspielen zu dürfen, setzt man keine Entwicklung in Gang.“

Präsident Erwin Staudt dachte und sprach während seiner siebenjährigen Amtszeit zwar wie ein Unternehmer, schuf aber selbst nie die dafür notwendigen Strukturen. Der zehn Millionen Euro verschlingende Transfer des fußkranken Yildiray Bastürk nach der Meisterschaft 2007 gilt bis dato als die Mutter aller Sündenfälle. „Die häufige Zerstörung von Transfervolumen“, sagt Daum ein wenig akademisch, „hat bei Vereinen wie dem VfB viel schlimmere Auswirkungen als beim FC Bayern.“ Mit anderen Worten: Wer über Jahre Fehler an Fehler reiht, zahlt irgendwann die Zeche.

Es fehlen Macher mit Unternehmergeist

Ausgerechnet in Zeiten großer Not träumen die VfB-Bosse nun von der Ausgliederung als Rezeptur gegen das galoppierende Siechtum. Höchstpreise für Club-Anteile sind so nah am Abgrund aber nicht zu erzielen. Immerhin wurden unter Präsident Bernd Wahler die Strukturen den Erfordernissen der Zeit angepasst, Robin Dutt trimmt den Sportbereich auf mehr Effizienz. Was die Führungsgremien aber noch immer gebrauchen könnten, sind überzeugende Macher mit Unternehmergeist und visionären Kräften. Und nicht minder wichtig: mit dem Zeitbudget, sich kümmern zu können. Nicht zufällig kommt immer häufiger die Rede auf den früheren S-21-Sprecher und Unternehmer Wolfgang Dietrich oder auf Südwestbank-Chef Wolfgang Kuhn.

„Der VfB hat viel falsch gemacht, aber nach wie vor die Substanz, um sich unter den Top Sieben der Liga zu etablieren“, sagt ein Bundesliga-Manager, der lieber nicht genannt sein will, „aber den Vorsprung der Bayern werden die Stuttgarter auch auf lange Sicht bestenfalls verkleinern.“

Selbst die Zukunft ist eben nicht mehr das, was sie früher mal war.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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